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Supervision in Gruppen - Gemeinsam lernen und erkennen

Supervision in Gruppen - Gemeinsam lernen und erkennen

Christiane Bakhit, Hermann Staats, Andreas Hamburger, Wolfgang Mertens

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2021

ISBN 9783170334854 , 159 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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31,99 EUR

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Supervision in Gruppen - Gemeinsam lernen und erkennen


 

1          Die wichtigsten Konzepte


 

 

 

1.1       Historische Aufzählung der wichtigsten Konzepte


»Supervision is a drama of direct encounter«
John Schlapoborsky (2010, S. 40)

Cohen spricht in ihrem Artikel über Supervision in der Gruppe von »Drachen und Helden«, denen man dort begegne und fängt damit mögliche Bedrohungen und Verletzungen wie auch Entwicklungsschritte und Herausforderungen für Teilnehmer einer Gruppensupervision mit plastischen Worten ein (Cohen, 2012). Was vielleicht dramatisch klingt, nehmen Bernard & Spitz (2006) in ihrer Stellungnahme dazu noch einmal auf:

«There is a skill set in becoming a good group psychotherapy supervisor, which is distinct from the skills necessary to be a good group psychotherapist. Supervision is a delicate undertaking in the best of circumstances… the stakes are quite high, both for the professional’s and his/her patients’ growth and development. A good supervisory experience can make an important contribution to the development of a professional, resulting in an abiding commitment to offering group psychotherapy for the duration of his/her career. An unfortunate supervisory experience can turn that same individual away from running groups forever.« (Bernard & Spitz, 2006, S. 4)

Supervision will – im Einzel- wie im Gruppensetting – einen Lern- und Veränderungsprozess eröffnen, der sich für die Supervidierten in einem veränderten therapeutischen Umgang mit Patienten in einer einzel- oder gruppentherapeutischen Behandlung niederschlägt. Dieser Lern- und Veränderungsprozess findet nur zum Teil bewusst und auf kognitiver Ebene statt. Hauptsächlich ist er in einen vertrauensvollen, flexiblen und fließenden Interaktionsprozess zwischen Supervisorin und Supervisandin oder eben zwischen den Supervisanden in der Gruppe und der Supervisorin als Gruppenleiterin eingebettet. Es gibt zahlreiche und ausführliche Literatur zu fördernden und störenden Bedingungen von Supervison (Nagell, Steinmetzer, Fissabre & Spilski 2014; Kutter 2017, Mertens & Hamburger 2016 u. 2017). Cohen spricht von »Drachen« und »Helden«, die sich in der Supervisionssituation entwickeln und denen sowohl Supervisorin als auch Supervisanden begegnen. Ihrer Ansicht nach symbolisieren die Feuer speienden Drachen im Supervisionsprozess den unbewussten Widerstand gegen jegliche emotionale Verbindung zwischen Therapeutin/Patientin auf der einen und Supervisorin/Supervisandin auf der anderen Seite. Es geht also um die wechselseitigen Übertragungen und Gegenübertragungen von Supervisorin und Supervisanden. Sie können die therapeutische Arbeit »behindern« und auch intensivieren, denn es gibt neben den »Drachen« auch die »Helden«. Für Cohen versinnbildlichen die Helden Supervisoren und Supervisanden, die in der Supervision etwas riskieren, d. h. sich emotional einlassen, indem sie sich zeigen und öffnen. Das »Lernen aus Erfahrung« (Bion) geht mit einer Veränderung ihrer psychischen Innenwelt (Objektbeziehungserfahrungen) einher und ermöglicht ihnen, eine neue Perspektive einzunehmen. Die Gruppe wird zum Agenten der Veränderung.

»… there is no clear line of demarcation between these two extremes; the dragons we wrestle with and the heroes that emerge. They will overlap, intermingle, tangle, and ultimately, if all goes well-enough, the supervision group becomes the instrument of change.« (Cohen, 2012, S. 640)

Wie konzeptualisieren die unterschiedlichen gruppentherapeutischen Schulen diese Interaktionsprozesse in einer Supervisionsgruppe? Welche Elemente der Interaktion rücken Michael Balint (Balintgruppe), S.H. Foulkes (Gruppenanalyse) und W. Bion (Group-Relations-Theory) damit in den Vordergrund?

1.1.1     Balint-Gruppen


Michael Balint und seine Frau Enid, beide Psychoanalytiker, begannen nach dem zweiten Weltkrieg in London mit praktischen Ärzten zu arbeiten. Ihr Ziel war es, die Ärzte in ihren Patientenbehandlungen weiter zu qualifizieren, und zwar nicht, indem sie auf naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden fokussierten, sondern indem sie die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung erforschten und dazu benutzten, das Befinden der Patienten zu beeinflussen und zu verbessern (Balint, 2019/1957). Die Arbeit an der Beziehung zwischen Arzt und Patient war zur damaligen Zeit das grundsätzlich Neue und erwies sich in den darauffolgenden Jahren so erfolgreich und wirkungsvoll, dass sich Balintgruppen über die ganze Welt verbreiteten.

Die klassische Balintgruppe bestand aus praktischen Ärzten, die sich gegenseitig nicht kannten und damit eine »stranger group« bildeten. Es ging um eine Sensibilisierung der Teilnehmer für Phänomene von Übertragung und Gegenübertragung – zwei psychoanalytische Konzepte, durch die man sich einen Zugang zu unbewussten Aspekten der Arzt-Patient-Beziehung erhoffte. In das Gruppensetting wurden damit Elemente der psychoanalytischen Ausbildung quasi eingepflanzt, um sich selbst und die Psychodynamik der Arzt-Patient-Beziehung besser verstehen zu können. Diskutiert wurde am vorgestellten Fall (Fallarbeit), auf den sich alle Einfälle der Gruppe beziehen sollten (Technik der freien Assoziation). Eine individuelle Selbsterfahrung stand nicht zur Debatte, vollzog sich aber unmerklich im Hintergrund des gemeinsamen Arbeitsprozesses, ohne ausdrücklich benannt und gedeutet zu werden. Das Hauptaugenmerk von Balint war auf die Qualifizierung und Professionalisierung der Ärzte gerichtet. Trotz seiner ausschließlichen Konzentration auf die Fallarbeit bzw. auf die Arzt-Patient-Beziehung wurde Balint wegen seiner kreativen Nutzung des Gruppensettings zu einem Pionier der Gruppentherapie, der durchaus die Wirkfaktoren (Yalom, 2019/1989) und die Besonderheiten des Gruppensettings (Foulkes, 1974) wahrnahm und nutzen konnte, auch wenn er dies nicht gesondert herausarbeitete.

Rappe-Giesecke (1994) beschreibt anschaulich, wie es Michael Balint durch spezifische Modifikationen des Gruppensettings gelang, neben den manifest bewussten Elementen auch Aspekte der latent unbewussten Interaktion innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung sichtbar zu machen. Eine Modifikation ist die bereits erwähnte Konzentration auf die Fallarbeit bzw. auf die Rückführung aller Einfälle der Gruppenmitglieder auf das Material des Klienten/Patienten. Dadurch bleiben Selbsterfahrungsanteile des Vortragenden nicht benannt, was dessen Integrität und gleichzeitig die Gruppenkohäsion stützt und stabilisiert. Das zweite Element ist die spontane Erzählung des Fallberichts durch den Vortragenden. Der Arzt schildert möglichst unzensiert seine Beziehung zu einem schwierigen Patienten, mit dem er offensichtlich nicht befriedigend arbeiten kann. Gleichzeitig interessierte sich Michael Balint auch für den normalen klinischen Alltag, wenn er vorschlug: »Erzählen Sie von dem letzten Patienten, den Sie gesehen haben«. Damit zeigt er sein Interesse für jegliche psychotherapeutische Interaktion, nicht nur für die problematische.

Indem der Arzt keinen Bericht vorliest, sondern frei über seinen Patienten erzählt, gehen in seine Schilderung unmerklich subjektive Aspekte der psychischen Innenwelt des Patienten mittels Projektion und projektiver Identifizierung ebenso mit ein wie auch Aspekte seiner eigenen Übertragung auf den Patienten. Dadurch wird die Balintgruppe im Hier und Jetzt zum Schauplatz des früheren Zusammentreffens zwischen Arzt und Patient im »Dort und Dann«. Aspekte der emotionalen Begegnung zwischen Arzt und Patient werden in den Einfällen der Gruppenteilnehmer lebendig, und biografische konflikthafte Erfahrungen des Patienten können auf diese Art und Weise erlebt und verstanden werden.

Balint führt in diesem Gruppenstadium die psychoanalytische Methode der freien Assoziation ein. Die Gruppenteilnehmer hören dem Vortragenden mit ihrer frei schwebenden Aufmerksamkeit – einem Element der psychoanalytischen Haltung – intensiv zu und öffnen sich damit für unbewusstes Material. In ihren Einfällen zum Inhalt der Erzählung stoßen sie auf eigene Emotionen und Befindlichkeiten, die via wechselseitiger Projektionen und projektiver Identifizierungen mit dem Vorgetragenen in Verbindung stehen. Diese individuellen Gegenübertragungen können für das Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung genutzt werden. Darüber hinaus inszenieren sich in der Gruppe auch abgespaltene Elemente der Arzt-Patient Beziehung – sie werden in der Gruppe unbewusst widergespiegelt. Der deutsch-englische Gruppenanalytiker S.H. Foulkes beobachtete und benannte dies als Erster:

»Man kann leichter die Probleme des anderen als die eigenen erkennen. Die Verdrängung und das Verdrängte zum Beispiel kann erkannt werden, wenn es bei anderen aufgezeigt wird. Das wirkt aber gleichzeitig als...