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Abgebrannt

Abgebrannt

Sabine Hartmann

 

Verlag CW Niemeyer Buchverlage GmbH, 2014

ISBN 9783827198723 , 320 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

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Abgebrannt


 

3


Bad Salzdetfurth, Donnerstag, 25. April 2013

Wenig später wimmelte es in dem niedrigen Keller von Menschen. Jochen und Krüger saßen auf der untersten Treppenstufe und sahen zu, wie Polizeibeamte akribisch die Arbeit ausführten, die sie eigentlich hatten erledigen sollen.

Innerhalb kürzester Zeit waren Lehm, Balken, Strohreste und Bretter vom Fundort entfernt worden. Leistungsfähige Halogenstrahler erhellten den Kellerraum bis in den letzten Winkel. Glänzende Stahlstützen sicherten Wände und Decken. Ein Glatzkopf hatte den Keller aus jedem Blickwinkel fotografiert. Gerade ging einer der Männer mit Latexhandschuhen, Pinselund Lupe daran, die Knochen und die Überreste der Fässer freizulegen, als Schritte auf der Treppe zu hören waren.

Ein grauhaariger Mann in einer dunkelbraunen, abgenutzten Lederjacke und eine Frau mit raspelkurzen Haaren kamen herunter.

„Polizeihauptkommissar Markus Heitkämper, guten Tag, Sie haben das Skelett entdeckt?“

Jochen und Krüger rappelten sich auf.

„Wir sollten den ganzen Müll aus dem Haus und dem Keller rausschaffen“, sagte Krüger. „Hier soll ein Tourismusbüro rein.“

„Verstehe“, antwortete Heitkämper. „Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, das darauf hinweisen könnte, dass sich erst vor Kurzem jemand an dieser Stelle zu schaffen gemacht hat?“

Bevor Krüger antworten konnte, mischte sich die Frau ein. „Kannst du dir sparen, Markus. Rolf sagt“, dabei zeigte sie auf den Mann mit den Latexhandschuhen, „der Tote liegt schon seit mehr als 100 Jahren hier.“

Kofi verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen. Die Latexhandschuhe. Gab es ein größeres Klischee? Er dachte an all die Kollegen aus der Rechtsmedizin, denen er in seinem Berufsleben bereits über den Weg gelaufen war. Klar, sie trugen diese Dinger, aber sie definierten sich nicht darüber. Ups, jetzt hatte er etwas verpasst. Er musste sich konzentrieren, auch wenn es schon spät am Abend war, wenn er etwas von dieser Lesung haben wollte.

„Dann ist das kein Fall für uns?“

Rolf ging zu den beiden Kriminalbeamten herüber. Dabei zog er sich einen Handschuh aus, um den Kollegen die Hand geben zu können. Gleich darauf wischte er sich über die Stirn. „Durch die Scheinwerfer wird es in diesem niedrigen Keller echt heiß. Wir haben noch nicht alles ausgegraben, sind uns aber einig. Bisher sieht es eher nach ’nem Unfall aus, noch dazu nach einem, der ziemlich lange her ist.“

„Kannst du bereits sagen, wen es erwischt hat? Mann oder Frau, jung oder alt?“

Rolf zog die Nase kraus. „So wie’s aussieht, einen Mann, zum Alter kann ich noch nichts sagen, das Becken und das Brustbein habe ich bisher nicht so genau untersuchen können. Aber wir haben ein paar Stoffreste, einen Gürtel und andere Gegenstände gefunden, die uns vermutlich bei der Einordnung helfen können.“

„Ihr macht weiter?“

„So was können wir uns gar nicht entgehen lassen.“

„Na, dann viel Spaß. Wir verdrücken uns lieber, hier riecht’s mehr als ein bisschen muffig.“

„Nehmt die beiden Arbeiter mit. Die können erst einmal nicht weitermachen.“

Markus nickte bestätigend.

Kofi saß in der letzten Reihe auf einem Korbsessel, der sich als gemütlicher erwiesen hatte als er aussah. Das Kissen hatte er so hingeknüllt, dass er ohne Schmerzen sitzen konnte. Zwischendurch schweifte sein Blick von der Autorin, die vor dem Regal mit den Kinder- und Jugendbüchern stand, und aus ihrem aktuellen Kurzkrimi vorlas, ab und scannte das Krimiregal neben sich. Ob es sehr unhöflich war, wenn er nicht nur diese Anthologie ,Mords Idylle‘ kaufte, sondern auch noch den neuen Fitzek mitnehmen würde? Durften die überhaupt andere Bücher verkaufen, so nach dem offiziellen Ladenschluss? Er wusste es nicht, aber fragen kostete nichts.

Andererseits konnte er natürlich morgen Nachmittag, nach den Anwendungen wiederkommen. Es erschien ihm unwahrscheinlich, dass jemand anderer ihm den Band vor der Nase wegkaufte, während er im Solebad seine Runden schwamm. Und wenn doch, für so eine kleine Bücherstube gab es hier eine große Auswahl an Kriminalromanen. Er verrenkte sich beinahe den Hals, um besser ins Regal schauen zu können. Vielleicht sollte er auch einem der anderen Regionalautoren eine Chance geben. Die kannten sich unter Garantie genauer in Hildesheim aus als er. Möglicherweise konnte er die eine oder andere Besonderheit herauslesen und Moll oder den anderen Kollegen damit imponieren.

Dieses Lamspringe, in dem der Krimi spielte, den die Autorin gerade vorlas, würde er auf jeden Fall besuchen und diese Apenteichquellen in der Nähe von Winzenburg sowieso. Dass es Orte mit so alter Geschichte gab, ließ ihn immer wieder staunen. Und dass es Plätze gab, die schon unsere Steinzeitvorfahren begeistert und die bis heute ihren Reiz nicht verloren hatten, faszinierte ihn, seit er als Kind mit der Schule einen Ausflug zu den Externsteinen unternommen hatte. Er erinnerte sich gern daran und fragte sich manchmal, wie er den Ort wohl heute wahrnehmen würde.

Jetzt wollte er allerdings lieber hören, wie es in dem Kurzkrimi weiterging. Die Autorin konnte gut lesen. Sein Kopfkino funktionierte jedenfalls gut.

Vor dem Ratskeller zog Markus sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.

„Markus hier, wenn ich du wäre, würde ich mich mal für die Arbeiten im Ratskeller in Lamspringe interessieren.“

Lisa Grundberg konnte nicht hören, was der andere antwortete, aber Markus sagte mit einem heiseren Lachen: „Eine schöne alte Leiche, und Rolf leitet die Untersuchung.“

...

„Das dachte ich mir. Tschüss.“

„Wer war das, die Presse?“ Lisa stützte erbost die Hände in die Hüften.

‚Aha, jetzt kommt Bewegung ins Spiel‘, dachte Kofi. Ihm gefiel, wie die Autorin mit den beiden Zeitebenen spielte, immer wieder zwischen dem 19. Jahrhundert und heute wechselte. Vielleicht sollte er sich einen historischen Roman aussuchen. Ob es die über Hildesheim überhaupt gab?

Er würde nach der Lesung danach fragen. Die Buchhändlerin schien freundlich zu sein und sich gut auszukennen.

Gleich am nächsten Tag hatte er den, selbstverständlich von der Autorin nach der Lesung signierten, Kurzkrimiband bereits ausgelesen. Er hatte Eselsohren in die Seiten gemacht, die Orte im Landkreis Hildesheim beschrieben, die er besuchen wollte, nachdem er hierhergezogen war.

... wenn er hergezogen war.

... falls er hierherziehen würde.

Hatte er sich denn schon entschieden?

Endgültig?

Wohlgefühlt hatte er sich hier, so viel stand fest.

Matthias Moll hatte ihm damals das Ankommen und die Zusammenarbeit erleichtert. Caroline Maiworm war in jeder Hinsicht phänomenal, na ja, und dann hatte er Iris Bender kennengelernt. Erstaun licherweise hatte er sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt. Obwohl sie so gar nicht sein Typ war, eigentlich.

Und älter als er war sie auch.

Er spürte, wie sich ein Grinsen auf sein Gesicht stahl, sobald er an sie dachte.

Aber war das eine geeignete Grundlage für eine Versetzung? Quasi sein ganzes Leben hatte er in Holzminden verbracht. Kofi war zwei Jahre alt gewesen, als seine Eltern Togo verließen und mit ihm nach Deutschland kamen. Er hatte am Campe-Gymnasium sein Abitur gemacht. Abgesehen von den drei Jahren an der Polizeiakademie hatte er Holzminden nicht verlassen und kannte sich dort hundertmal besser aus als so mancher dort geborene Einheimische. Und vor allem besser als hier in Hildesheim. Doch genau diese Orts- und Menschenkenntnis machte oft genug den Unterschied aus zwischen einem gelösten Fall und einer Pleite.

Hinzu kam noch ein weiterer gravierender Grund:

Die Polizeiinspektion Hildesheim hatte ihn angefordert. Sie hatten ihn schätzen gelernt, als er im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Kollegen Moll und dessen Team die Metalldiebe gefasst hatte. So hatten sie an ihn gedacht, als eine Stelle frei wurde. Genau da lag eben der Hase im Pfeffer begraben.

Die Stelle war frei geworden, weil ein Kollege verstorben war, nach Dienstschluss erschlagen, weil er einer Frau helfen wollte, deren Tankstelle überfallen wurde.

Kofi hatte ihn kennengelernt, bei seinem Einsatz hier. Konny, Konrad Jannowitz, nach einem Unfall noch etwas angeschlagen, hatte gerade mit der Wiedereingliederung begonnen.

Auf Kofi hatte er still gewirkt, ein wenig verbissen. Aber was bedeutete das schon nach so einer kurzen Bekanntschaft?

Irgendwie fühlte er sich wie ein Leichenfledderer, wie jemand, der von dem Unglück eines anderen profitierte.

‚Such is life‘, dachte er und seufzte.

Als sein Telefon klingelte, zuckte er zusammen. Er zog es unter der Zeitung hervor und nahm das Gespräch an. „Hi!“

„Selber hi, wie geht’s dir, Alter?“

„Molli? Neue Nummer?“

„Smartphone mit Flatrate, Kathi hat mich beraten.“

Kofi lächelte. „Demnach hast du zwei neue Smartphones gekauft.“

„Woher weißt du das?“ Moll schien wahrhaftig erstaunt zu sein.

„Sozusagen als Beraterhonorar?“

„Genau so hat sie es formuliert.“

„Hat sie dich denn gut beraten?“, erkundigte sich Kofi.

Moll antwortete nicht gleich. Schließlich sagte er zögernd: „Du darfst es ihr auf keinen Fall erzählen. Versprochen?“

„Klaro. Ich werd’ doch meinen Freund und Kollegen nicht bei seiner vierzehnjährigen Tochter verpfeifen.“

Moll seufzte erleichtert. „Das Ding...