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Psychologie Heute 08/2020 - Emotional durchlässig

Psychologie Heute 08/2020 - Emotional durchlässig

Psychologie Heute Redaktion

 

Verlag Beltz - Psychologie heute, 2020

ISBN E082003401677 , 108 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

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Psychologie Heute 08/2020 - Emotional durchlässig


 

Ein Freund von mir war Lehrer, bis er mit 65 in den Ruhestand ging. Manchmal schimpfte er über Kollegen, manchmal kämpfte er mit Eltern, manchmal nervte ihn ein Schüler der Kreuzberger Grundschule oder er stritt mit seiner Rektorin. Aber die meiste Zeit ging er tatkräftig jeden Tag in die Schule, war jedem Kind zugewandt, nie zweifelnd, nie kraftlos. Das habe ich sehr bewundert.

Denn Lehrer zu sein ist zwar ein erfüllender, aber auch sehr belastender Beruf, das zeigen Studien immer wieder: Lehrer gehören zu den Berufsgruppen mit dem höchsten Krankenstand wegen Erschöpfung und Stresssymptomen. „Die Gründe hierfür sind multifaktoriell und es ist sehr individuell, was einen Menschen belastet“, erzählt mir Nicola-Hans Schwarzer. Es können herausfordernde Schüler sein, Konflikte mit Eltern oder die zweigeteilte Arbeit zwischen Schule und Zuhause. Nicola-Hans Schwarzer ist Sonderschullehrer. In seiner Promotion hat er untersucht, wie die Fähigkeit zu mentalisieren Pädagogen helfen kann, gesund zu bleiben.

Mentalisieren ist ein Konzept, das bislang hauptsächlich in der Psychotherapie, zum Beispiel mit Borderlinepatienten angewandt wird und das maßgeblich von dem englischen Psychoanalytiker Peter Fonagy entwickelt wurde. Es meint – verkürzt gesagt –, dass wir uns eine Vorstellung davon machen, welche Gefühle und Antriebe unser Gegenüber hat, und diese reflektieren. Und das Gleiche auch mit unseren eigenen Emotionen tun. „Klar fühlen“ nannte ein Therapiepatient Fonagys das einmal, anstatt sich von Wut oder Angst überfluten zu lassen. „Wenn Mentalisieren im klinischen Bereich so viele positive Auswirkungen hat, müsste es doch zu übertragen sein und auch im Alltag von Pädagogen gesundheitsfördernde Effekte haben“, sagt Schwarzer über seine Annahme. „Und das hat sich in meiner Studie dann ja auch gezeigt.“

Er gibt mir ein Beispiel, wie Mentalisieren das Stressempfinden von Lehrern verändert: „Wenn ich das herausfordernde Verhalten eines Schülers erlebe, kann ich eine einfache Zuschreibung vornehmen wie ,Der will mich ärgern‘ oder ,Der ist blöd‘. Aber wenn ich mentalisierend über den Jungen nachdenke – warum verhält er sich so, warum hat er sich diese Strategie angeeignet? –, bewerte ich ihn womöglich neu, reagiere im Moment anders und nehme auch meine eigenen Gefühle anders wahr.“ Werde dieser reflektierende Umgang mit Emotionen in der Supervision geübt, könne man „rigide Positionen verlassen, erlebten Stress neu bewerten und andere Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen“, bilanziert Schwarzer: Das Mehr an Distanz zu den eigenen Gefühlen bietet das entscheidende Mehr an Schutz. Wir alle sind in diesem Jahr starken psychischen Belastungen ausgesetzt. Wie bleiben wir da offen für die Menschen um uns herum, die zum Teil wütend sind und Angst haben, und schützen uns gleichzeitig selbst? Das haben wir in unserer Titelgeschichte ab Seite 16 gefragt. Mentalisieren ist eine der Antworten auf diese Frage.