Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Heißzeit - Mit Vollgas in die Klimakatastrophe - und wie wir auf die Bremse treten

Heißzeit - Mit Vollgas in die Klimakatastrophe - und wie wir auf die Bremse treten

Mojib Latif

 

Verlag Verlag Herder GmbH, 2020

ISBN 9783451819612 , 192 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

15,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Heißzeit - Mit Vollgas in die Klimakatastrophe - und wie wir auf die Bremse treten


 

Die Welt am Rande des Abgrunds


Die Grenzen des Wachstums


Die Klimakrise ist Teil eines übergeordneten Pro­blems. Die Art der Menschheit, auf der Erde zu leben, ist nicht nachhaltig, d. h. ihr Lebensstil geht zu Lasten der nachfolgenden Generationen. Symptome dafür, dass sich die Menschheit auf einem schlechten Weg befindet, gibt es zuhauf. Der Rückgang der Artenvielfalt ist neben der Klimakrise ein weiteres Symptom. Unter allen Planeten in unserem Sonnensystem weist nur die Erde lebensfreundliche Verhältnisse auf ihrer Oberfläche auf, und deswegen vermochte nur sie es, Leben hervorzubringen. Leben in Hülle und Fülle, von Kleinstlebewesen wie dem Einzeller bis zum Blauwal, dem größten Lebewesen, das jemals auf der Erde gelebt hat. Viele Lebensformen sind bereits dem Treiben der Menschheit zum Opfer gefallen und unwiderruflich vom Planeten verschwunden. Auch der Klimawandel trägt zum Artensterben bei. Indirekt, weil er ein zusätzlicher Stressfaktor neben den vielen anderen für die Lebewesen ist. Und auch direkt. So könnten in nicht zu ferner Zukunft die tropischen Korallen Opfer der steigenden Temperaturen werden, weil sie sich an eine übermäßige Erwärmung des Meerwassers nicht werden anpassen können. Der Verlust an Biodiversität hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen, mit einer in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesenen Aussterberate, was zunehmend auch ihr Wohlergehen gefährdet.28 Das Bienensterben ist nur ein ganz kleiner Aspekt dieses globalen Pro­blems. Schwamm drüber! The show must go on. Die Menschheit könnte ganz anders auf der Erde leben. Und der überwiegende Teil der Weltbevölkerung würde dabei so viel gewinnen. Verzichten müssten nur die, die den blauen Planeten aus purem Eigennutz gnadenlos ausbeuten.

Die Menschheit wird das Klimapro­blem nicht in Isolation lösen können. Sie muss den Weg in die Nachhaltigkeit finden. Dadurch würde man mehrere der drängenden Pro­bleme auf einmal lösen, denen sich die Menschheit gegenübersieht. Der CLUB OF ROME29 gilt als eine Art Urvater der modernen Nachhaltigkeitsforschung. Nachhaltig ist nach der Definition der sogenannten Brundtland-Kommission30 aus dem Jahr 1987 eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“.31 Der CLUB OF ROME ist ein loser Zusammenschluss von Experten verschiedener Fachrichtungen aus vielen Ländern. Er wurde 1968 vom italienischen Industriellen Aurelio Peccei und dem schottischen Wissenschaftler Alexander King gegründet. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit ein und kann als eine Denkfabrik verstanden werden. Die Gruppe um Peccei und King erkannte, dass sich die Menschheit nicht nur auf einem schlechten Weg befindet, sondern auch, dass der technologische Fortschritt die gewaltigen Pro­bleme, vor denen sie steht, nicht lösen könne, ein für die damalige Zeit geradezu revolutionärer Gedanke.

Der CLUB OF ROME definierte 1970 die Weltproblematik (World Pro­blematique).32 Sie ist ein Satz von komplexen Pro­blemen politischer, sozialer, ökonomischer, technologischer, psychologischer, kultureller und die Umwelt betreffender Art, die die Lebensgrundlagen auf der Welt langfristig bedrohen. Das Angehen der Weltproblematik und deren Lösung erfordern naturgemäß systemisches Denken, das zum Beispiel die komplexen Interaktionen zwischen Ressourcenverbrauch, Umwelt und Wirtschaft berücksichtigt. Der amerikanische Informatiker Jay Wright Forrester, ein Pionier der Informatik und der dynamischen Systemwissenschaften – er studierte damals mithilfe von Computersimulationen komplexe industrielle Pro­bleme –, schlug den Mitgliedern des CLUB OF ROME vor, ihre ­Ideen mit einem Computermodell wissenschaftlich zu untermauern und die zukünftige Weltentwicklung unter Annahme bestimmter Szenarien zu simulieren. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Dennis Meadows wurde mit der Leitung eines entsprechenden Forschungsprojekts betraut, das die deutsche VW-Stiftung mit einer Million Mark finanzierte.33

Forrester und Meadows entwickelten ein Weltmodell, das vordergründig relativ einfach ist und auf nur fünf Parametern basiert: Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, Indu­strialisierung, Verschmutzung und Verbrauch nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen. Die Interaktionen zwischen den fünf Größen wurden in Form mathematischer Gleichungen dargestellt, die mit einem Computerprogramm gelöst wurden. Mit dieser virtuellen Welt konnte man jetzt experimentieren, einzelne Faktoren verändern und sehen, welche Entwicklungen sich ergeben. Zum Zeitpunkt der Studie nahmen alle fünf Faktoren zu. Das Team um Forrester und Meadows war vor allem an der Möglichkeit einer nachhaltigen Weltentwicklung interessiert, die durch eine Veränderung der Wachstumstrends in den fünf Parametern erreicht werden sollte. Sie betrachteten Szenarien mit unterschiedlich hoch angesetzten Rohstoffvorräten der Erde oder mit unterschiedlicher Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion, mit unterschiedlichen Geburten- und Sterberaten oder unterschiedlichen Verschmutzungsgraden. Bei solchen Rechnungen handelt sich um sogenannte Projektionen, weil die Ergebnisse von der Wahl des Szenarios abhängen. Vorhersagen im engeren Sinne des Wortes waren die Computersimulationen des CLUB OF ROME nicht. Die Berechnungen lieferten jedoch wichtige Hinweise auf das Systemverhalten.

Vier Jahre nach seiner Gründung veröffentlichte der CLUB OF ROME 1972 die Ergebnisse der Computersimulationen in dem Bericht Die Grenzen des Wachstums.34 Die Studie schlug ein wie eine Bombe und katapultierte den CLUB OF ROME schlagartig ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Der Bericht wurde in 30 Sprachen übersetzt, und es wurden viele Millionen Exemplare der Studie verkauft. Die Studie stellte das Prinzip des unbegrenzten Wachstums infrage, welches vor Erscheinen des Berichts noch als allgemeingültig galt. Die Botschaft des CLUB OF ROME war so klar wie einleuchtend: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Indu­strialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Und es seien „ganz neue Vorgehensweisen“ erforderlich, damit nicht „die Umwelt irreparabel zerstört oder die Rohstoffe weitgehend verbraucht würden“.

Diese Botschaft ist aktueller denn je. In der Tat ist die Menschheit auf Kollisionskurs mit dem Planeten. Dies ist unübersehbar und wird weder von den meisten Politikern noch vom überwiegenden Teil der Wirtschaftseliten bestritten. Trotzdem schafft es die Menschheit nicht, die Umkehr in eine nachhaltige Lebensweise einzuleiten. Der enorme Handlungsdruck wurde auf dem 50. Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos überdeutlich. Die vorherrschende Meinung auf dem Forum war, dass die Menschheit über ihre Verhältnisse lebe, was die Lebensbedingungen auf der Erde und nicht zuletzt auch die Weltwirtschaft gefährde. Das Thema Klimawandel stand in Davos im Mittelpunkt der Diskussionen, und die Teilnehmer waren sich größtenteils einig, dass die Welt nicht genug für die Begrenzung der Erderwärmung tue. Einer, der sich dieser Sichtweise nicht anschließen wollte, war, nicht ganz überraschend, der amerikanische Präsident Donald Trump. Er beschimpfte lieber die Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Zum Glück spricht Trump nicht für ganz Amerika.

Die Organisation Global Footprint Network35 berechnet mithilfe des ökologischen Fußabdrucks den sogenannten „Earth Over­shoot Day“,36 den Erdüberlastungstag. Dieser ist ein Indikator für den Ressourcenverbrauch und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt. Der Earth Over­shoot Day fiel 2019 auf den 29. Juli. An diesem Tag waren schon die gesamten nachhaltig nutzbaren Ressourcen der Erde für das Jahr verbraucht, die der Weltbevölkerung rechnerisch zur Verfügung stehen. Damit hatte die Menschheit den Ökosystemen schon nach sieben Monaten mehr Holz, Pflanzen, Futtermittel oder Fisch entnommen, als während des Jahres generiert werden können. Hinzu kommen die Treibhausgase wie CO2, von denen die Menschheit viel mehr in die Atmosphäre ausstößt, als auch nur ansatzweise von den natürlichen Kreisläufen aufgenommen werden können. Derzeit machen die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe ­ungefähr 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit aus. Die Folgen der Übernutzung des Planeten werden immer offensichtlicher. Dabei ist die globale Erwärmung „nur“ ein Symptom unter vielen. Andere Symptome für den Mangel an Nachhaltigkeit sind der oben schon erwähnte Rückgang der Artenvielfalt, die Überfischung der Weltmeere, die Abholzung der Wälder, die Degradation der Böden, die wachsenden Müllberge auf dem Land oder die zunehmende Plastikflut in den Ozeanen. Zu den Symptomen zählt aus meiner Sicht ebenfalls das Auseinanderdriften von Arm und Reich in vielen Ländern.

Im Prinzip lebt die Weltbevölkerung so, als hätte sie 1,75 Erden zur Verfügung, stellt das Global Footprint Network fest. Da es nur die eine Erde gibt, leben die Menschen also auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Der Earth Over­shoot Day ist 2019 im Vergleich zu 2018 noch einmal um drei Tage nach vorne gerückt. Hierbei handelt es sich um einen langfristigen Trend, d. h. die Überbeanspruchung der Erde beschleunigt sich. Dies wird deutlich, wenn man die Entwicklung des Earth Over­shoot Day über die Jahrzehnte verfolgt. Im Jahr 1987 fiel der Erdüberlastungstag noch...