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Schnittstellen - Aspekte der Literaturlehr- und lernforschung

Schnittstellen - Aspekte der Literaturlehr- und lernforschung

Susanne Hochreiter, Ursula Klingenböck, Elisabeth Stuck, Sigrid Thielking, Werner Wintersteiner

 

Verlag Studienverlag, 2021

ISBN 9783706561372 , 244 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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23,99 EUR

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Schnittstellen - Aspekte der Literaturlehr- und lernforschung


 

1.


Konzepte von Literatur und literarischer Bildung


Sigrid Thielking


Literaturbezogene Kulturvermittlung – Literaturlehrforschung an der Schnittstelle von Schulunterricht, Lebensspannenkonzept und »Öffentlicher Didaktik«


1. Perspektiven übernational orientierter Literaturlehrforschung


Literaturdidaktik: Das meinte und umfasste über viele Jahrzehnte hinweg eine sachgemäße, an den jeweiligen Erkenntnisstand der Bezugsfachdisziplin eng angelehnte Reflexions- und Vermittlungswissenschaft. Dabei ging es in der Regel um fachspezifische Orientierungen, um fachwissenschaftliche Kenntnisse und Kontroversen, um Gattungsspezifik, um das Für und Wider von Epocheneinteilungen und Kanonübersichten, um verdiente und neu zu entdeckende AutorInnen, Themenschwerpunkte und Werkkonvolute zum Zwecke ihrer unterrichtsmethodischen Einbindung und Vermittlung in verschiedenen Schulkontexten. Insofern wurde der Bereich der Fachdidaktik nicht selten eher als ein Appendix und dennoch weitgehend als konform und kompatibel mit den ›Hausbeständen‹ fachgermanistischer Provenienz gedacht und wahrgenommen. Dieses Abbildverhältnis, das den Ausbau der Fachdidaktiken in der Entwicklung gegenüber ihren normativen Fach- und Bezugswissenschaften in ihrer Profilbildung nicht eben förderte, spiegelte sich u.a. in einer Diskursherrschaft der Fachwissenschaft in den Richtlinien, Lehrplänen, Lehrmittelverordnungen, den Schulbuchverlagsprogrammen und den fachdidaktischen Ratgeberliteraturen sowie nicht zuletzt in den Lehrstuhlzuschnitten der Hochschulen und Universitäten wider. Die sehr viel differenzierteren Prozesse fachdidaktischen literarischen Lernens in den verschiedenen Schulstufen und Schulformen konnten aus einem solchen Blickwinkel nicht immer angemessen wahrgenommen werden.

Das Hemmende, das in dieser etwas einseitigen Verklammerung der Fachdidaktik mit dem Bezugsfach lag, hat sich meines Erachtens am deutlichsten in der gymnasialen Ausbildungsstruktur erhalten und sich dort auf die Profilbildung des LehrerInnenstudiums in der Sekundarstufe II nachhaltig ausgewirkt.

Hier soll es weniger um Verschiebungen und Umakzentuierungen gehen. So haben ja etwa auch andere Teildisziplinen der Fachdidaktikwissenschaft, die Sprachdidaktik oder auch die Mediendidaktik, der eigentlichen Literaturdidaktik inzwischen manche von ihren Terrains (Sachtextearbeit, Unterricht zu Stil- und Sprachbewusstheit einerseits oder Filmanalysen, »Webisodes« und »Soaps«- bzw. »Telenovela«-Forschung andererseits) abgejagt.

Dieser Beitrag soll vielmehr ein Plädoyer für eine sich mehr und weiter öffnende und anschlussfähigere Literaturdidaktik innerhalb immer bedeutsamer werdender kulturwissenschaftlicher und lebenswissenschaftlich bezogener Zusammenhänge sein.

Der seit wenigen Jahren sich abzeichnende und insgesamt begrüßenswerte Paradigmenwechsel vom Lehren zum Lernen, vor allem aber die wachsende Internationalisierung der Fachdidaktiken könnte der Fachdidaktik und ihrer jeweiligen Bezugsdisziplin helfen, ihre Profile weiter zu schärfen, und auch mit den Standardund Kompetenzdiskussionen zu bislang unberücksichtigten Bedürfnislagen der LernerInnen im Umgang mit Literaturwissen aufzuschließen. Das hat innerhalb weniger Jahre mit Fug und Recht die Diskussionen um Input- oder Output-Orientierungen, um angemessene Lehr- und Lernformen, um effizientere neumediale Lehrmethoden und Lernformate, um den zu befragenden Stellenwert von Einführungen und Propädeutika, wie um mehr vergleichendes und empirisch nachgewiesenes Qualitätsmanagement in der (hoch)schulischen Unterrichtsforschung hervorgebracht, kurz: Es hat das Professionswissen über das ebenso komplexe wie notwendige Zusammenspiel von fachlich didaktikwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung überhaupt erst dadurch sorecht ins Blickfeld und Bewusstsein einer berufs- wie bildungswissenschaftlich orientierten Klientel gerückt.

Ich will im Folgenden solche Fragestellungen aufwerfen und akzentuieren, die uns in einer gemeinsamen inter- oder multinationalen Zukunft der Fachdidaktiken beschäftigen. Um diese sich wandelnden Anliegen etwas klarer zu markieren, möchte ich deshalb zunächst eine Änderung der Terminologie vorschlagen. Fortan soll von Literaturlehrforschung statt von Literaturdidaktik die Rede sein. Literaturlehrforschung wird künftig sicherlich überall dort gestärkt werden können, wo in konzertierter Aktion, in gegenseitiger Unterstützung für Konzepte von »Literatur Lehren Lernen« gemeinsame, nationenübergreifende Überlegungen angestrengt werden. Weniger entscheidend dürfte dabei eine frühere Streitfrage über den Leistungsstatus von Literaturverstehen und Selbstkonzept sein – etwa die Kontroverse, ob es sich bei ihr im strengen Sinne eher um eine »Kunst oder Wissenschaft« handelt (Paefgen 1997).

Und wem der Begriff Fach-Didaktik eher als ein garstig Lied, ob im Duktus der Unterweisung oder fachpädagogischer Überlegenheit erscheint, dem wird der neutralere Begriff der Literaturlehrforschung vielleicht schon etwas angenehmer und zeitnäher im Ohre klingen. Wer in der Didaktik eines Faches immer nur eine Sache des fachförmig und gegenstandsorientiert angeleiteten Studierens gesehen hat, dem wird eine Neukonzeption, wie sie die Öffnung der Didaktik hin zu einer »Öffentlichen Didaktik« verlangt, hoffentlich zugängliche Anschlussmöglichkeiten bescheren.

Es gibt bedeutsame und berechtigte Zugänge, die die literaturbezogenen Vermittlungstätigkeiten kombinatorisch gleichsam als Guthaben langer Traditionen wie auch als aktuelle Anpassungen und Herausforderungen ausrichten. Ich denke hier zum Beispiel an die wache Fähigkeit, auf lebendige Lehr- und Lernformen des Literaturgesprächs, des sinnvoll navigierenden Lehrbriefs, der diskursiven Lehrkunst generell einzugehen. Ich denke aber auch an die notwendige Diskussion um Belange einer Renaissance der Literaturvorlesungen und die fachdidaktische Neubewertung des guten Belehrens im Sinne des Wiedergewinnens und der offensiven Pflege eines wohlverstandenen prodesse et delectare. Gerade hier wäre das gelungene Wiener Beispiel anzuführen, das die Präsentation und Aufnahme von Literatur und der an ihr beteiligten Fragestellungen und Parameter einmal in erfreulicher Weise mit Event-Charakter verbindet, das im WS 2006/07 unter dem schönen Label, Wiener Universitätsvorlesung »√Vorlesung2«, relevante Aspekte mithörbar und mitlesbar zerlegt, gleichsam multiple Beteiligungsprozesse von metadidaktischer Reichweite durch Podcasts ubiquitär nachvollziehbar vermitteln hilft.1

Ein gewisser Konsens dürfte sicherlich bestehen: Mehr und veränderte Sichtweisen auf die Dimensionen von »Literatur Lehren Lernen« sind notwendig geworden; zentral ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die gleichnamige, innovative Publikation der beiden Wiener Herausgeberinnen, Susanne Hochreiter und Ursula Klingenböck, die 2006 ihre Sammlung von Einreden gut platziert mit der notwendig deutlichen Akzentuierung dieser fach- und hochschuldidaktischen Dimensionierungen in einen ganz neuen und aufregenden – und längst noch nicht abgeschlossenen – Qualitätsdiskurs einbrachten (Hochreiter/Klingenböck 2006). Was Literaturlehrforschung in künftiger Perspektive alles berücksichtigen könnte, ist in diesem Pionierband besonders nachhaltig angestoßen worden und hat instruktiv als Ideenpool und Meilenstein für weitere gemeinsame Planungen – was auch für den vorliegenden Band gilt – fortwirken können. Nicht zuletzt durch diese Publikation zur rechten Zeit wurde unser Essener multinationales Rundgespräch über Fragen der »Literaturlehrforschung« im Frühjahr 2007 im Kulturwissenschaftlichen Institut Essen am Wissenschaftszentrum NRW angeregt. Bestehende grenzübergreifende Interessen belegen österreichisches, schweizerisches und deutsches – in jüngster Zeit auch aus Polen nachgefragtes – Engagement hinsichtlich einer Aufgeschlossenheit für die Internationalisierung der fachdidaktischen, hier speziell der literaturvermittlungs- und kulturvermittlungsdidaktischen Forschung, Lehre und Entwicklung. Dabei ist trotz mancher Differenzen hinsichtlich von Gegebenheiten an den einzelnen Standorten eine ganze Reihe von zukünftig gemeinsam zu bearbeitenden Feldern und Interessenlagen abgesteckt worden. Ich nenne hier zusammenfassend als wichtige Unternehmungen:

den Wunsch nach der dauerhaften Einrichtung einer multi- und transnationalen Verständigungsplattform, auf der über Modellierungsprozesse einer vergleichenden Fachdidaktik als Vermittlungswissenschaft und als zentrales Terrain von kulturwissenschaftlich orientierten Fachdidaktiken reflektiert wird;

die Notwendigkeit der Initiierung von eigenständigen, stärker noch zu strukturierenden schulstufen- wie studiengangsspezifischen Vergleichsbeobachtungen und Qualitätsdiskussionen inklusive des Austausches über Verfahrensweisen und Ergebnisse empirischer Wirksamkeitsforschungen sowie einer den modernen Erfordernissen angemessenen Implementierung kritischer Lehr- und Lernmittelforschung in diversen Schulformen, Hochschulen, Universitäten und Institutionen der Weiter- und...