Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Familie auf Europäisch - Liebe und Alltag zwischen den Kulturen

Familie auf Europäisch - Liebe und Alltag zwischen den Kulturen

Katharina Strobel

 

Verlag Ch. Links Verlag, 2017

ISBN 9783862844012 , 216 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Familie auf Europäisch - Liebe und Alltag zwischen den Kulturen


 

Der Schlüssel zum Erfolg der EU – ein Appell


60 Jahre nach der Unterzeichnung der Verträge von Rom steckt die Europäische Union in ihrer bislang tiefsten Krise. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte möchte ein langjähriges Mitglied austreten. Werden weitere Länder dem Beispiel Großbritanniens folgen? Betrachtet man die wachsende Anzahl von Europäern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen und in anderen Ländern leben, arbeiten und Familien gründen, ergibt sich ein anderes Bild als das des krisengeschüttelten Kontinents an seinem Tiefpunkt: Die EU hat Millionen von Europäern den Weg zu einem friedlichen Miteinander unter einem gemeinsamen Dach geebnet. Warum wird davon so wenig erzählt? In diesem Buch werden europäische Lebenswelten geschildert, die zeigen, dass die Geschichte der EU auch eine Erfolgsgeschichte ist. Die Europäische Union hat möglich gemacht, wovon meine Großeltern nicht zu träumen gewagt hätten. Für meine Kinder und alle Nachfahren auf diesem Kontinent wünsche ich mir, dass wir uns auf diesen Erfolg besinnen und auf ihm aufbauen.

Wenn meine Kinder in ihrer Schule in Belgien, an der über 70 Nationen vertreten sind, den Internationalen Tag feiern und in den Trachten ihres Heimatlandes erscheinen sollen, haben sie die Wahl zwischen Schottenrock und Matrosenhemd. Sie könnten sich auch in den Farben der belgischen Flagge kleiden oder in Weiß-Rot, wie das englische Sankt-Georgs-Kreuz. Die Frage »Wo kommt ihr her?« können sie nicht mit einem Land beantworten, aber ein Wort ginge schon: Europa. Sie sind ein bisschen deutsch, ein bisschen britisch und fühlen sich auch den Belgiern nahe, weil sie in Belgien leben. Wie mein Nachwuchs entstammen immer mehr Kinder auf unserem Kontinent Europafamilien, deren Mütter und Väter aus unterschiedlichen Ländern der Europäischen Union kommen, und wachsen oft, aber nicht immer, multikulturell und mehrsprachig auf. EU-weit sind es Millionen.

Mit diesem Buch möchte ich auf Europafamilien und ihre speziellen Lebenswelten aufmerksam machen, denn der Brexit und nationalistische Strömungen in vielen EU-Ländern stellen infrage, was in ihnen längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist: europäisches, interkulturelles Miteinander unter einem gemeinsamen Dach. EU-Skeptiker bezweifeln, dass die EU-Staaten sich in den entscheidenden Fragen einigen können, und EU-Gegner erklären die europäische Idee gar für tot. Viele Menschen glauben, dass die EU-Staaten allein besser aufgestellt sind als im Verbund. Sind sie das wirklich?

Gerade der Brexit führt uns vor Augen, was wir aneinander haben und welche Komplikationen sich durch einen EU-Austritt ergeben – auf politischer und wirtschaftlicher Ebene und im Alltag der Europäer, die direkt davon betroffen sind. Plötzlich stelle ich mir Fragen, von denen ich überzeugt war, sie gehören in die Vergangenheit: Brauche ich künftig ein Visum, um in die britische Heimat meines Partners und die meiner Kinder zu reisen? Wird mir die Arbeitserlaubnis entzogen oder verwehrt, sollten wir zurück nach Schottland ziehen? Werde ich den britischen Gesundheitsdienst NHS nicht mehr kostenfrei nutzen dürfen? Müssen meine Kinder sich irgendwann zwischen der deutschen und der britischen Staatsangehörigkeit entscheiden? Das sind Fragen, von denen ich niemals geglaubt hätte, dass sie für mein Leben je relevant sein würden, und die mehr Menschen betreffen, als die Allgemeinheit annimmt. Sollte die EU auseinanderbrechen, würden sich Millionen von Europäern mit diesen Fragen beschäftigen müssen.

Die Idee für dieses Buch stammt aus dem Frühjahr 2015, als von einem britischen Referendum zur EU noch keine Rede war. Erst im Dezember desselben Jahres kündigte der damalige Premier Großbritanniens, David Cameron, die Abstimmung über den Austritt aus der EU an. EU-Skepsis geisterte zu diesem Zeitpunkt jedoch schon lange als ein immer bedrohlicher wirkendes Gespenst durch fast alle europäischen Staaten. Zu Recht regte sich in vielen Ländern Europas Unmut über zentral getroffene Entscheidungen, für die niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann.

In Deutschland war es die zunehmende Ablehnung des Euro und der europäischen Wirtschaftspolitik, aus der die EU-kritische »Alternative für Deutschland« (AfD) erwuchs. In Spanien kämpften die Menschen mit den Auswirkungen der Finanzkrise. Vieles läuft fatal schief in unserem Staatenbund. Krisen mit katastrophalen Auswirkungen für weite Teile der Bevölkerung, vor allem im Süden Europas, erschüttern den Kontinent seit vielen Jahren. Aber ist wirklich die EU die Verursacherin dieser Missstände?

Mir ist es ein Anliegen, bei aller berechtigten Kritik an der EU auf ihre positiven Errungenschaften zu verweisen. Die EU hat unser europäisches Bewusstsein geschärft und uns zu einer Großfamilie werden lassen. Viele Menschen empfinden es so. Allen voran die Europafamilien, die im Kleinen vormachen, wie es im Großen funktionieren könnte. Die EU hat möglich gemacht, dass wir innerhalb unseres Staatenbundes in jedem Land leben und arbeiten können. Viele unserer Privilegien – wie das Recht auf Freizügigkeit – sind für uns zur Normalität geworden. Der Brexit macht deutlich, wie schnell es damit vorbei sein kann. Wollen wir das? Seit dem Votum der Briten hat mein Anliegen eine neue Dynamik und Dringlichkeit bekommen. Jetzt ist Handeln angesagt. Der EU muss neues Leben eingehaucht werden, wenn wir sie erhalten wollen.

Dieses Buch ist ein Appell: Was die europäischen Länder in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam erreicht haben, sollten sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Zu groß sind die Errungenschaften, zu klein die Länder, um im globalen Kontext auf sich selbst gestellt zu sein. Wir fangen gerade erst an, den grenzenlosen Raum der Möglichkeiten, der unser Staatenbund ist, für uns zu entdecken. Ich wünsche mir, dass die Entscheidungsträger der 28 EU-Staaten sich ein Beispiel an den Europafamilien nehmen. Im Umgang der Europafamilien miteinander und in ihren multinationalen Lebenswelten liegt der Schlüssel zum Erfolg. Erst dann, wenn die Chefs unserer Länder sich auf Augenhöhe begegnen und das Gemeinwohl der gesamten Großfamilie im Blick haben, können sie eine Politik betreiben, mit der die Europäer sich identifizieren. Gerade zeigt sich in der Art und Weise, wie die Verhandlungspartner in den britischen Austrittsgesprächen miteinander umgehen – nämlich kühl, kalkulierend und, ja, leider auch feindselig –, das Gegenteil.

Familie auf Europäisch: Wie funktioniert das? Zwischen Juli 2016 und März 2017 bin ich quer durch die EU gereist, um dieser Frage im Gespräch mit Familien auf den Grund zu gehen. Wie kommen Europafamilien zustande, und was macht sie anders? Wie meistern sie ihren Alltag, und wie integriert sind sie in ihrem Umfeld? Die Antworten, die ich in den verschiedenen Familien gefunden habe, sind so facettenreich wie unser Kontinent. Aber eine herausragende Eigenschaft ist mir bei allen Müttern, Vätern und auch den inzwischen erwachsenen Europakindern, denen ich ein eigenes Kapitel widme, begegnet: Offenheit! Für fremde Sprachen und Kulturen, neue Traditionen und auch für dieses Buchprojekt, das ohne die großzügig gewährten Einblicke in die Privatsphären der Befragten nicht zustande gekommen wäre.

Mitglieder der Europafamilien müssen viele Hürden nehmen, um in einem fremden Land anzukommen oder, andersherum, Ausländer in den eigenen Kreis aufzunehmen. Sie überwinden sprachliche, kulturelle, geografische und bürokratische Barrieren, denn nur so können sie – getreu dem EU-Motto aus dem Jahr 2000 – »in Vielfalt geeint« als grenzübergreifende Familieneinheit in ihrem jeweiligen Umfeld bestehen. Eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Europafamilie ist die Kompromissbereitschaft. Die Deutsche Katharina Lorenz nimmt als in Deutschland ausgebildete Rechtsanwältin berufliche Nachteile und eine große geografische Distanz zu ihrer Familie in Sachsen-Anhalt in Kauf, um mit ihrer italienischen Familie in Verona leben zu können. Oliver Schon, in Deutschland geboren und in England zu Hause, hat sich damit abgefunden, dass seine beiden Söhne die deutsche Sprache nur verstehen, nicht aber auf muttersprachlichem Niveau sprechen lernen, weil das englischsprachige Umfeld dominiert. Doch der Balanceakt zwischen dem unbedingten Willen, das multikulturelle Familienprojekt gelingen zu lassen, und den Abstrichen, die man – vor allem als Zugereister – zu machen bereit ist, entpuppt sich als nicht immer einfach. Die Polin Iza Muther bewertet ihre Chancen, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen, als sehr gering. Also zieht sie mit ihrem deutschen Mann und ihrer kleinen Tochter von Berlin zurück nach Warschau.

Was können Politiker von diesen Beispielen lernen? Die Einbußen, die man für ein harmonisches Zusammenleben unter einem gemeinsamen Dach hinnehmen muss, können schmerzhaft sein. Die bürokratischen Barrieren machen es nicht einfacher. Nicht überall beherzigen die Behörden in den EU-Ländern das Recht auf Gleichstellung der EU-Ausländer. Oft müssen sie erst mit der Faust auf den Tisch hauen und nach dem Chef verlangen, um zu bekommen, was ihnen zusteht. Aber würden die Betroffenen die interkulturelle Lebenswelt, die sie sich geschaffen haben, deshalb aufgeben? Nein, lautet die eindeutige Antwort der Europafamilien. Sie wissen, dass sich die Mühe lohnt.

Von seiner griechischen Familie lernte der Deutsche Karsten Behnke, eine gewisse Gelassenheit dem Leben gegenüber zu entwickeln und Stolz zu empfinden, ohne sich dafür schämen zu müssen....