Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Klimakrise: Die Erde rechnet ab - Wo wir handeln müssen und was wir tun können, um unsere Zukunft zu retten - Mit 200 konkreten Tipps

Klimakrise: Die Erde rechnet ab - Wo wir handeln müssen und was wir tun können, um unsere Zukunft zu retten - Mit 200 konkreten Tipps

Claus-Peter Hutter

 

Verlag Heyne, 2020

ISBN 9783641273354 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Klimakrise: Die Erde rechnet ab - Wo wir handeln müssen und was wir tun können, um unsere Zukunft zu retten - Mit 200 konkreten Tipps


 

Wenn das Klima krank macht

Angriff der Insekten und anderer Plagegeister

»Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.«

Charles Darwin (1809–1882)

Ein schöner Sommerabend in Reinbek bei Hamburg. Anna kann sich später an den Ausbruch der Krankheit nur bruchstückhaft erinnern: »Wir saßen mit Freunden auf der Terrasse beim Italiener. Ganz plötzlich hatte ich schlimme Kopfschmerzen. Der Schmerz war so penetrant, dass ich nicht weiteressen konnte. Der Lärm in dem Restaurant, die schlechte Luft, die Enge, die vielen Menschen …« Ihrem Mann Jens war aufgefallen, dass Anna einen heftigen Schweißausbruch hatte. Die lecker duftende Dorade auf Annas Teller blieb ebenso unangetastet wie die Rosmarinkartöffelchen und das bunt-knackige »mediterrane« Gemüse. Sie hörte noch, wie ihre Freundin von einer »Sommergrippe, die gerade grassiert« sprach und ihr Mann den Kellner rief, um zu bezahlen.

Als Anna endlich zu Hause im Bett lag, hatte sie obendrein Schmerzen in den Gelenken. »Mir taten die Knochen so weh, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Es war unbeschreiblich!«, sagt sie. »Es war so schlimm, dass Jens mir auf die Toilette helfen musste – ich konnte mich einfach nicht mehr allein von A nach B bewegen.« Ihre Temperatur war innerhalb kürzester Zeit auf knapp unter 40 Grad hochgeschnellt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Anna so hohes Fieber. Der Arzt sprach von »typischen Grippesymptomen«, verordnete strenge Bettruhe und schrieb Anna arbeitsunfähig. Tatsächlich ging es ihr nach zwei Tagen etwas besser. Doch schon bald kehrten die Beschwerden mit aller Macht zurück. Die Lymphknoten waren geschwollen. Ein stark juckender rötlicher Ausschlag quälte die junge Frau. »Ich war so furchtbar erschöpft, dass ich ohne die Hilfe meines Mannes das Bett nicht mehr verlassen konnte.« Spätestens da waren Anna und Jens sich im Klaren darüber, dass das keine gewöhnliche Grippe sein konnte. Während der Hausarzt des Paares immer noch von einer schweren Erkältung ausging, war ein befreundeter Nachbar aufgrund von Annas Hautveränderungen gleich misstrauisch. »Wenn du mich fragst, spricht alles für Denguefieber oder was Ähnliches«, sagte der weitgereiste Fruchtimporteur bei einem Gespräch über den Gartenzaun. »Ich kenne solche Symptome nur von unseren Mitarbeitern in den Tropen.« Jens schloss das rigoros aus. »Wir waren noch nie in den Tropen – unsere weiteste Reise in den letzten Jahren ging nach Südtirol.«

Jens und Anna konnten nicht ahnen, dass entweder die Regentonne oder die großen Untersetzer der dekorativen Terrakotta-Blumentöpfe in ihrem eigenen Garten oder in der Nähe während des Sommers zur »Brutstätte« für die mittlerweile in Deutschland weitverbreitete Gelbfieber-Mücke (Stegomyia aegypti, auch als ägyptische Tigermücke bekannt) geworden ist. Die Mücke kann das Virus übertragen und kommt seit der Klimaerwärmung vor allem an Stadt- und Ortsrändern sowie auf Friedhofsarealen vor. Auch die asiatische (Stegomyia albopictus) und die polynesische Tigermücke (Stegomyia polynesiensis) sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Alle drei verbreiten das Dengue-Virus (A90, klassische Dengue oder A91 Hämorrhagisches Dengue-Fieber1 oder Gelbfieber2 A95) und brauchen keine besonderen Bedingungen, um sich fortzupflanzen. Kleine Pfützen oder stehendes Wasser in Eimern und Regentonnen reichen völlig aus. Es sind ideale Brutplätze. Ist das weibliche Insekt bereits mit den Viren infiziert, können die Erreger des Dengue-Fiebers oder auch des Gelbfiebers direkt an die Nachkommen weitergegeben werden. Sticht die Mücke, kann das Virus übertragen werden. Auch durch das Blutsaugen an einem mit Dengue-Fieber erkrankten Menschen kann sich das Insekt »anstecken« und dann das Virus weitergeben.

Anna war schockiert, als man ihr im Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg die Diagnose verkündete. »Wir müssen Ihre Erkrankung nach dem deutschen Infektionsschutzgesetz an das Gesundheitsamt melden«, sagte der Arzt, als die Diagnose feststand. In Annas Blut waren bereits Antikörper nachweisbar. Mit fiebersenkenden Medikamenten konnte ihr jedoch geholfen werden. »Sie haben Glück gehabt, dass die Gabe von Blutkonserven und eine intensivmedizinische Behandlung bei Ihnen nicht notwendig waren.«

Früher wurde Dengue-Fieber von Fernreisenden als hässliches »Andenken« aus den Tropen mitgebracht – heute werden immer mehr Fälle in Deutschland gemeldet. 2016 waren es bereits rund dreihundert Fälle. Schwere Krankheitsverläufe können tödlich enden, aber das ist zum Glück noch selten. Bei dem sogenannten Dengue-Hämorrhagischen-Fieber (DHF) kann es zu Blutungskomplikationen kommen, wenn die Anzahl der Blutplättchen zu stark abnimmt. Beim Dengue-Schock-Syndrom (DSS) kann das Herz den Blutfluss nicht aufrechterhalten – lebenswichtige Organe sind dann unterversorgt und können versagen.

Noch immer kann Anna es nicht fassen, dass sie sich mitten in Deutschland fern der Tropen mit einer »tropischen Krankheit« infiziert hat. »Die starken Gliederschmerzen bleiben mir unvergessen«, sagt sie. Übrigens: Dengue-Fieber wird auch als »Knochenbrecher-Krankheit« bezeichnet. »Ich weiß jetzt, warum«, sagt sie. Sie habe sich gefühlt wie eine uralte Frau.

Erreger und ihre Wirte auf dem Weg Richtung Norden

Der weltweite Klimawandel macht es möglich: Erreger, die es früher nur in den Tropen oder Subtropen gab, sind mittlerweile immer häufiger auch im Norden anzutreffen. Die Zuwanderung sogenannter Vektoren,3 also Stechmücken, Zecken und Milben, welche die Infektionen übertragen, sind zu einer sehr realen Gefahr geworden. Dengue-Fieber und Gelbfieber sind die besten Beispiele für den Trend.

In den Tropen ist Dengue vor allem in Städten ein großes Gesundheitsproblem. Viele Millionen Menschen sind dort bereits erkrankt. Ein besonderes Risiko besteht in Monaten mit starken Regenfällen und hoher Feuchtigkeit, wie es während der indischen Monsunzeit der Fall ist. Erinnern wir uns an die letzten Supersommer in Deutschland: brütende Hitze einerseits und Regen mit hoher Luftfeuchtigkeit andererseits beherrschten die Wetterlage! Machten früher strenge Winter den wärmeliebenden Erregern beziehungsweise deren Überträgern das Überleben in Mitteleuropa schwer, sind heute tiefe Temperaturen über einen längeren Zeitraum kein Problem mehr. Erreger sind anpassungsfähig, die Evolution macht sie flexibel: Mittlerweile gibt es sogenannte kältetolerante Stämme vom Tigermoskito (Stegomyia albopictus). Und diese verbreiten sich problemlos auch in kühleren Klimazonen.

Aber was sind schon kühlere Klimazonen? In den letzten fünfundzwanzig Jahren sind Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie andere Länder Mitteleuropas für Insekten, die Tropenkrankheiten übertragen können und eigentlich in den Tropen leben, immer gastfreundlicher geworden. Denn der »klassische« Winter ist vielerorts nur noch mithilfe von Schneekanonen zu garantieren.

Längst schlagen Epidemiologen und Virologen bei den Gesundheitsämtern in Deutschland Alarm. Sie befürchten, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sich auch andere Tropenkrankheiten wieder in Mitteleuropa ausbreiten und fest etablieren. Ursprünglich gab es Tigermoskitos in Europa nicht. Doch seit einigen Jahren werden sie immer häufiger gesichtet. Diese Stechmücken gelten als effiziente Überträger verschiedener Infektionskrankheiten – Dengue-Fieber und Gelbfieber sind nur zwei dieser Erkrankungen. Für Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht schon lange kein Zweifel mehr, dass der Klimawandel die Gesundheit der Menschen gefährdet. Brütende Hitze, schlechte Luft und die damit verbundene Verbreitung von Infektionskrankheiten sind als Folgen der Erwärmung ein gesellschaftlich noch völlig unterschätztes Problem. Mit einer immer stärker werdenden Einwanderung von Krankheitserregern muss daher gerechnet werden. Dazu gehört etwa auch das »Balkan-Grippe« genannte Q-Fieber. Diese auch als Keimfieber bezeichnete Infektion fängt mit erhöhter Temperatur, Mattigkeit, Schüttelfrost sowie Glieder- und Kopfschmerzen an. Doch es kann auch zu Entzündungen der Leber und der Lunge kommen. In schweren Fällen führt das Q-Fieber zur Zerstörung der Herzklappen. Auch Durchfall-Erkrankungen, an denen vor allem Kinder sterben, werden durch die Klimaerwärmung begünstigt.

Verbreitet wird das Q-Fieber (A78) ebenso wie die »Hundemalaria« Babesiose über die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus), eine Zeckenart, die sich erst seit etwa Ende der 1970er-Jahre stark nach Norden ausgebreitet hat und insbesondere warme Gebiete entlang des Oberrheins (Erstnachweis 1973) sowie in Brandenburg (Erstnachweis 2006) besiedelt. Ursprünglich war diese vollgesogen rund 15 Millimeter große Zeckenart, die auch die Hasenpest (Tularämie A21) übertragen kann, in Ungarn, Österreich, Norditalien und anderen Regionen Südosteuropas verbreitet. Eingeschleppt wurden die Blutsauger wohl über streunende Hunde, die wohlmeinende Tierfreunde in urlaubsseliger Stimmung und oft falsch verstandener Liebe zur Kreatur als lebendiges, aber für Natur und Mensch gefährliches Souvenir mitgebracht haben. Gut gemeint ist wie so oft im Leben auch hier das Gegenteil von gut. Inzwischen sind die Auwaldzecken, begünstigt durch die erhöhten Temperaturen der letzten Jahre, bei uns fest etabliert und breiten sich weiter aus – und damit auch die potenziellen, von ihnen...