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Die Wirecard-Story - Die Geschichte einer Milliarden-Lüge - Das Buch zum Dokumentationsfilm von ARD und Sky

Die Wirecard-Story - Die Geschichte einer Milliarden-Lüge - Das Buch zum Dokumentationsfilm von ARD und Sky

Volker ter Haseborg, Melanie Bergermann

 

Verlag FinanzBuch Verlag, 2020

ISBN 9783960927761 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Die Wirecard-Story - Die Geschichte einer Milliarden-Lüge - Das Buch zum Dokumentationsfilm von ARD und Sky


 

Kapitel 2

Zwei Österreicher und ein Start-up


Wie Markus Braun und Jan Marsalek zu Wirecard kommen


Am S-Bahnhof Erding, vor den Toren Münchens, wartet an einem Montagnachmittag im Juli 2020 Detlev Hoppenrath: ein schlaksiger Mann, 58 Jahre alt, kurze blonde Haare, Brille, drahtiger Typ. Seine Cargohose passt zum Geschäft seiner neuen Firma – sie vertreibt Campingkocher in 80 Länder. Hoppenrath hat sie selbst entwickelt.

In diesen Tagen denkt Hoppenrath aber viel mehr an Wirecard. Ohne ihn hätte es die Firma, die früher Wire Card hieß und die später bis in die erste Börsenliga DAX aufsteigt, womöglich nie gegeben.

Er hat den Namen erfunden, er ist der Gründer der Wire Card AG. Hoppenrath war es, der den langjährigen Vorstandschef Markus Braun engagiert und auch Vorstand Jan Marsalek entdeckt hat. Wenn er über die Zeit spricht, wird Hoppenrath emotional. »Mein größter Fehler war es, diese beiden Typen einzustellen«, sagt er.

Hoppenrath bittet in ein Café in der Altstadt, sucht einen Tisch im Außenbereich aus, bestellt eine Spezi und erzählt von seiner Geschäftsidee im Jahr 1998. Zur selben Zeit wie Paul Bauer kommt auch Hoppenrath auf die Idee, eine Software entwickeln zu lassen, mit der sich Zahlungen im Internet abwickeln lassen. »Die Banken hatten keine Ahnung davon und keinen Plan«, sagt er. Hoppenrath hingegen hatte einen Plan: Zuvor arbeitete er für den Deutschland-Ableger des US-Konzerns Bowne Global Solutions, ein Unternehmen, das Software in verschiedene Sprachen übersetzt. Das Internet fasziniert ihn. Hoppenrath hält bereits Patente für sichere Übertragungstechnologien über das Internet. Damit will er nun selbst eine Firma gründen.

Ein Risikokapitalgeber gibt ihm 4 Millionen D-Mark, um seine Idee zu verwirklichen. Hoppenrath engagiert ein paar Entwickler, die er zunächst in dem Büro einer IT-Firma in München unterbringt. Sie entwickeln »ein Verfahren und System zur automatischen Abwicklung von bargeldlosen Kaufvorgängen«, wie es im Bericht zum Patent mit der Nummer DE 100 08 280 C 1 später heißen wird.

Damit ist eine Software gemeint, die Kreditkartenfirmen, Onlinehändler und ihre Kunden verknüpft, eine Schnittstelle also. Sie sorgt dafür, dass die Bezahldaten des Kunden beim Einkauf im Netz an den Onlinehändler und an die Kreditkartenorganisationen geleitet werden. Sie analysiert binnen kürzester Zeit, ob der Kunde vertrauenswürdig und seine Zahlung plausibel ist. Sie verbindet die Kreditkarte also sozusagen mit dem Internet. Deshalb nennt Hoppenrath sein Unternehmen »Wire Card«. Später gibt es für diese Art von Unternehmen einen feststehenden Begriff: Payment Service Provider, kurz PSP. »Wir waren damals ziemlich vorne damit«, sagt Hoppenrath. Noch heute ist er stolz darauf.

Hoppenrath hat damals also eine Technologie, um Zahlungsinformationen weiterzuleiten. Das allein aber reicht noch nicht. Damit nach einem Einkauf im Internet die Bezahlung auch abgewickelt werden kann, das Geld also vom Konto des Kunden auf dem Konto eines Händlers ankommt, braucht es immer auch eine Bank, die das Geld transportiert – in der Branche wird sie »Acquirer« genannt. Hoppenrath gewinnt die amerikanische Citibank als Partner. »Die anderen Banken haben uns alle ausgelacht.«

Über 30 Mitarbeiter hat Hoppenrath bald eingestellt. Er bezieht repräsentative Büroräume in einem Altbau in Münchens edlem Stadtteil Lehel, direkt an der Isar. Das Büro hatte damals hohe Decken und Fenster, Stuck, Parkett. Von der Decke hing ein Kronleuchter, erinnern sich ehemalige Mitarbeiter.

Heute residieren in dem Gebäude mit der aufwendig vergoldeten Fassade eine Schönheitschirurgin und eine Versicherung.

Hoppenrath ist, wie auch Paul Bauer-Schlichtegroll, ein Vordenker; einer, der andere mitreißen kann, auch potenzielle Investoren. Als er im Jahr 2000 noch einmal Geld braucht, um sein System zu Ende zu entwickeln, gewinnt er den Kapitalgeber Kappa IT Ventures, der ihm einen zweistelligen Millionen-D-Mark-Betrag gibt.

Hoppenrath kann damit weitere Mitarbeiter anwerben. Einer der Ersten, die jetzt neu hinzustoßen, ist ein junger Österreicher, gerade mal 20 Jahre alt: Jan Marsalek.

Ende der 1990er-Jahre ist Marsalek noch Schüler am Bundesgymnasium Klosterneuburg, 20 Autominuten von der Wiener Innenstadt entfernt. Nebenbei arbeitet er beim Start-up Gentics Net.Solutions. Im Rahmen eines Schulprojekts fiel dem Gründer des Start-ups auf, dass Marsalek ein begnadeter Programmierer ist. Die beiden bauen fortan gemeinsam Onlineshops auf, suchen hierfür Zahlungsabwickler und landen schließlich bei Hoppenrath. Der würde Gentics am liebsten übernehmen. Der Gentics-Gründer aber lehnt ab.

Dafür wirbt Hoppenrath um Marsalek, der damals noch nicht mal die Matura, das österreichische Abitur, hat. Marsalek habe Stress mit der Familie gehabt und wollte weg, sagt Hoppenrath. Marsalek sei ein begabter Programmierer gewesen. Zusammen mit dem Gentics-­Gründer habe er eine Anwendung geschaffen, mit der man über das Handy einkaufen kann. Das imponiert Hoppenrath.

Als Marsalek im Frühjahr 2000 in München seinen Dienst als »Director Technology« bei Wire Card antritt, verdient er etwa 9000 D-Mark im Monat. Kollegen beschreiben den schlaksigen jungen Mann mit den kurz geschorenen Haaren, der gerne Jeans und T-Shirt trägt, als »Buberl«. Das Verhältnis zu seiner Familie ist weiterhin nicht das allerbeste. Wenn Marsaleks Mutter wissen will, wie es ihrem Sohn geht, ruft sie Hoppenrath an.

Einen Führerschein hat Marsalek damals wie auch heute nicht, er fährt mit dem Taxi überall hin, erzählen Kollegen von damals, die Marsalek als fröhlichen und wohlerzogenen jungen Mann mit dem typisch wienerischen Charme erleben, der den Damen stets die Tür aufhält. Nur nach der Arbeit zeigt er, dass er auch anders kann: beim Kampfsport.

Tagsüber jedoch stürzt sich Marsalek in die Arbeit. Er zieht Projekte an sich und beeindruckt Hoppenrath mit seinen Programmierkenntnissen so sehr, dass dieser ihn schon bald zum CTO, also zum Cheftechniker, befördert. Hoppenrath vertraut ihm das Projekt »Wire Card 2.0« an. Vom Erfolg dieses Projekts habe damals das Wohl der ganzen Firma abgehangen, sagt Hoppenrath heute. Die gesamte Bezahlplattform der Wire Card sollte neu programmiert werden. Die erste Version sei eine »wilde Sammlung« gewesen, weil sie ohne Konzept programmiert war. Die Version 2.0 sollte Wire Card noch schneller machen, noch breiter aufstellen. Regelmäßig habe er sich den Fortschritt berichten lassen, sagt Hoppenrath. Regelmäßig habe Marsalek ihm versichert, dass alles nach Plan laufe. Später aber sei aufgeflogen, dass es »eigentlich gar nichts« gab, sagt Hoppenrath. »Er hat mich monatelang angelogen.«

Ein damaliger IT-Kollege von Marsalek sagt: »Es ist nie so fertig geworden, wie es geplant war. Alles, was von Marsalek nachgepflegt werden sollte, Management-Tools, Verwaltungs-Tools, hat irgendwie gefehlt.«

Hoppenrath degradiert Marsalek, feuert ihn aber nicht. Das ärgert ihn noch heute. »Ich hätte vielen Menschen viel Ärger erspart.« Hoppenrath wirkt aufrichtig betroffen.

Der Gründer von Wire Card ist eher ein Visionär als ein Umsetzer. Seine Mitarbeiter nennen ihn damals wie heute »Hoppi«. Er selbst sagt: »Ich war viel zu unerfahren.«

Hoppenrath verzettelt sich. Er lässt die Programmierer entwickeln und entwickeln, will die perfekte Plattform, vergisst darüber hinaus aber, dass seine Firma auch Geld verdienen und die Plattform verkaufen muss. Anders als Bauers Truppe in Hallbergmoos kümmern sich die Wire-Card-Mitarbeiter zu wenig um den Vertrieb. Von Kunden aus der Pornobranche wollen die Münchner ohnehin nichts wissen. Hoppenrath lehnt diese Klientel grundsätzlich ab, wie mehrere aus der Firma berichten. Das ist ein großer Fehler, zumindest was das Finanzielle angeht.

Während Pornoanbieter und auch Betreiber von Onlinecasinos hohe Gebühren dafür akzeptieren, dass jemand ihre Zahlungen abwickelt, kann Wire Card mit seinen ersten Kunden wie dem Ticketversender CTS Eventim oder dem Supermarkt Spar nur einen Bruchteil von dem verdienen, was Bauers Truppe reinholt.

Wire Card wird bald einen zweistelligen Millionenbetrag verbrannt haben. Die Investoren werden nervös und fordern, dass sich Hoppenrath Hilfe holt. Der Vorstandschef engagiert die Unternehmensberater von KPMG, die im Oktober 2000 einen 30-jährigen Österreicher als Krisenmanager entsenden: Er heißt Markus Braun.

Braun hat Wirtschaftsinformatik in Wien studiert und Mitte der 1990er-Jahre seinen ersten Job bei einer Unternehmensberatung angetreten. Parallel schreibt er seine Doktorarbeit. Hierfür entwickelt er ein Modell, das die Geschwindigkeit von Computerprogrammen vorhersagen soll – »ein höchst anspruchsvolles Thema«, sagt Gabriele Kotsis, Informatikprofessorin an der Universität Linz und damals Betreuerin von Brauns Dissertation. »Aber der Markus hat sich da durchgebissen.« Er habe sich sehr intensiv und angestrengt in das Thema gekniet, sodass sein Kopf hochrot gewesen sei. Ihn habe auch der Vergleich mit seiner Schwester angespornt, die sich für ein Jurastudium entschieden hatte und mit scheinbar weniger Aufwand vor ihm zu einem Abschluss kommen konnte, sagt Kotsis. »Er hat einen beeindruckenden Ehrgeiz, der letztendlich auch mit einer sehr guten Beurteilung der Arbeit belohnt wurde.« Sein erster Chef in der Unternehmensberatung Contrast Management Consulting ist genauso beeindruckt: »Es war schon damals absehbar, dass Markus Braun nach Höherem strebt«, sagt Werner Hoffmann.

Auch Hoppenrath ist begeistert von dem...