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Ein verheißenes Land

Ein verheißenes Land

Barack Obama

 

Verlag Penguin Verlag, 2020

ISBN 9783641230364 , 1024 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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26,99 EUR

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Ein verheißenes Land


 

VORWORT


Ich begann dieses Buch kurz nach dem Ende meiner Präsidentschaft zu schreiben – nachdem Michelle und ich ein letztes Mal die Air Force One bestiegen hatten und in einen lang aufgeschobenen Urlaub im Westen gereist waren. Die Stimmung an Bord war bittersüß. Wir waren beide körperlich wie emotional ausgelaugt. Nicht nur von den Anstrengungen der vergangenen acht Jahre, sondern auch von den unerwarteten Resultaten einer Wahl, durch die jemand zu meinem Nachfolger bestimmt worden war, der in allem das exakte Gegenteil von dem verkörperte, wofür wir standen. Trotzdem, nachdem wir unseren Teil getan hatten, um den Stab übergeben zu können, erfüllte es uns mit Zufriedenheit, zu wissen, dass wir unser Bestes gegeben hatten. Und egal, wie oft ich als Präsident versagt hatte, welche Projekte ich hatte verwirklichen wollen, bei denen ich aber gescheitert war – das Land stand jetzt besser da als zu Beginn meiner Amtszeit. Einen Monat lang schliefen Michelle und ich aus, aßen geruhsam zu Abend, unternahmen lange Spaziergänge, schwammen im Meer, zogen Bilanz, frischten unsere Freundschaft auf, entdeckten unsere Liebe neu und planten einen weniger ereignisreichen, aber hoffentlich nicht weniger erfüllenden zweiten Akt. Als ich bereit war, wieder an die Arbeit zu gehen, und mich mit Stift und gelbem Block hinsetzte, da hatte ich schon einen klaren Entwurf des Buchs im Kopf. (Ich schreibe Dinge immer noch gern mit der Hand auf, weil ich finde, dass ein Computer selbst meinen gröbsten Skizzen zu viel Glanz und halb garen Gedanken den Anschein von Ordnung verleiht.)

Zuallererst hoffte ich, eine ehrliche Darstellung meiner Zeit im Amt zu liefern – nicht bloß ein historisches Protokoll der Schlüsselereignisse während meiner Amtszeit und der wichtigen Personen, mit denen ich zu tun hatte. Mir ging es auch um einen Bericht über einige der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegenströmungen, die dazu beitrugen, den Herausforderungen, vor denen meine Regierung stand, Gestalt zu geben, und ich wollte die Entscheidungen beschreiben, die mein Team und ich als Reaktion darauf getroffen haben. Wo es möglich war, wollte ich den Lesern einen Eindruck davon vermitteln, wie es sich anfühlt, Präsident der Vereinigten Staaten zu sein. Ich wollte den Vorhang ein Stückchen zur Seite ziehen und die Leute daran erinnern, dass aller Macht und allem Pomp zum Trotz die Präsidentschaft auch nur ein Job ist und unsere Bundesregierung ein menschliches Unterfangen wie viele andere und dass die Frauen und Männer, die im Weißen Haus arbeiten, die gleiche tägliche Mischung aus Zufriedenheit, Enttäuschung, Reibereien im Büro, Fehlschlägen und kleinen Triumphen erleben wie der Rest ihrer Mitbürger. Und schließlich wollte ich eine persönliche Geschichte erzählen, die junge Menschen vielleicht dazu inspiriert, ein Berufsleben im Dienst der Allgemeinheit zu erwägen: wie meine Karriere in der Politik eigentlich damit begann, dass ich nach einem Platz suchte, an dem ich dazugehörte, nach einem Weg, mir die verschiedenen Stränge meiner bunt gemischten Herkunft zu erklären, und wie ich letztlich erst in der Lage war, eine Gemeinschaft und Sinn in meinem Leben zu finden, indem ich mich einer Sache verschrieb, die größer war als ich selbst.

Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich all das auf etwa fünfhundert Seiten schaffen könnte. Ich nahm an, innerhalb eines Jahres damit fertig zu sein.

Man kann wohl sagen, dass der Schreibprozess nicht ganz nach Plan verlief. Meinen besten Absichten zum Trotz wuchs das Buch in die Länge und in die Tiefe – das war der Grund, warum ich mich letztlich entschloss, zwei Bände daraus zu machen. Mir ist schmerzlich bewusst, dass ein begabterer Autor einen Weg gefunden hätte, dieselbe Geschichte kürzer zu erzählen. (Schließlich befand sich mein persönliches Arbeitszimmer im Weißen Haus direkt neben dem Lincoln Bedroom, wo eine signierte Fassung der 272 Wörter langen Gettysburg Address von Abraham Lincoln hinter Glas ausgestellt ist.) Doch jedes Mal, wenn ich mich zum Schreiben hinsetzte, schien mein Kopf sich gegen einen schlichten, linearen Bericht zu wehren, gleichviel, ob ich die frühen Phasen meines Wahlkampfs, den Umgang meiner Regierung mit der Finanzkrise, Verhandlungen mit den Russen über die Kontrolle von Atomwaffen schildern oder die Kräfte erklären wollte, die zum Arabischen Frühling geführt hatten. Oft fühlte ich mich verpflichtet, den Kontext zu den Entscheidungen zu liefern, die ich und andere getroffen hatten, und ich wollte diesen Hintergrund nicht in Fuß- oder Endnoten verbannen (die ich hasse). Ich stellte fest, dass sich meine Motive nicht immer erklären ließen, indem ich mich schlicht auf eine Fülle von Wirtschaftsdaten berief oder ein vollständiges Briefing im Oval Office wiedergab. Denn diese Motive waren möglicherweise von der Unterhaltung mit einem Fremden während des Wahlkampfs geprägt worden oder vom Besuch in einem Militärkrankenhaus oder von einer Lektion, die meine Mutter mich in der Kindheit gelehrt hatte. Immer wieder spülten meine Erinnerungen scheinbar beiläufige Details nach oben (die Suche nach einem verschwiegenen Ort für eine Abendzigarette; mein Team und ich lachend beim Kartenspielen an Bord der Air Force One). Solche Einzelheiten fingen meine gelebte Erfahrung während der acht Jahre, die ich im Weißen Haus verbrachte, auf eine Weise ein, die ein offizieller Bericht nie vermitteln könnte.

Was ich überhaupt nicht vorhersah, abgesehen von der Mühe, Worte zu Papier zu bringen, war, was sich in den dreieinhalb Jahren seit jenem letzten Flug mit der Air Force One ereignen würde. Während ich hier sitze, befindet das Land sich nach wie vor im Griff einer globalen Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise; mehr als 178 000 Amerikaner sind gestorben, Firmen und Geschäfte geschlossen, Millionen von Menschen arbeitslos. Im ganzen Land sind Leute aus allen Schichten auf die Straße gegangen, um gegen den Tod unbewaffneter Schwarzer Männer und Frauen durch Polizisten zu protestieren. Und die vielleicht größte Sorge von allen: Unsere Demokratie scheint am Rand einer Krise zu taumeln – einer Krise, die ihren Ursprung in der fundamentalen Auseinandersetzung zwischen zwei widerstreitenden Visionen davon hat, was Amerika ist und was es sein sollte. Eine Krise, die das Gemeinwesen gespalten, wütend und misstrauisch gemacht hat und die eine anhaltende Verletzung institutioneller Normen, verfahrensrechtlicher Absicherungen und grundlegender Übereinkünfte ermöglichte, die sowohl Republikaner als auch Demokraten einst für selbstverständlich hielten.

Diese Auseinandersetzung ist natürlich nicht neu. In vielerlei Hinsicht hat sie die kollektive amerikanische Erfahrung sogar definiert. Sie ist eingebettet in die Gründungsdokumente, die gleichzeitig proklamieren konnten, dass alle Männer gleich sind und ein Sklave doch nur drei Fünftel eines Mannes zählt. Sie findet ihren Ausdruck in unseren frühesten Gerichtsurteilen, wenn zum Beispiel der vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs amerikanischen Ureinwohnern unverblümt erklärt, dass das Recht ihres Stammes, Eigentum zu übertragen, nicht vollstreckbar ist – mit der Begründung, dass das Gericht des Eroberers keine Befugnis habe, die berechtigten Ansprüche des Eroberten anzuerkennen. Es ist eine Auseinandersetzung, die schon auf den Schlachtfeldern von Gettysburg und Appomattox ausgetragen wurde, aber auch in den Sälen des Kongresses, auf einer Brücke in Selma ebenso wie in den Weinbergen von Kalifornien oder den Straßen von New York. Es waren nicht nur Soldaten, die in dieser Auseinandersetzung kämpften, sondern weit häufiger Gewerkschaftsmitglieder, Frauenrechtlerinnen, Schlafwagenschaffner, Studentenführer, Wellen von Einwanderern und LGBTQ-Aktivisten, bewaffnet mit nichts als Schildern, Flugblättern oder auch nur einem Paar fester Schuhe. Den Kern dieses lang währenden Kampfes bildet eine schlichte Frage: Haben wir ein Interesse daran, die amerikanische Realität mit den Idealen des Landes in Einklang zu bringen? Und wenn ja, glauben wir tatsächlich, dass unsere Vorstellung von Selbstregierung und individueller Freiheit, von Chancengleichheit und Gleichheit vor dem Gesetz für jedermann gilt? Oder haben wir uns nicht vielmehr durch die Praxis, wenn nicht gar kraft Gesetz, gebunden, diese Dinge einer kleinen Gruppe Privilegierter vorzubehalten?

Ich verstehe, dass es diejenigen gibt, die glauben, es sei an der Zeit, den Mythos zu entsorgen. Weil ein Blick in die amerikanische Geschichte und schon ein flüchtiger Blick auf die Schlagzeilen von heute zeigen, dass die Ideale dieser Nation schon immer an zweiter Stelle standen. Hinter Eroberung und Unterdrückung, einem rassistischen Kastensystem und Raubtierkapitalismus. Diese Menschen sind der Ansicht, dass all jene, die etwas anderes behaupten, sich der Komplizenschaft in einem von Beginn an manipulierten Spiel schuldig machen. Ich gestehe, dass es im Verlauf der Arbeit an diesem Buch Momente gab, in denen ich mich im Rückblick auf meine Präsidentschaft und alles, was seither passiert war, fragen musste, ob ich mich zu sehr gemäßigt habe, wenn ich aussprach, was ich als Wahrheit ansah. Ob ich in Worten und Taten zu viel Vorsicht an den Tag legte, weil ich glaubte, der Appell an die von Lincoln so genannten besseren Engel unserer Natur würde mir eher ermöglichen, uns in Richtung eines Amerika zu führen, das uns verheißen worden ist.

Ich weiß es nicht. Mit Gewissheit kann ich jedoch sagen, dass ich noch nicht bereit bin, die Möglichkeit von Amerika aufzugeben – nicht nur um künftiger Generationen von Amerikanern willen, sondern um der gesamten Menschheit...