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Musst Du schon gehen?

Musst Du schon gehen?

Bernd Majewski

 

Verlag epubli, 2019

ISBN 9783750239500 , 137 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR

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Musst Du schon gehen?


 

1970  heirateten Dietlinde und ich. Drei Jahre zuvor hatte ich noch keine Ahnung, dass es sie gab.

Ich wohnte wieder bei meinen Eltern und studierte BWL. Die Situation zwischen mir und meinen Eltern war mehr als belastend.

Ich hatte einen Freund, Günter, mit einem unglaublich ausgleichenden Gemüt.

Für mich war das ein Labsal, so etwas gab es bei uns nicht. Im Hause Majewski herrschte Spannung. Druck. Es knisterte beständig. Man hätte Birnen damit zum Glühen bringen können.

Sobald Günter das Haus betrat, wurde es ruhig. Entspannung. Kein Stress mehr. Ausatmen. Allein durch seine Anwesenheit. Er brauchte gar nicht viel zu sagen.

 

 

Eines Tages sagte meine Mutter: „Ach, wenn er doch nur eine Schwester hätte.“

Er hatte.

Wusste ich aber nicht.

 

Nach dem Studium arbeitete Günter in Bremen. Ich war in Gütersloh bei Bertelsmann.

Irgendwann bekam ich einen Anruf von Günter:

„Ich möchte wieder zurück nach Stuttgart. Kannst du mir beim Umzug helfen?“

Natürlich konnte ich.

Er hatte eine kleine Wohnung im Souterrain.

Als ich die Treppe runter stieg, stand da plötzlich ein 156 cm kleines, schlankes und zierliches Persönchen vor der Eingangstür der Wohnung.

Große Augen strahlten mich an.

Geschminkt. Lange Finger mit lackierten Fingernägeln. Minirock. So gar nicht meine Welt.

 

„Hallo, ich bin Dietlinde.“

„Ich heiße Bernd.“

„Das ist meine Schwester. Sie kommt aus Stuttgart und hilft uns auch.“

Liebe auf den ersten Blick! Und das blieb dann auch so.

Ich war verzaubert. Und auch das blieb so.

40 Jahre lang.

Physische Schönheit ist vergänglich. Schönheit der Seele nicht.

Ich sah Sie. Nicht die Schminke.

 

Es folgten eineinhalb Jahre Wochenendfahrten Gütersloh - Stuttgart. Zwei Autos gingen dabei drauf. Es waren ältere Modelle.

Um die Wege abzukürzen, bewarb ich mich in Stuttgart. Aber niemand wollte mich. So zog ich mit der Plattenfirma von Gütersloh nach München.

Jetzt waren es nur noch 220 Kilometer.

Noch mal eineinhalb Jahre Freitag abends hin, Montag früh zurück.

 

Dietlinde war Friseurmeisterin und hatte ein eigenes Geschäft. Da das aber aus räumlichen Gründen nicht ausbaufähig war, verdiente sie gerade so viel, wie eine Angestellte. Und das bei doppelter Arbeitszeit.

 

Es zeigte sich bald, dass sie über ähnlich ausgleichende, beruhigende Eigenschaften verfügte, wie ihr Bruder. Allerdings mit einem Unterschied: Irgendwann war Schluss mit ihrer Geduld. Bis hierhin und nicht weiter.

Dann konnte sie beinhart werden.

Wir bezogen eine 3 Zimmerwohnung in Ismaning. Erdgeschoss.

Die Vermieter schlichen ums Haus und schauten ins Fenster. Uns war klar, dass wir das nicht lange aushalten würden. Wir wichen ins Grüne aus, sobald es irgend ging.

Während des Hochzeitsurlaubs in der Kelchsau, Österreich, verliebten wir uns die das Tal und wollten dort eine Hütte bauen.

Es gelang. Ein 200 Jahre altes Heustadl wollte zur Hütte ausgebaut werden.

Wir hatten zwar keine Ahnung, was Nut- und Federbretter sind, oder wie man einen Kamin baut, das brachte uns aber ein Schreinerfreund unter der Woche bei. Am Wochenende wurde gebaut.

 

Am Anfang schleppten wir die Sachen mit einem Renault 4 ran. Später dann mit einem VW Bus.

Der wurde auch gleich mit Schwiegervaters Hilfe ausgebaut.

Jetzt hatten wir zusätzlich  eine mobile Hütte und konnten uns die schönsten Plätze aussuchen.

 

Dietlinde war mit der Entscheidung, Friseurin werden zu müssen, nicht glücklich. Ihre Eltern fanden, dass ein Mädchen nicht studieren müsse.

Da ich genug verdiente, konnte sie sich einen lange erwünschten künstlerischen Beruf aussuchen. Sie entschied sich, eine Töpferlehre zu machen.

Schon während ihrer Lehrzeit richteten wir eine Werkstatt in einer ehemaligen Papierfabrik ein.

 

Wir begannen zu reisen. Nicht irgendwohin, um dort mit den Beinen im Wasser zu planschen oder der Sonne zu frönen.

Es war pure Neugierde.

Unser Schreinerfreund arbeitete, um zu reisen. Er drehte Filme, die wir regelmäßig verschlangen.

Das wollten wir auch.

Wir waren neugierig auf alte Kulturen, neugierig auf andere Menschen, andere Länder.

Unsere Sicht der Dinge begannen sich zu ändern. Wir hinterfragten unsere Ansichten.

 

Wir merkten immer wieder, dass man zum Glücklichsein offensichtlich nicht einmal Geld braucht:

 

Etwa auf dem Marktplatz von Erzurum am Ararat.

30 Schuhputzer saßen mit blitzenden und reich verzierten Schuhbänken fröhlich plaudernd und teetrinkend rund um den Marktplatz –  ohne auch nur einen einzigen Kunden zu haben.

 

Inmitten der Sahara bei einem kleinen Beduinenvölkchen in einer von allem abgeschiedenen Oase, die glücklich und zufrieden mit dem lebten, was dort zu haben ist.

 

In Südtansania, als wir von den sich selbst versorgenden Dorfbewohnern mit einer fröhlichen Herzlichkeit und unbekümmerter Offenheit begrüßt wurden.

 

Als wir einmal aus Persien kommend an der deutsch-österreichischen Grenze mit dem Hinweis und überaus strengem Blick aufgehalten wurden, wir hätten einen Lichtschaden, ein Scheinwerfer sei kaputt, schauten wir uns an: „ Hat der sie nicht noch alle? Ist das tatsächlich so wichtig?“

 

Unser Blickwinkel erweiterte sich. Wir hinterfragten immer häufiger, was in aller Welt wir so treiben.

Wir wurden demütig und lernten, mit dem zufrieden zu sein, was wir hatten.

Das war mal mehr, mal weniger. Provisionen schwanken. Aufträge auch.

Dann essen wir eben mal zwei Wochen lang Kohlsuppe. Was soll´s. Ist das denn wichtig?

 

Erst reisten wir mit und im Renault 4, später im VW Bus.

Wenn man im Renault 4 unterwegs ist und in diesem Auto auch noch schläft – ja, das geht wirklich - dann lernt man sich nicht nur kennen, sondern auch riechen. Wir rochen uns gern.

 

Beide gingen wir davon aus, dass Dietlinde keine Kinder bekommen könne. Welch ein Irrtum. Unverhofft kam Christian zur Welt. Drei Jahre später gesellte sich Elke dazu.

 

Jetzt begannen wir, nach einer „richtigen“ Bleibe zu suchen.

Ein altes, kaputtes Haus, das wir herrichten können, sollte es sein. Geld war ja fast keins da. Rund ums Haus sollte man gehen können.

Hochkantwohnen auf der Treppe eines 3stöckigen Reihenhauses kam nicht in Frage. Die Werkstatt im Keller, schon gar nicht. Ein Haus kaufen und 30 Jahre abbezahlen, erst recht nicht.

 

Unsere Suche dauerte 6 Jahre. Per Fuß, Fahrrad, Auto. Wir klapperten mit unserem Irischen Setter, Andi, die gesamte Umgebung Ismanings ab.

Wenn man 6 Jahre lang sucht, weiß man genau, was man will.

 

Die Gemeinde Ismanings besaß in den Isarauen ein heruntergekommenes, seit Jahren leerstehendes, altes Wasserwerk und wusste nichts damit anzufangen.

Wir schon. Und wie!

 

Wir vereinbarten einen 20 Jahre dauernden Mietvertrag mit Option auf Verlängerung und legten los.

Es war vereinbart, dass wir alle Kosten selbst tragen müssen. Dafür wurde so gut wie keine Miete fällig.

Das Haus war nicht bewohnbar. 

Aber nicht für uns.

Nach einem halben Jahr waren wir drin. Zwar beileibe nicht fertig, aber drin.

 

Wann kommt es schon vor, dass ein Ehemann seine Angetraute über die Schwelle einer Schrottimmobilie trägt und beide überglücklich sind?

Zuerst war die Werkstatt im Haus selbst untergebracht. Dietlinde konnte arbeiten und sich um die Kinder kümmern. Ich düste draußen herum und verkaufte Leuten Dinge, von denen sie glaubten, sie zu brauchen. Wenn ich abends zu Hause war, kümmerte ich mich um Haus und Hof.

 

Auf dem Grundstück befindet sich noch ein zweites kleineres Haus. Das war noch ein funktionierendes halbautomatisches Wasserwerk.

Als in Ismaning die Ruhr ausbrach und dreitausend Menschen krank wurden, behauptete man, wir seien angeblich die Ursache. Man wollte uns sofort aus dem Haus werfen, suchte uns bundesweit mit Haftbefehl.

Wir veranstalteten gerade eine Ausstellung in Wilhelmshafen.

Sie wurde geschlossen. Die Besucher nach Hause geschickt.

Wir wurden kurzfristig verhaftet.

Völlig überzogene und unsinnige Maßnahmen.

Wir waren vorher in Israel zum Tauchen. Wegen der Hitze und der damals noch überirdisch verlaufenen Trinkwasser-leitungen, erkrankten wir an der Ruhr. Das ist dort keine große Sache. Es kam oft vor. Wir wussten das.

Ein Woche Scheißerei, Tee oder Cola trinken und fertig.

 

Aber die Gemeinde Ismaning hatte es „geschafft“, unsere Sickergrube – das Haus ist nicht an die Kanalisation angeschlossen – mit der Trinkwasserversorgung Ismanings kurzzuschließen.

Päng!

Schnell wurde festgestellt, dass man das Oberflächengrundwasser schon der Bauern wegen, nicht mehr trinken sollte. Der von ihnen ausgebrachte Odel sickerte damals innerhalb von einer halben Stunde ins Grundwasser.

 

Das halbautomatische Wasserwerk musste geschlossen werden, Ismaning baute ein neues. Und für uns eine neue Sickergrube.

Weit, weit weg von uns.

 

Unserem Anwalt gelang es, sich gegen die Gemeinde, alle Krankenkassen und Versicherungen zu wehren. Man wollte natürlich sofort über...