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Grundriss der Psychologie - Die psychischen Elemente, Die psychischen Gebilde, Der Zusammenhang der psychischen Gebilde, Die psychischen Entwicklungen & Die Prinzipien und Gesetze der psychischen Kausalität

Grundriss der Psychologie - Die psychischen Elemente, Die psychischen Gebilde, Der Zusammenhang der psychischen Gebilde, Die psychischen Entwicklungen & Die Prinzipien und Gesetze der psychischen Kausalität

Wilhelm Maximilian Wundt

 

Verlag e-artnow, 2017

ISBN 9788026873235 , 337 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR

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Grundriss der Psychologie - Die psychischen Elemente, Die psychischen Gebilde, Der Zusammenhang der psychischen Gebilde, Die psychischen Entwicklungen & Die Prinzipien und Gesetze der psychischen Kausalität


 

ALLGEMEINE RICHTUNGEN DER PSYCHOLOGIE


Inhaltsverzeichnis

l. Die Auffassung der Psychologie als einer Erfahrungswissenschaft, die es nicht mit einem spezifischen Erfahrungsinhalt, sondern mit dem unmittelbaren Inhalt aller Erfahrung zu tun hat, begegnet noch in der heutigen Wissenschaft widerstreitenden Anschauungen, die im allgemeinen als Überlebnisse früherer Entwicklungsstufen anzusehen sind und je nach der Stellung, die sie der Psychologie zur Philosophie und zu andern Wissenschaften anweisen, selbst wieder einander bekämpfen. Als die beiden Hauptrichtungen der Psychologie lassen sich hiernach, im Anschluß an die oben (§ l, l) angeführten verbreitetsten Begriffsbestimmungen, die der metaphysischen und der empirischen Psychologie unterscheiden.

Die metaphysische Psychologie legt im allgemeinen auf die empirische Analyse und die kausale Verknüpfung der psychischen Vorgänge nur geringen Wert. Indem sie die Psychologie als einen Teil der philosophischen Metaphysik behandelt, ist ihre Hauptabsicht darauf gerichtet, eine Begriffsbestimmung vom "Wesen der Seele" zu gewinnen, die mit der gesamten Weltanschauung des metaphysischen Systems, in das diese Psychologie eingeht, im Einklange steht. Aus dem so aufgestellten metaphysischen Begriff der Seele wird dann erst der wirkliche Inhalt der psychologischen Erfahrung abzuleiten versucht. Das Unterscheidungsmerkmal der metaphysischen von der empirischen Psychologie besteht daher darin, daß jene die psychischen Vorgänge nicht aus andern psychischen Vorgängen, sondern aus einem von ihnen gänzlich verschiedenen Substrat, sei es nun aus den Handlungen einer besonderen Seelensubstanz, sei es aus Eigenschaften oder Vorgängen der Materie, ableitet. Hiernach scheidet sich die metaphysische Psychologie wieder in zwei Richtungen. Die spiritualistische Psychologie betrachtet die psychischen Vorgänge als die Wirkungen einer spezifischen Seelensubstanz, die entweder als wesentlich verschieden von der Materie (dualistisches System) oder als ihr wesensverwandt (monistisches oder monadologisches System) angesehen wird. Die materialistische Psychologie führt dagegen die psychischen Vorgänge auf das nämliche materielle Substrat zurück, das die Naturwissenschaft hypothetisch der Erklärung der Naturerscheinungen zugrunde legt. Die psychischen sind ihr daher ebenso wie die physischen Lebensvorgänge, an bestimmte Gruppierungen der materiellen Stoffelemente und ihre physischen Eigenschaften gebunden. Zu diesem Zweck wird entweder der Inhalt der seelischen Erfahrung auf eine verworrene, ungenaue Auffassung mechanischer Molekularvorgänge im Gehirn zurückgeführt (mechanischer Materialismus); oder es wird die Empfindung als eine ursprüngliche Eigenschaft, sei es der materiellen Elemente überhaupt, sei es speziell der Gehirnmolekeln, jeder zusammengesetzte psychische Vorgang aber als ein Summationsphänomen solcher Empfindungen gedeutet, das aus den entsprechenden physischen Gehirnprozessen erklärt werden müsse (psycho-physischer M.). Demnach sind alle diese metaphysischen Richtungen darin einig, daß sie nicht die psychologische Erfahrung aus sich selbst zu interpretieren, sondern aus irgendwelchen Voraussetzungen über hypothetische Vorgänge eines metaphysischen Substrats abzuleiten suchen.

2. Aus der Bekämpfung dieses letzteren Verfahrens ist die empirische Psychologie hervorgegangen. Überall, wo sie folgerichtig durchgeführt wird, ist sie daher bemüht, die psychischen Vorgänge entweder auf Begriffe zurückzuführen, die dem Zusammenhang dieser Vorgänge direkt entnommen sind, oder bestimmte, und zwar in der Regel einfachere psychische Vorgänge zu benutzen, um aus ihrem Zusammenwirken andere, verwickeltere Vorgänge abzuleiten. Die Grundlagen einer solchen empirischen Interpretation können nun aber mannigfaltige sein, und die empirische Psychologie zerfällt deshalb wieder in verschiedene Richtungen. Unter ihnen betrachtet die gewöhnlich als Psychologie der inneren Erfahrung oder auch des inneren Sinnes bezeichnete Richtung die psychischen Vorgänge als Inhalte eines besonderen Erfahrungsgebiets, das der durch die äußeren Sinne vermittelten, naturwissenschaftlichen Erfahrung koordiniert, aber durchgängig von ihr verschieden sei. Ihr gegenüber erkennt die für uns maßgebende, in der Naturlehre der Renaissancezeit bereits vorbereitete, aber erst in der Gegenwart zur Geltung gelangte Richtung der Psychologie der unmittelbaren Erfahrung eine reale Verschiedenheit innerer und äußerer Erfahrung nicht an, sondern sie sieht den Unterschied nur in der Verschiedenheit der Gesichtspunkte, von denen aus hier und dort die an sich selbst einheitliche Erfahrung betrachtet wird, und vermöge deren dann allerdings zugleich die Naturwissenschaft nur den objektiven Teil der Erfahrung, die Psychologie dagegen die gesamte unmittelbare Erfahrung, ihre objektiven Bestandteile, die Vorstellungen, ebenso wie die mit diesen stets verbundenen subjektiven, die Gefühle, Affekte usw., zu ihrem Inhalte hat.

Von diesen beiden Gestaltungen der empirischen Psychologie ist die erste die ältere. Sie ist zunächst aus dem Streben hervorgegangen, gegenüber den Übergriffen der Naturphilosophie die Selbständigkeit der psychologischen Beobachtung zur Geltung zu bringen. Indem sie infolgedessen Naturwissenschaft und Psychologie einander koordiniert, sieht sie die Gleichberechtigung beider Gebiete vor allem in der durchgängigen Verschiedenheit ihrer Objekte und der Formen der Wahrnehmung dieser Objekte begründet. Diese Anschauung hat auf die empirische Psychologie in doppelter Weise eingewirkt: erstens dadurch, daß sie die Meinung begünstigte, die Psychologie habe sich zwar empirischer Methoden zu bedienen, diese Methoden seien aber, wie die psychologischen Erfahrungen selbst, grundsätzlich verschieden von denen der Naturwissenschaft; und sodann dadurch, daß sie dazu drängte, zwischen jenen beiden vermeintlich verschiedenen Erfahrungsgebieten irgendwelche Verbindungen herzustellen. In ersterer Beziehung ist es hauptsächlich die Psychologie der inneren Erfahrung gewesen, welche die Methode der reinen Selbstbeobachtung kultivierte (§ 3, 2). In letzterer Beziehung führte die Annahme einer Verschiedenheit der physischen und der psychischen Erfahrungsinhalte notwendig wieder zur metaphysischen Psychologie zurück. Denn von dem gewählten Standpunkt aus ließ sich über die Beziehungen der inneren zur äußeren Erfahrung oder über die sogenannten "Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele" nur mittels metaphysischer Voraussetzungen Rechenschaft geben.

3. Indem die Psychologie auf ihrem gegenwärtigen Standpunkt eine "Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung" für den gesamten Umfang der Erfahrung sein will, kann sie nun auch eine prinzipielle Verschiedenheit der psychologischen und der naturwissenschaftlichen Methoden nicht mehr anerkennen. Sie hat daher in erster Linie experimentelle Methoden auszubilden gesucht, die eine ähnliche, nur dem veränderten Standpunkt Rechnung tragende exakte Analyse der psychischen Vorgänge zustande bringen sollen, wie eine solche in bezug auf die Naturerscheinungen die erklärenden Naturwissenschaften unternehmen. Indem aber weiterhin die einzelnen Geisteswissenschaften, die sich mit den konkreten geistigen Vorgängen und Schöpfungen beschäftigen, überall auf dem nämlichen Boden einer wissenschaftlichen Betrachtung unmittelbarer Erfahrungsinhalte stehen, ergibt sich daraus notwendig, daß außerdem die psychologische Analyse der allgemeinsten geistigen Erzeugnisse, wie der Sprache, der mythologischen Vorstellungen, der Normen der Sitte, der Psychologie teils als eine notwendige Ausdehnung ihres Gebiets auf die Vorgänge des gemeinsamen seelischen Lebens, teils als ein Hilfsmittel für das Verständnis der verwickelteren psychischen Vorgänge überhaupt zufällt. Nach diesen Hilfsmitteln scheidet sich daher die Psychologie der Gegenwart wieder in eine experimentelle und in eine völkerpsychologische Richtung.

Auf dem so gewonnenen Standpunkte der Psychologie kommt nun aber die Frage nach dem Verhältnis der psychischen zu den physischen Objekten selbstverständlich überhaupt in Wegfall. Beide sind ja in Wahrheit gar nicht verschiedene Gegenstände, sondern ein und derselbe Inhalt, der nur das eine Mal, bei der naturwissenschaftlichen Untersuchung, unter Abstraktion von dem Subjekt, das andere Mal, bei der psychologischen Untersuchung, in seiner unmittelbaren Beschaffenheit und in seinen durchgängigen Beziehungen zu dem Subjekt betrachtet wird. Denn alle metaphysischen Hypothesen über dieses Verhältnis sind unter diesem Gesichtspunkte Lösungen eines Problems, das auf einer falschen Fragestellung beruht. Muß die Psychologie im Zusammenhang der psychischen Vorgänge selbst, weil diese unmittelbare Erfahrungsinhalte sind, auf metaphysische Hilfshypothesen verzichten, so steht es ihr dagegen, da innere und äußere Erfahrung einander ergänzende Betrachtungsweisen einer und derselben Erfahrung sind, frei, überall, wo der Zusammenhang der seelischen Vorgänge Lücken bietet, auf die physische Betrachtungsweise derselben zurückzugehen, um nachzuforschen, ob unter diesem veränderten, der Naturwissenschaft entlehnten Gesichtspunkte die vermißte Kontinuität herzustellen sei. Das nämliche gilt dann aber in umgekehrter Richtung auch für die Lücken, die in dem Zusammenhang unserer physiologischen Erkenntnisse bestehen. Auch diese pflegt man in der Tat eventuell durch Glieder zu ergänzen, die sich nur der psychologischen Betrachtung der Erfahrungsinhalte darbieten. So ist es erst auf Grund einer solchen, beide Erkenntnisweisen in ihr richtiges Verhältnis setzenden Anschauung möglich, daß die Physiologie ebenso zur wahren Hilfswissenschaft der Psychologie werde, wie...