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Bakterien in Krieg und Frieden - Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890 - 1933

Bakterien in Krieg und Frieden - Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890 - 1933

Silvia Berger

 

Verlag Wallstein Verlag, 2013

ISBN 9783835320895 , 476 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz frei

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37,99 EUR

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Bakterien in Krieg und Frieden - Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland, 1890 - 1933


 

IV. FRIEDEN? (S. 291-292)

Destabilisierung und Wandel der Bakteriologie in der Weimarer Republik

Die letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts markierten den Beginn des Zeitalters der Bakteriologie. In der aufregenden Phase neuer Erkenntnisse und neuen Erkennens blickten medizinische Fachwelt und Öffentlichkeit gebannt auf die Welt des Kleinsten. Die Lehre von den pathogenen Mikroorganismen versprach nicht nur praktische Hilfe für die leidende Menschheit, sie schürte zugleich die Hoffnung, die Infektionskrankheiten in Zukunft vollständig auszurotten.

Obwohl das bakteriologische ›Gold‹ um die Jahrhundertwende an Glanz verlor, gelang es Koch und seinen Schülern, die Bakteriologie als potente epidemiologische Feldwissenschaft zu etablieren. Im Weltkrieg erlebte die Disziplin, inthronisiert als wissenschaftlicher Schutzgeist Deutschlands, nach dem ›Sturm und Drang‹ der 1880er Jahre einen zweiten Höhepunkt an Einfluss und Ansehen. Es sollte, wie ich im Folgenden zeigen werde, der letzte sein.

Der militärische Zusammenbruch, die Revolution, das »Schanddiktat von Versailles« und die wirtschaftlich-soziale Notlage führten nicht nur in Bezug auf die politischen, ökonomischen und mentalen Ordnungsstrukturen zu einschneidenden Transformationsprozessen.? Auch für die Formation des bakteriologischen Denkstils und das Prestige der Bakteriologen bedeutete die Weimarer Zeit eine Zäsur. Im Zuge der paradoxen Realitätseinbrüche am Kriegsende und in den Folgejahren erfuhren die bewährten Wahrheiten und Denkkategorien eine zunehmende Destabilisierung.

Die Influenza, ihre irritierenden Nachfolgekrankheiten und insbesondere das Ausbleiben der von allen erwarteten, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Kriegsseuchen offenbarten eindrücklich, dass die traditionellen bakteriologischen Modelle und Denkfiguren nicht mehr imstande waren, die offensichtlich doch um einiges komplexeren Beziehungen von Makro- und Mikroorganismen zu erklären.

Der Zusammenbruch der bakteriologischen Harmonie der Täuschungen (Fleck) frieden? mündete Mitte der 1920er Jahre in einen grundlegenden Wandel des Denkstils. Anstelle der martialischen Bilderwelten verwendete man jetzt Denkfiguren, die Infektionskrankheiten als Störungen diffiziler »Gleichgewichte « oder »Symbiosen« (eine Art friedliche Koexistenz) von Menschen und Bakterien entwarfen und den »unreinen« Körper als Normalfall installierten – vollkommen neue Koordinaten begannen sich in der bakteriologischen Ordnung des Wissens zu etablieren.