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Dracula, my love - Roman

Dracula, my love - Roman

Syrie James

 

Verlag Aufbau Verlag, 2011

ISBN 9783841201188 , 527 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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7,99 EUR

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Dracula, my love - Roman


 

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1


Als ich an jenem hellen Julinachmittag des Jahres 1890 in Whitby aus dem Zug stieg, ahnte ich noch nicht, dass schon bald mein Leben und das Leben aller, die ich kannte und liebte, in höchster Gefahr schweben würde. Wir – diejenigen von uns, die all die Schrecken überstanden haben, sind für immer verändert daraus hervorgegangen. Es überkam mich keineswegs ein plötzliches Frösteln, als ich an jenem Tag den Fuß auf den Bahnsteig setzte, noch viel weniger hatte ich eine unheimliche Vorahnung von den unvorstellbaren Ereignissen, die uns erwarteten. Nichts deutete darauf hin, dass sich diesmal die Ferien am Meer von den bisherigen Aufenthalten unterscheiden würden.

Damals war ich zweiundzwanzig Jahre alt. Ich hatte nach vier glücklichen Jahren soeben meine Stelle als Lehrerin aufgegeben, um mich auf meine bevorstehende Heirat vorzubereiten. Obwohl ich höchst besorgt um meinen Verlobten Jonathan Harker war, der noch nicht von einer Geschäftsreise nach Transsilvanien zurückgekehrt war, entzückte mich doch die Aussicht, die nächsten ein, zwei Monate an einem wunderschönen Ort und mit meiner allerbesten Freundin zu verbringen und während dieser Zeit uneingeschränkt mit ihr reden und Luftschlösser bauen zu können.

Ich erblickte Lucy, die mich auf dem Bahnsteig erwartete und in der Menschenmenge nach mir Ausschau hielt. Sie sah hübscher aus denn je in ihrem Kleid aus weißem Batist. Ihre goldenen Locken lugten schüchtern unter ihrem eleganten blumengeschmückten Hut hervor. Unsere Blicke trafen sich, und ihr Gesicht strahlte auf.

»Mina!«, rief Lucy, während wir aufeinander zueilten, um uns in die Arme zu fallen.

»Wie du mir gefehlt hast!«, erwiderte ich und drückte sie an mich. »Mir ist, als wäre ein ganzes Jahr vergangen, seit wir uns zuletzt sahen, und nicht nur einige Monate. In der Zwischenzeit ist so vieles geschehen.«

»Mir geht es ebenso. Im letzten Frühjahr waren wir beide noch ledig. Und nun …«

»… sind wir beide verlobt!« Wir lächelten glücklich und umarmten einander erneut.

Lucy Westenra und ich waren seit jenem Tag beste Freundinnen, da wir uns in der Upton Hall School kennenlernten. Damals war ich vierzehn Jahre alt und sie zwölf. Schon bald waren wir unzertrennlich, obwohl wir aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen stammten – Lucy hatte liebevolle, wohlhabende Eltern, die sie vergötterten, während ich meine Eltern nie kennengelernt habe und nur Dank eines Stipendiums diese hervorragende Schulbildung genießen konnte. Auch äußerlich hätten wir verschiedener nicht sein können: Ich hatte rosige Wangen, grüne Augen und braunes Haar, war mittelgroß und schien in den Augen anderer eine recht ansprechende Erscheinung zu sein; Lucy dagegen war eine wunderbare Schönheit mit einer vollkommenen, zierlichen Figur, strahlend blauen Augen, elfenbeinfarbenem Teint und einem Kopf voller atemberaubender goldener Locken. Lucy ritt für ihr Leben gern, spielte Ball und Tennis, während ich stets viel glücklicher war, wenn ich die Nase in ein Buch stecken konnte. Und doch hatten wir in vielerlei Hinsicht einiges gemein.

Während unserer gesamten Schulzeit schliefen wir im gleichen Zimmer, spielten und lernten zusammen, unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge, lachten und weinten miteinander und erzählten uns all unsere Geheimnisse. Da ich kein wirkliches Zuhause hatte, wohin ich zurückkehren konnte, wenn keine Schule war, hatte ich oft – und mit großer Dankbarkeit – die Ferien bei Lucys Familie verbracht, entweder in ihrem Londoner Haus oder auf dem Land oder in dem jeweiligen modischen Seebad, das Frau Westenra gerade bevorzugte. Als ich später an meiner alten Schule Lehrerin wurde, blieb unsere Freundschaft unverändert bestehen. Auch nachdem Lucy ihre Studien abgeschlossen hatte und mit ihrer verwitweten Mutter nach London zurückgekehrt war, korrespondierten wir eifrig und blieben durch regelmäßige Besuche ständig in Verbindung.

»Wo ist deine Mutter?«, fragte ich nun und hielt Ausschau nach Frau Westenra.

»Sie ruht sich in unserer Pension aus. Wie gefällt dir mein neues Ausgehkleid? Und mein Hut? Mama behauptet, das sei genau das Richtige für einen Urlaub am Meer. Aber sie hat einen solchen Wirbel darum gemacht, dass ich Kleid und Hut schon beinahe nicht mehr sehen kann.«

Ich versicherte Lucy, beide seien wunderschön, und der einzige Grund, warum die Mode sie langweile, sei wohl, dass sie derlei nie habe entbehren müssen. »Wenn du wie ich nur vier Kleider und zwei Kostüme dein eigen nennen würdest, Lucy, dann würdest du dich wahrscheinlich nach den Kleidungsstücken sehnen, die du heute so verächtlich betrachtest.«

»Liebe Mina, dir mag es an der Anzahl von Kleidern fehlen, aber du machst das durch deren Eleganz wett, denn du siehst stets adrett und bezaubernd darin aus. Dieses Sommerkleid finde ich ganz wunderbar! Gehen wir? Die Droschke wartet. Lass den Gepäckträger deine Koffer nach vorn bringen. Warte nur, bis du Whitby siehst! Es ist ein herrliches Fleckchen Erde!«

Und wirklich, sobald wir vom Bahnhof losfuhren, bestaunte ich die hübsche Aussicht aus dem Fenster der Kutsche. Eine sanfte Brise wehte den salzigen Meeresduft zu uns, und über unseren Häuptern kreisten krächzend die Möwen. Unmittelbar unter uns hatte das Flüsschen Esk sich seinen Weg zwischen zwei grünen Tälern hindurch gebahnt und floss nun an einem geschäftigen Hafen vorbei ins Meer. Der strahlend blaue Himmel mit den bauschigen weißen Wolken bildete einen wunderschönen Kontrast zu den Häusern der alten Stadt mit ihren roten Ziegeldächern, die sich übereinander geschachtelt an der steilen Flanke des Berges drängten. »Was für ein reizendes Städtchen!«

»Nicht wahr? Ich habe mich so gefreut, dass Mama beschlossen hat, diesen Sommer einmal an einen anderen Ort zu reisen. Ich war Brighton und Sidmouth wirklich leid.«

»Es ist sehr nett von euch, dass ihr mich wieder eingeladen habt, mich euch anzuschließen.« Ich ergriff eine von Lucys behandschuhten Händen und drückte sie liebevoll. »Nun, da ich den Lehrerberuf an den Nagel gehängt und meine Zimmer in der Schule für immer aufgegeben habe, hätte ich gar nicht gewusst, wohin ich mich diesen Sommer sonst hätte wenden sollen.«

»Es würde mir nicht im Traum einfallen, diese Ferien mit irgendjemand anderem zu verbringen, meine liebe Mina. Wie viel Spaß wir haben werden! Es heißt, dass man hier überall wunderbare Spaziergänge machen kann, oder man kann ein Boot mieten und auf dem Fluss fahren.«

»Oh! Ich bin immer besonders gern gerudert.«

»Und schau nur ans andere Flussufer. Siehst du da drüben die lange Treppe, die sich nach oben windet? Sie führt wohl ganz hinauf zu der Kirche und der Abteiruine oben auf dem Berg. Ich brenne darauf, alles zu erkunden. Doch seit wir gestern hier eingetroffen sind, ist Mama zu erschöpft gewesen, um die Pension zu verlassen. Auf keinen Fall wollte sie versuchen, diesen Berg zu erklimmen. Nun, da du hier bist, können wir lange Spaziergänge machen und uns alles ansehen.«

»Ist deine Mutter denn krank?«

»Nein. Ich glaube es zumindest nicht. Sie scheint nur in letzter Zeit sehr schnell zu ermüden, und wenn wir einen steilen Weg hinaufgehen, wird sie leicht kurzatmig. Ich hoffe, dass ihr die Seeluft guttun wird. Nun«, fuhr Lucy aufgeregt fort, »wie findest du meinen Verlobungsring?« Sie zog den Handschuh aus und streckte mir ihre Hand entgegen.

Es verschlug mir beinahe den Atem, als ich den zarten, mit Perlen besetzten Goldreif erblickte, der ihren schlanken Finger zierte. »Er ist wunderschön, Lucy.«

»Lass mich deinen sehen.«

»Ich habe bisher noch keinen Verlobungsring«, gestand ich ihr ein. »Aber Jonathan hat kurz vor seiner Abreise ins Ausland erfahren, dass er seine Prüfungen erfolgreich abgelegt hat. Nun ist er kein einfacher Anwaltsgehilfe mehr, sondern wirklich und wahrhaftig Rechtsanwalt! Er hat mir sein Wort gegeben, dass er mir einen Ring kaufen wird, sobald er zurückgekehrt ist.«

»Aber ihr habt doch zumindest eure Haarlocken ausgetauscht?«

»Natürlich! Fürs Erste bewahren wir sie in kleinen Kuverts auf.«

»Arthur und ich haben unsere in goldenen Amuletten verwahrt; seines hängt an seiner Uhrkette. Ich trage meines jedoch nicht mehr so oft, seit er mir dies hier geschenkt hat.« Mit einem glückseligen Lächeln betastete sie das schwarze Samtband, das sie um den Hals trug und das mit einer Diamantbrosche als Schließe geschmückt war.

»Ich...