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Kaisersturz - Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918

Kaisersturz - Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918

Lothar Machtan

 

Verlag Theiss in der Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN 9783806237627 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR

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Kaisersturz - Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918


 

Letzter Akt – der Kaiser betritt die Bühne


Zunächst die Äußerlichkeiten: Am Montag, dem 9. September 1918, war der Reichsmonarch und Oberste Kriegsherr mit großem militärischen Gefolge im Ruhrgebiet zu einer Werksbesichtigung beim deutschen Rüstungsgiganten Krupp eingetroffen.1 Am selben und am folgenden Tage hatte er sich bei stundenlangen Wanderungen durch die Arbeitsstätten Einblicke in diverse Produktionsabläufe verschafft. Auch suchte er mit vielen Arbeitern das persönliche Gespräch, ohne aber – wie einer seiner treuen Begleiter enttäuscht beobachtete – »eine wirkliche Resonanz zu finden«. Wie stets bei öffentlichen Auftritten hatte der Kaiser viel Sorgfalt auf sein Erscheinungsbild gelegt. In tadelloser Garderegiments-Uniform trat er in Essen mit den Rangzeichen eines Feldmarschalls auf, reich dekoriert mit diversen Verdienstorden, darunter das Großkreuz des Eisernen Kreuzes, die höchste preußische Tapferkeitsauszeichnung, und das blau leuchtende Ordenskreuz des Pour le Mérite – allesamt Kleinode von nicht allein ideellem Wert. Außer dem Geschmeide seiner Ehrenzeichen zierten seinen Waffenrock goldene Tressen und Fangschnüre. Ebenfalls vergoldet waren die Sporen an seinen gewienerten schwarzen Schaftstiefeln. Auch dank der roten Lampassen an der Hose und der roten Ärmelaufschläge mit silbernen Gardelitzen war er von einer ›feldgrauen‹ Erscheinung weit entfernt. Dass er demonstrativ eine Parabellum-Pistole im Lederfutteral mit sich trug, verlieh ihm einen Anschein permanenter Kampfbereitschaft. Ob sie wohl geladen war? Am markantesten wirkte freilich das eiserne Beil am Holzstiel, das er als eine Art Spazierstock mit sich führte, ein Requisit aus Ungarn – dort Czakany genannt. Welche Wirkung sich der Monarch nur von diesem »Hackerl«, wie die Österreicher sagten, versprochen haben mag? Wir wissen es nicht genau. Doch aufschlussreich wäre es allemal, solche sonderbaren Details seines Erscheinungsbildes zweifelsfrei deuten zu können, denn auch Staffagen wie diese dienten dazu, Wilhelm II. in ein ganz bestimmtes Licht zu stellen.

Immerhin erahnen wir, dass er sich für die Krupp-Arbeiter in ihrer schmutziggrauen Fabrikwelt wie ein bunter Vogel ausgenommen haben muss. Bleiben auch Wilhelms Rollenphantasien hinter dieser kaiserlichen Inszenierung etwas unscharf, so ist doch erkennbar, dass der begabte Selbstdarsteller seinem Volk hier einmal mehr etwas ›vorspielte‹, wovon er sich staunende Bewunderung und Hochachtung versprach. Sich in Szene zu setzen, das beherrschte er wahrlich, allerdings ging es ihm dieses Mal um mehr: Er wollte an Popularität gewinnen, an Zuneigung, ja womöglich an Liebe. So wanderte er mit energischem Schritt ostentativ interessiert durch die riesige Werksanlage an Hunderten von Arbeitern vorüber, einzelne immer wieder ansprechend, wobei er seine Hand auf die Schulter der Auserwählten legte. Er gab sich freundlich, zugewandt oder besser gesagt: jovial.

Doch schon der scharfe Kontrast zwischen den von harter Arbeit gezeichneten Krupp-Werktätigen in abgenutzter Berufskleidung und dem geschniegelten und frisch wirkenden Kriegsherrn, der sie nur mit Handschuhen anfassen mochte, muss jede menschliche Annäherung erschwert haben. Auch wenn sich Kaiser Wilhelm alle Mühe gab: Das gekrönte Staatsoberhaupt und sein einfaches Volk blieben auf Distanz. Bis er in die Krupp’schen Fabrikhallen hineinschneite, mochte dieser Monarch von Gottes Gnaden für die dort Arbeitenden noch eine mystische Figur, eine Phantasiegestalt gewesen sein. Doch in dem Augenblick, wo sie ihm leibhaftig begegneten, war es um die auratische Erscheinung geschehen – da half auch keine exklusive Parade-Uniform mehr. Der Zauberbann war gebrochen, nicht aber das Eis. Man kam nicht wirklich ins Gespräch, fand keine Fühlung – mochte sich der Monarch auch noch so leutselig an die Fabrikmenschen wenden. Ob der hohe Besucher diesen Graben, diese Distanz, diese Teilnahmslosigkeit verspürt hat? Oder haben ihn die zahlreichen Claqueure aus leitenden Angestellten und vertrauenswürdigen Vorarbeitern, die ihm bei seiner Werksbesichtigung zur Seite standen, vor solch schmerzlicher Erkenntnis bewahren können?

Kaiser Wilhelms letzter öffentlicher Auftritt vor großem Publikum in der Friedrichshalle der Krupp’schen Werke in Essen am 10. September 1918.

Nun, die eigentliche Nagelprobe stand ihm noch bevor: Wilhelms persönlicher Auftritt beim Krupp’schen Arbeitervolk sollte in einer zündenden Ansprache gipfeln. Die politische Notwendigkeit einer solchen kaiserlichen Kundgebung vor breitem Publikum hatten ihm seine Berater seit Wochen eindringlich ins Bewusstsein geschrieben – jetzt, wo die Lage seines Reiches augenscheinlich auf eine nicht allein militärische, sondern auch politische Krise zusteuerte. Sie sollte ein Signal sein, von dem sich alle eine deutschlandweit spürbare Resonanz, einen Ruck versprachen. Der Monarch erklärte sich bereit, diese heikle Aufgabe zu übernehmen. Er wollte sein Bestes geben, um solch ein Zeichen zu setzen, mit wohlplatzierten Worten einen starken Eindruck machen. Fatal war nur, dass ihn offenbar niemand über die Erwartungen und die Stimmung seines Publikums aufgeklärt hatte. Und besser Informierte selbst danach zu fragen, das wäre diesem Herrscher nicht im Traum eingefallen. Er ahnte wohl nicht einmal, wie sehr der monarchische Gedanke bereits durch das Ausbleiben eines wenigstens scheinbaren Erfolgs an der Front gelitten hatte. Derart unvorbereitet, trat er reichlich ungeschützt auf den Plan. Dass er immerhin den Text seiner Rede beherrschte, vermochte die prekäre Ausgangslage nicht wettzumachen.

Wie die Krupp-Arbeiter den Kaiserbesuch in ihrer Fabrik erlebten.

Als Versammlungsort für sein Publikum hatte das Direktorium die Friedrichshalle ausgewählt, ein erst vor Kurzem errichtetes Gebäude in der Krupp’schen Werkssiedlung Friedrichshof. In dem festlich dekorierten Saal sollen sich an jenem Dienstag gegen Mittag an die 2000 Menschen versammelt haben,2 die Krupp-Beamten und Honoratioren aus Essen in den vorderen bestuhlten Reihen, dahinter und seitlich davon Teile der Belegschaft – ob zuvor sorgfältig ausgesuchte, das wissen wir nicht. Dem breiten Publikum gegenüber hatte die Werksleitung Aufstellung bezogen sowie das uniformierte kaiserliche Gefolge, das sich wie eine Schutzwehr in unmittelbarer Nähe des Rednerpults formierte. Hinter dieser etwa sechzigköpfigen Gruppe grüßten zwei mächtige Büsten die Versammelten: die eine, auf der rechten Seite, vom legendären Firmengründer Alfred Krupp und die andere vom Besuchskaiser allerhöchstselbst, dem als Imperator Rex in Bronze gegossenen Wilhelm II.3 Direkt unter diesem Kunstwerk war das Rednerpult platziert worden, wo Firmenchef Gustav Krupp von Bohlen und Halbach mit seiner Begrüßungsansprache schon einmal Ton und Takt für das Kommende vorgab. Es erfülle alle mit Stolz, dem Kaiser gezeigt zu haben, »dass die deutsche Industrie in ihrer Gesamtheit – Werksleiter, Beamte und Arbeiter – keine Arbeit und Mühe gescheut« habe, »um den Anforderungen [dieses gewaltigen Krieges] zu genügen.« Und dann legte er noch »im Namen der deutschen Industrie das Gelöbnis« ab, »nicht zu erlahmen, bis Eure Majestät das Schwert in die Scheide befehlen, ein Jeder an seiner Stelle mit Herz, Sinn und Hand gemäß den Aufgaben, die ihm des Vaterlandes Dienst auferlegt.«5

Mit diesem vorauseilenden Treuegelübde im Ohr betrat nun der Stargast das Rednerpodest – vor ihm das Konzept seiner Rede, wie sie der Chef seines Geheimen Zivilkabinetts Friedrich von Berg aufgesetzt hatte. Barhäuptig stand er da, der nun bald sechzigjährige Kaiser, mit wohlgeformten Locken, die ihm sein Frisör noch am Morgen in sein ergrautes, aber fülliges Haar gebrannt hatte – ein nicht ganz unwichtiges Detail der Eitelkeit. Mit dem gesunden rechten Arm umfasste er das Pult, während der verkrüppelte linke auf seinem Schleppsäbel ruhte. Totenstille.

Gemäß seiner Vorlage hob Wilhelm II. mit einer Art von Hommage an seine »lieben Freunde von den Kruppschen Werken« an.5 Denen gelte es heute, seinen »kaiserlichen Dank auszusprechen« dafür, wie sie »dem deutschen Heere und seinem Obersten Kriegsherrn zur Verfügung gestanden« – sprich: das dringend erforderliche Kriegsmaterial geliefert hätten. »Unter steigenden Schwierigkeiten« sei das geleistet worden, »Schwierigkeiten [in] der Ernährung, Schwierigkeiten [in] der Bekleidung, [unter] Verlusten, Trauer und Sorgen aller Art, von denen kein Haus verschont geblieben« sei, »weder das Fürstenhaus noch das schlichte Arbeiterhaus«. Dass auch die Kruppianer »so opferwillig ihre Pflicht getan haben trotz der drückenden Sorgen«, das verdiene seinen »Dank als Landesvater«. Kenne der doch ganz genau die »drückenden Sorgen von Not und Jammer und Elend«, die alle getroffen hätten. Es solle sich keiner im Volk einbilden, dass er darüber nicht Bescheid wisse. Aber: Er habe auch erfahren, »dass diese Sorgen doch immer überstrahlt wurden von dem Gedanken, erst...