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E-Book 31-40 - Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 - Arztroman

E-Book 31-40 - Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 - Arztroman

Laura Martens

 

Verlag Martin Kelter Verlag, 2021

ISBN 9783740975708 , 640 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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25,99 EUR

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E-Book 31-40 - Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 - Arztroman


 

Andrea Stanzl drückte mit einer müden Bewegung den Wecker aus. Es war halb sieben. Höchste Zeit aufzustehen und sich um den Haushalt und das Frühstück zu kümmern. Sie fühlte sich wie zerschlagen. Den größten Teil der Nacht hatte sie wach gelegen, weil die Schmerzen in ihrem rechten Bein von Minute zu Minute schlimmer geworden waren. Was konnte das nur sein? Bis vor zwei Wochen hatte sie wie ein Wiesel laufen können, jetzt mußte sie schon glücklich sein, wenn sie es schaffte, zwei, drei Kilometer ohne größere Beschwerden zu gehen oder eine Treppe hinunterzusteigen.

Die junge Frau richtete sich auf und streifte mit einem resignierenden Blick den Mann, der neben ihr im Bett lag. Zum Glück schlief Herbert noch und konnte ihr keine Vorwürfe machen, weil sie bereits gegen zwölf die Gaststube verlassen hatte und ins Schlafzimmer hinaufgegangen war. Herbert konnte sehr ungerecht sein. Für ihn zählte eine Frau nur etwas, solange sie fest anpacken konnte. »Ich möchte nur wissen, was du immer hast«, hatte er sie angefaucht, als sie ihm gesagt hatte, daß sie vor Schmerzen nicht mehr stehen konnte.

Andrea kämpfte sich ins Bad. Die ersten Schritte nach dem Aufstehen fielen ihr jedesmal besonders schwer. Als sie die Tür erreicht hatte, stützte sie sich gegen den Rahmen und hielt einen Augenblick inne. Ich sollte endlich zum Arzt gehen, dachte sie. Anfangs hatte sie geglaubt, die Schmerzen würden von allein vergehen, statt dessen wurden sie mit jedem Tag unerträglicher.

Als Herbert Freytag um halb zehn in die Küche kam, brodelte auf dem Herd bereits das Mittagessen. Wortlos setzte er sich an den Tisch und ließ sich von seiner Freundin Kaffee einschenken. »Hast mich ja gestern schön im Stich gelassen«, brummte er, als er mit beiden Händen nach dem Kaffeebecher griff. »So geht das nicht weiter, Andrea. Als ich dich vor einem halben Jahr von der Straße aufgelesen habe, bin ich davon ausgegangen, daß du mir

in der Kneipe helfen und dich nicht hinter irgendwelchen Wehwehchen verschanzen wirst.«

»Das sind nicht irgendwelche Wehwehchen, Herbert«, verteidigte sich die junge Frau und begann, das Geschirr abzutrocknen. »Im rechten Knie habe ich entsetzliche Schmerzen. Es ist, als würde jemand mit einem Messer in meinen Knochen herumstochern.

Letzte Nacht habe ich wieder kaum schlafen können. Ich kann nicht mehr. Wenn das Essen fertig ist, fahre ich zu Doktor Baumann. Er soll sich mein Knie mal anschauen.«

»Ach, und wer putzt die Kneipe?« fragte er.

»Das werde ich am Nachmittag tun«, versprach sie eilig.

»Wann denn? Um zwei kommen die ersten Gäste.«

»Herbert, ich muß nach meinem Knie sehen lassen.« Andrea hängte das Geschirrtuch über einen der Stühle. »Irgend etwas ist da nicht in Ordnung. Wenn ich ganz ausfalle, ist dir auch nicht geholfen.«

»Soll das eine Drohung sein?« fragte der Gastwirt und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Andrea zuckte erschrocken zusammen. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf.

»Dann ist es ja gut«, sagte er und griff nach dem Brot. »Ich meine, du solltest nie vergessen, was ich alles für dich getan habe und noch tu’. Die meisten meiner Kumpel können nicht verstehen, daß ich jemanden wie dir ein Zuhause gegeben habe.« Ein boshaftes Grinsen umhuschte seinen Mund. »Schau in den Spiegel und sage mir, ob es selbstverständlich ist, daß ich dich in meinem Haus dulde?«

»Ich weiß, daß ich keine Schönheit bin«, flüsterte Andrea und griff sich in ihre kinnlangen, dunklen Haare. Schon ihr Stiefvater hatte ihr ständig vorgeworfen, daß sie eine viel zu große Nase hatte und zu dick war. »Gebe ich mir nicht Mühe abzunehmen?«

»Davon habe ich noch nichts gemerkt«, meinte Herbert Freytag brutal. »Also, denk in Zukunft darüber nach, was du sagst. Es wäre für mich ein Einfaches, dich auf die Straße zu setzen und mir eine Frau zu suchen, die in jeder Beziehung mehr zu bieten hat.« Er griff in seine Hosentasche und zog eine abgenutzte Geldbörse heraus. »Wenn du meinst, daß du zum Arzt mußt, dann geh eben. Aber trödle nicht herum.« Mit einer verächtlichen Bewegung warf er einen Zwanzigmarkschein auf den Tisch. »Für den Bus und für die Apotheke, falls dir dein Doktor ein Rezept gibt. Das Restgeld bekomme ich zurück.«

»Danke, Herbert.« Andrea schenkte ihm ein demütiges Lächeln. Froh darüber, daß er sie zum Arzt gehen ließ und ihr sogar Geld für Bus und Apotheke gegeben hatte, dachte sie nicht mehr daran, wie sie von diesem Mann ausgenutzt wurde. Sie legte die Arme um seinen Nacken. »Ich werde mich beeilen«, versprach sie und küßte ihn.

»Schon gut, schon gut«, wehrte er ab, stand auf. »Ich fahre zur Brauerei. Es gibt was wegen der letzten Bierlieferung zu klären.«

Die junge Frau zog sich in aller Eile um. Viel Auswahl hatte sie nicht, doch sie wollte wenigstens sauber angezogen zum Arzt kommen. Flüchtig fuhr sie sich mit dem Kamm durch die Haare, griff nach ihrer Handtasche und verließ das Haus. Zur Bushaltestelle war es nicht weit. Wenn sie Glück hatte, erwischte sie noch den nächsten Bus.

Es war kurz vor elf, als Andrea die Praxis von Dr. Baumann betrat. Tina Martens blickte ihr freundlich entgegen. »Guten Morgen«, grüßte sie. »Haben Sie einen Termin?« Sie konnte sich nicht erinnern, diese Frau je zuvor gesehen zu haben.

»Nein, ich habe keinen Termin«, erwiderte Andrea Stanzl und nannte ihren Namen. »Ich bin auch bisher noch nicht bei Doktor Baumann in Behandlung gewesen. Ein Gast meines Freundes hat einmal seinen Namen erwähnt und gesagt, um was für einen guten Arzt es sich bei ihm handeln würde.«

So etwas hatte Tina schon oft gehört. »Haben Sie Beschwerden?« erkundigte sie sich.

»Ja, sehr starke Knieschmerzen.«

»Gut, setzen Sie sich bitte ins Wartezimmer. Allerdings wird es mindestens eine Stunde dauern, bis Sie an der Reihe sind, Frau Stanzl.« Tina lächelte ihr zu. »Haben Sie Ihr Versicherungskärtchen dabei?«

»Ja.« Andrea zog es aus der Handtasche. »Wo geht es zum Wartezimmer?«

Tina wies ihr den Weg, dann widmete sie sich dem Mann, der nach Andrea die Praxis betreten hatte, und fragte ihn, ob es ihm inzwischen wieder bessergehen würde.

»Meine Magenschmerzen sind fast verschwunden«, antwortete er strahlend. »Sieht aus, als könnte der Herr Doktor zaubern.«

Die junge Frau öffnete die Tür zum Wartezimmer. Sie murmelte einen undeutlichen Gruß und durchquerte mit gesenktem Kopf den Raum. Ohne aufzublicken nahm sie auf einem Stuhl Platz, der in der äußersten Ecke stand. Nahe der Tür saßen zwei sehr gut aussehende Männer, die sich leise miteinander unterhielten. Andrea war überzeugt, daß sie über sie sprachen.

Franziska Löbl betrat das Wartezimmer. Sie nickte den Patienten grüßend zu, dann ging sie zu einem älteren Mann und berührte dessen Arm.

»Bin ich an der Reihe?« fragte er und schaute auf.

Die junge Krankengymnastin nickte. Seit einem Unfall in ihrer Kindheit konnte sie nicht mehr sprechen, aber es war ihr mit Hilfe ihrer Familie gelungen, über dieses Handikap zu siegen. Die Patienten von Dr. Baumann hatten sich daran gewöhnt, daß sie sich mit ihnen nur schriftlich verständigen konnte. Es gab kaum einen unter ihnen, der sich daran störte.

Franziska schaute zu Andrea Stanzl hinüber. Ihr fiel auf, wie traurig und verloren die junge Frau wirkte. »Bitte, warten Sie einen Augenblick«, bat sie ihren Patienten schriftlich, nachdem sie ihn in den Behandlungsraum geführt hatte. Sie ging hinaus, um mit Dr. Baumann zu sprechen, der in der Aufnahme in einer Krankenkartei blätterte.

»Wartest du auf mich, Franziska?« fragte der Arzt, als er sich umdrehte und die Krankengymnastin hinter ihm stand.

Sie nickte.

»Dann komm.« Gemeinsam gingen sie in sein Sprechzimmer.

Franziska schrieb rasch etwas auf ihren Block und reichte ihn Eric.

»Du meinst also, ich sollte die junge Dame nicht so lange warten lassen«, sagte er. »Fragt sich nur, wann sie an der Reihe ist. Ohne zwingenden Grund kann ich nicht einfach einen Patienten den anderen vorziehen.«

Die Krankengymnastin griff erneut nach ihrem Stift. »Sie sieht aus, als würde alles Leid der Welt auf ihren Schultern lasten«, schrieb sie. »Ich habe nie zuvor einen Menschen kennengelernt, der auf mich so einen verlorenen Eindruck gemacht hätte.«

»Also gut, ich werde sehen, was ich machen kann«, versprach er. »Doch erst einmal muß ich mich bei Tina erkundigen, um wen es sich handelt.«

»Danke«, formte Franziska mit der Hand, winkte ihm zu und kehrte zu ihrem Patienten zurück. Sie sah noch, wie Eric zum Schreibtisch trat, um per Wechselsprecher Tina zu sich zu bitten.

Es überraschte Andrea Stanzl, daß sie bedeutend früher als erwartet aufgerufen wurde. Hastig griff sie nach ihrer Handtasche und trat in den Gang hinaus. Tina zeigte ihr, wo es zum Sprechzimmer ging.

Dr. Baumann kam ihr entgegen. Franziska hatte nicht übertrieben. Die junge Frau strahlte eine Traurigkeit aus, die auch sein Herz berührte. »Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Stanzl«, bat er, nachdem er sie begrüßt hatte, und wies zu dem Stuhl, der seinem Schreibtisch gegenüberstand.

Andrea setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls. »Danke, daß Sie mich drannehmen, obwohl ich keinen Termin habe«, sagte sie und starrte auf ihre Hände.

»In dringenden Fällen ist das durchaus möglich«, erwiderte er. »Stammen Sie aus Tegernsee, Frau Stanzl?«

»Nein, ich komme aus München«, antwortete sie. »Ich lebe hier bei einem Freund. Er besitzt eine Gaststätte, nun ja, es handelt sich mehr um eine Kneipe. Ich helfe ihm bei der Arbeit.« Sie holte tief Luft. »Seit...