Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Der Waldläufer - Karl May´s Gesammelte Werke Band 70

Der Waldläufer - Karl May´s Gesammelte Werke Band 70

Karl May

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2013

ISBN 9783780215703 , 468 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

6,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Waldläufer - Karl May´s Gesammelte Werke Band 70


 

Falkenauge (S. 262-263)

Nachdem der Rio Gila die Kette der Nebelberge durch- schnitten hat, wendet er sich dem Colorado River zu, der die Grenze zwischen Arizona und Kalifornien bildet und sich schließlich in den Golf von Kalifornien ergießt. Von dem Winkel aus, den diese beiden Flüsse bilden, erstreckt sich bis in die Nähe des Presidio Tubac herüber ein weiter fruchtbarer Savannenstrich, der wilden Pferde- und Büffelherden reiche Nahrung bietet und den daher die roten Stämme als ihr bestes Jagdgebiet betrachten.

Beinahe zwei Wochen nach Aufbruch der Expedition Don Estebans von Tubac herrschte auf dem Teil der Sa- vanne, der nah an der Grenze des Presidio liegt, ein über- aus reges Leben. Eine lange Reihe indianischer Zelte bil- dete einen Kreisausschnitt, an dessen innerer Seite sich zahlreiche, an Stangen befestigte Riemen hinzogen, die mit flach- und dünngeschnittenen Fleischstücken dicht be- hängt waren. Draußen am Horizont sah man hier und da einzelne Rei- ter oder auch ganze Trupps roter Jäger, während vor den Zelten nur Weiber und Mädchen zu bemerken waren, die sich mit dem Dörren von Fleisch, dem Abschaben von Häuten, dem Stampfen von Mais und anderen häuslichen Arbeiten beschäftigten.

Diese Indianerinnen bildeten in ihren malerischen Ge- wändern und Bewegungen ein reizvolles Bild im Leben der Savanne und manche vornehme Dame der Zivilisation hätte Ursache gehabt, eines dieser Mädchen um ihre ei- genartige Schönheit, Anmut und Frische zu beneiden, die doch der Indianer so wenig achtet, dass die Frau bei ihm die Stelle einer Sklavin einnimmt, die alle Lasten der Ar- beit zu tragen hat, während der Mann außer dem Kriege und der Jagd keine Beschäftigung kennt, die er vorneh- men darf, ohne seiner Würde zu schaden. Das mittelste der Zelte musste einem Häuptling gehören.

Es war höher und breiter als die anderen und trug auf seiner Spitze einen Strauß von Adlerfedern, die vom Wind leise bewegt wurden. Vor dem Eingang saß ein Mädchen und arbeitete an ei- nem Mokassin, den sie mit einer kunstreichen Verzierung von Pferdehaar schmückte. Der Fuß, für den dieser Halb- stiefel bestimmt war, musste klein sein, wenn auch nicht ganz so klein und zierlich wie der ihrige, und die offenba- re Liebe, mit der sie sich ihrer Beschäftigung hingab, ließ vermuten, dass der spätere Besitzer des Kunstwerks kein ihr fremder oder gar unangenehmer Mensch sein konnte.

Das Mädchen war schön, vielleicht das schönste im gan- zen Lagerdorf, und über ihrer ganzen Erscheinung lag eine Art natürlichen Selbstbewusstseins ausgebreitet, das bei In- dianerinnen nur höchst selten zu bemerken ist. Sie war jedenfalls das Kind des Häuptlings, dem das Zelt gehörte, und die Würde ihres Vaters hatte ihr die schöne Sicherheit gegeben, die jeder ihrer anmutigen Bewegungen eigen war. Jetzt war der Mokassin fertig. Sie stellte ihn neben den anderen, den sie bereits vollendet hatte, und erhob sich. Ihr dunkles, großes Auge schien etwas bemerkt zu haben, was ihre Teilnahme erregte. Sie strich sich mit der kleinen hellbraunen Hand das reiche, schwarze, weit über die Hüften herabwallende Haar aus der Stirn und beschattete dann das Auge mit der Rechten, um besser sehen zu kön- nen.