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Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt

Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt

Joachim Bauer

 

Verlag Blessing, 2011

ISBN 9783641054359 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt


 

6 Gegenpole zur Dynamik der Aggression: die Entstehung von Moralsystemen, Religion und Recht (S. 102-103)

Die Auflösung natürlich zusammenlebender Gemeinschaften, die Zwänge einer arbeitsteiligen Erwerbswirtschaft, das Konkurrenzprinzip als neue Grundlage des sozialen Zusammenlebens und die Ausgrenzung derer, die weniger oder nichts besaßen, dies alles sind klassische Reizauslöser der Schmerzgrenze. Die Folge war eine massive Entfesselung der Dynamik der menschlichen Aggression und eine über die postneolithischen Gesellschaften hereinbrechende Gewaltwelle.

Die Gewalt fand nicht nur in mesopotamischen Legenden ihren Niederschlag. Mord und Totschlag, Kriege und Massendeportationen kennzeichneten das Geschehen in den sich entwickelnden mesopotamischen Kulturen. Gewalt wurde zum Markenzeichen der Menschheitsgeschichte der letzten 10 000 Jahre. Ich möchte zeigen, dass die Entwicklung von Moralsystemen ein Reflex auf die durch den zivilisatorischen Prozess erzeugte Entfremdung des Menschen war. Moralsystemen kommt eine Garantenfunktion zu, angesichts der zivilisatorischen Entfremdung unsere eigentliche menschliche Bestimmung nicht zu vergessen.

Die Erforschung der Moral Warum machen sich Menschen Moralsysteme? Warum sind sie ein fester Bestandteil in allen zivilisatorischen Kulturen des Menschen? Diese Frage ist Gegenstand des noch relativ jungen Forschungsgebietes der Neuroethik. Anstatt Moralsysteme und Religionen als grundsätzlich gegen die Vernunft und gegen die menschliche Natur gerichtete Konstruktionen zu denunzieren und abzulehnen, macht sich die neuroethische Forschung zur Aufgabe zu überprüfen, inwieweit es sich bei beidem um einen Ausdruck der »Natur des Menschen« handelt.

Bei der neurowissenschaftlichen Beschäftigung mit der Moral geht es nicht um das Pro und Contra verschiedener Moralsysteme, sondern alleine darum, den Kern dessen zu beschreiben, was Moral ist, und ihre Funktionen im menschlichen Zusammenleben zu erforschen. Empathie als »Grundstein« der Moral (Charles Darwin) Die Erforschung von Moralsystemen ist relativ neu.

Eine der sich dabei stellenden Aufgaben ist, menschliches Verhalten in moralisch relevanten Testsituationen, die realen Alltagssituationen analog sind, wissenschaftlich zu untersuchen. Wichtige zusätzliche Erkenntnisse können dadurch gewonnen werden, dass man dabei auch die neurobiologischen Begleitprozesse abbildet, wenn Menschen in moralisch relevanten Entscheidungssituationen stehen315. Dass die Moral eine natürliche, biologisch angelegte menschliche Kompetenz ist, erkannte bereits Charles Darwin.

Er bezeichnete die zwischenmenschliche Zuneigung und die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, als den zentralen Trieb (»instinct«) des Menschen. Für Darwin war die natürliche Fähigkeit des Menschen zur Empathie der Grundstein (»foundation-stone«) der Moral316. Moral und Moralsysteme sind also nicht die Ursache, sondern die Folge der menschlichen Fähigkeit zu Kooperation und Empathie. Sie sind, was ihre prinzipielle Entstehung angeht, keine von ideologischen oder religiösen Eiferern entworfene Konstrukte (auch wenn sich Eiferer und Moralapostel hier reichlich betätigen), sondern ein natürliches, zur realen Welt gehörendes Phänomen.