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Vertrau auf dein Glück - Eine philosophische Gebrauchsanleitung für den Alltag

Vertrau auf dein Glück - Eine philosophische Gebrauchsanleitung für den Alltag

Jörg Zittlau

 

Verlag Aufbau Verlag, 2016

ISBN 9783841210890 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR

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Vertrau auf dein Glück - Eine philosophische Gebrauchsanleitung für den Alltag


 

1. Häng dich tiefer!
Warum es guttut, sich selbst zu vergessen


»Heirate dich selbst!«, »Nichts ist an dir verkehrt«, »Das Stark-Mach-Buch« – Bücher zur Stärkung des Selbstbewusstseins stehen mehr denn je auf den Bestsellerlisten, und entsprechende Trainingskurse erfreuen sich an Volkshochschulen großer Beliebtheit. Die Zeitschrift Psychologie heute hatte in ihrer März-Ausgabe 2016 eine Aufmacher-Geschichte mit dem Titel: »Eigensinn. Die Strategie für ein selbstbestimmtes Leben«. In den USA gibt es sogar eine staatliche Institution, die »National Association for Self-Esteem«, wo man sich die Stärkung des Selbstbewusstseins im Volk zur Aufgabe gemacht hat. Mit der Begründung, dass »viele, wenn nicht sogar die meisten gesellschaftlichen Probleme im niedrigen Selbstbewusstsein der Menschen begründbar« seien. Doch ist das wirklich so? Ist Selbstbewusstsein so wichtig für die Bewältigung unseres Alltags?

Ein Psychologenteam von der Universität Vancouver fand in einer Sichtung der wissenschaftlichen Datenlage andere Hinweise. So deuten Studien an Schülern darauf hin, so Studienleiter Roy Baumeister, »dass ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein die Leistungen eher schmälert«. Die mögliche Erklärung: Wer selbstsicher ist, neigt dazu, wenig an sich und seinen Fähigkeiten zu arbeiten. Oder plakativ ausgedrückt: Selbstbewusstsein macht faul, und das hat sich noch nie positiv auf Leistungen ausgewirkt.

Eine andere Studie ergab außerdem, dass Menschen mit einem ausgeprägten Selbstwertgefühl weniger bereit sind, Beziehungsprobleme zu lösen, und stattdessen lieber den Partner wechseln. Und die geläufige These, wonach aggressive Menschen meistens wenig Selbstbewusstsein haben, ist keinesfalls belegt. Als man Gewaltverbrecher befragte, offenbarten sie eher eine hohe und bisweilen sogar überzogene Meinung von sich. Was möglicherweise aber auch daran liegt, dass sie ihrer Umwelt den Selbstbewussten vorspielen, in Wirklichkeit aber wenig Vertrauen in ihre eigenen Stärken haben.

Immerhin schälte sich in der kanadischen Untersuchung auch ein positiver Effekt von Selbstbewusstsein heraus. »Menschen mit hohem Selbstbewusstsein«, so Baumeister, »sind ganz eindeutig glücklicher als andere.« Sie sind zufrieden mit sich und ihrem Leben, fallen seltener in depressive Löcher und kommen meistens auch mit ihren Mitmenschen besser zurecht. Sie brauchen nicht unbedingt Erfolge für ihr Glück, denn sie haben ja an sich selbst genug.

Die Philosophie hat seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Im engeren Sinn des Begriffs als Bewusstsein von sich selbst wird es hoch geschätzt. Schon Thales von Milet forderte: »Erkenne dich selbst!« Der Satz stand als Inschrift über dem Eingang des Apollotempels in Delphi. Die Erkenntnis, nur ein Mensch zu sein, sollte die Ehrfurcht vor der Gottheit steigern.

Und damit sind wir schon beim zweiten Aspekt, den Philosophen in der Selbsterkenntnis sehen: dass sie nämlich unser Selbstbild ins rechte – sprich: demütige Verhältnis zu dem rückt, was wirklich wichtig ist. Sich selbst nicht so wichtig nehmen, um dafür das Andere in seiner Wichtigkeit zu erkennen – das ist Philosophie. Weswegen es in ihrer Geschichte nur selten Wichtigtuer und große Sprücheklopfer gab.

Doch taugt diese Maxime auch als Gebrauchsanleitung für unser tägliches Leben? Auf den ersten Blick muss man das wohl energisch verneinen, denn die Erfahrung zeigt, dass sich in menschlichen Gesellschaften eher selten diejenigen durchsetzen, die sich selbst realistisch einschätzen, während die vor Selbstbewusstsein (im Sinne des Selbstwertgefühls) strotzenden Laut-Sprecher und Egozentriker oft die Spitzenpositionen einer Gesellschaft ergattern. Ein zweiter Blick jedoch zeigt, dass es in vielerlei Hinsicht nützlich sein kann, wenn man sich selbst zurücknimmt, sich selbst überwindet und möglicherweise sogar selbst vergisst. Man muss es ja nicht immer tun – aber man sollte wenigstens wissen, wie es geht.

Sei, was du scheinen willst.

Sokrates (469–399 v. Chr.)

Eigentlich ein erstaunlicher Spruch, kennen wir doch die Philosophen  und gerade auch Sokrates – als Wahrheitssucher, die das Wesen der Welt hinter dem Schein suchen. Wie kann uns dann der griechische Denker nur den Ratschlag geben, unser Sein nach dem Schein auszurichten? Die Antwort: weil das, was wir scheinen wollen, unser Ideal ist, und es nur erstrebenswert sein kann, sich einem Ideal so weit wie möglich anzunähern.

Wir wollen nach außen zielstrebig und willensstark erscheinen? Also, so fordert es Sokrates, müssen wir uns auch so verhalten. Wir wollen nach außen wie ein perfekter Ehemann oder eine perfekte Ehefrau wirken? Also, so fordert es Sokrates, müssen wir uns auch dementsprechend verhalten. Unser Leben konsequent und ehrlich nach unseren Idealen auszurichten, anstatt immer nur davon zu reden, das ist die Forderung, die hinter dem Satz des griechischen Denkers steckt.

Und dahinter steckt wiederum die Forderung, dass wir einen Teil von uns selbst vergessen sollen. Nämlich den, in dem wir es uns bequem gemacht haben und der uns suggeriert, dass es doch eigentlich gar nicht notwendig wäre, unserem Selbst-Ideal hinterherzujagen. Nach dem Muster: »Es reicht doch, wie ich bin. Wozu nach einem besseren Selbst streben?« Wer zum perfekten Ehegatten werden will, muss den alten Ehegatten hinter sich lassen. Wer zum ausgleichenden Friedens- und Ruhestifter werden will, muss die aggressive Nervensäge in sich überwinden. Wer finanziell vorsorgen will, muss den Zocker in sich zum Schweigen bringen. Ein neues Selbst gibt es nur, wenn man das alte überwunden hat.

Die Selbstsucht legt es darauf an, um sich herum absolute Uniformität zu schaffen. Die Selbstlosigkeit anerkennt die unendliche Mannigfaltigkeit als etwas Wunderbares, akzeptiert sie, fördert sie und erfreut sich an ihr.

Oscar Wilde (1854–1900)

Der englische Schriftsteller bringt mit diesem Zitat einen Aspekt zur Geltung, der bei der Beurteilung der beiden gegensätzlichen Eigenschaften Selbstlosigkeit und Selbstgefälligkeit leicht vergessen wird: dass sie nämlich in unterschiedlichem Maße Erkenntnisgewinn fördern. Der Selbstherrliche will die Welt um sich herum nach seinem Gutdünken gestalten, was zwangsläufig, weil er sich ja nur aus einer Quelle speist, zur Eintönigkeit führen muss. Der Selbstlose hingegen akzeptiert die Welt in ihrer Uneinheitlichkeit, und er hat seinen Spaß daran.

Dementsprechend unterscheiden sich auch die Gespräche, die man mit selbstsüchtigen und mit selbstlosen Menschen führt. Die Erstgenannten wirken zunächst faszinierend, weil sie sich darauf verstehen, sich selbst darzustellen und glänzen zu lassen. Nach einer gewissen Zeit verströmen sie jedoch Langeweile. Bei den selbstlosen Menschen ist dies genau andersherum: Sie wirken auf den ersten Blick, aufgrund ihrer abwartenden und defensiven Lebenshaltung, eher unscheinbar, später jedoch gewinnen sie immer mehr hinzu, weil ihre Erlebnisse farbenreicher und spannender sind. Selbstlose Menschen sind daher eigentlich für eine Party die größere Bereicherung – allerdings trifft man sie dort eher selten an.

Auch Seiteneinsteiger können philosophieren


Puristen mögen es eigentümlich finden, wenn man in einem philosophischen Buch den englischen Schriftsteller Oscar Wilde aufgelistet sieht. Und tatsächlich wirkt er unter Philosophen zunächst wie eine Fehlbesetzung. Nicht nur, weil er in erster Linie Erzählungen, Märchen, Komödien und Gedichte schrieb. Sondern auch wegen seines schrillen und exzentrischen Aussehens und Verhaltens, das den alten Diogenes vermutlich dazu gebracht hätte, seine Tonne nach dem eitlen Dandy zu werfen.

Tatsächlich war Wilde ethisch und politisch sehr aktiv, kämpfte für die Rechte Homosexueller und für den Sozialismus und forderte die Abschaffung des Privateigentums. In einer französischen Zeitschrift bezeichnete er sich selbst als »Künstler und Anarchist«. Ihm lag sehr viel daran, die denkerische und moralische Begrenztheit des Bürgertums humorvoll aufzuspießen und ad absurdum zu führen, was auch Diogenes schon machte. Außerdem findet man in der Philosophiegeschichte sehr viele Seiteneinsteiger. Man denke nur an den Sprach- und Literaturwissenschaftler Friedrich Nietzsche und den Flugzeugingenieur Ludwig Wittgenstein. Sokrates war eigentlich Steinmetz von Beruf, Spinoza arbeitete als Glasschleifer für Mikroskope und Ferngläser, und Gottfried Wilhelm Leibniz war ein promovierter Jurist. Gerade für die Philosophie kann es nur von Vorteil sein, wenn man über den Tellerrand geschaut hat.

Man sieht sich selbst immer einige Schritte zu nah und den Nächsten immer einige Schritte zu fern. So kommt es, dass man ihn zu sehr in Bausch und Bogen beurteilt und sich selber zu sehr nach einzelnen gelegentlichen unbeträchtlichen Zügen und Vorkommnissen.

Friedrich Nietzsche (1844–1900)

Es gehört zu den menschlich-allzumenschlichen Eigenschaften, sich selbst nach irgendwelchen unwesentlichen Details zu beurteilen. Man sieht, dass man sich auf Mathematik versteht und weniger auf Sprachen, gesteht sich kleine Laster zu wie etwa das Verlangen nach Naschereien und umgekehrt den mangelnden Antrieb zu Bewegung und Sport. Wirklich essenzielle Charaktermerkmale wie Starrsinn, Geiz und Herrschsucht werden ignoriert. Beim Mitmenschen verfahren wir...