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Wo niemand dich sieht

Wo niemand dich sieht

Catherine Coulter

 

Verlag beTHRILLED, 2018

ISBN 9783732544912 , 437 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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Wo niemand dich sieht


 

2


»Mac, um Himmels willen, was fällt dir ein, aufzustehen? Entlassen wirst du sicher noch nicht. Schau dich doch nur an. Du siehst beschissen aus. Deine Gesichtsfarbe ist so grau wie muffige Stores.«

Lacy Savich, jedermann beim FBI als »Sherlock« bekannt, stieß mich leicht vor die Brust, um mich in Richtung Bett zurückzuschubsen. Als sie hereinkam, hatte ich es gerade geschafft, mich in meine Jeans zu manövrieren und war dabei gewesen, mich in ein langärmeliges Hemd zu quälen.

»Husch, husch ins Bettchen, Mac. Du gehst nirgendwohin. Wie bist du bloß in diese Jeans gekommen?« Sherlock klemmte sich unter meine Achsel und versuchte mich umzudrehen, zurück zu diesem verdammten Bett.

Ich blieb wie angewurzelt stehen, und sie kriegte mich keinen Millimeter weiter. »Hör zu, es geht mir gut, Sherlock. Lass los. Ich will dich nicht unter meiner Achselhöhle haben. Ich hab noch nicht geduscht.«

»Na, so miefig bist du auch wieder nicht. Ich rühre mich nicht vom Fleck, bis du dich nicht wenigstens hingesetzt und mir gesagt hast, was los ist.«

»Also gut, ich werd mich setzen«, gab ich nach. Und um die Wahrheit zu sagen, war Hinsetzen zurzeit ohnehin die beste Idee, aber nicht auf das blöde Bett. »Also schön, wenn du drauf bestehst, Sherlock.« Ich lächelte auf sie hinab. Sie war ein zierliches Persönchen mit üppigen roten Locken, die sie heute Morgen mit einer Goldspange im Nacken zusammengefasst trug. Sie hatte eine schneeweiße Haut und das hübscheste Lächeln, das man sich vorstellen kann, warm und süß. Außer wenn sie in Fahrt kam, dann konnte sie notfalls Metall zerbeißen. Wir hatten zusammen die FBI-Akademie besucht und waren dann vor zwei Jahren bei dem Verein angestellt worden.

Sie war eine überraschend starke Stütze, hielt mich aufrecht, führte mich zum nächsten Stuhl und wich dann seitlich zurück, um mich darauf plumpsen zu lassen. Sobald ich saß, grinste ich zu ihr auf. Ich musste an unsere Abschlussprüfung im Seilklettern an der Akademie denken. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob sie’s schaffen würde und war deshalb nicht von ihrer Seite gewichen, hatte sie vom Nachbarseil aus angefeuert, ermutigt, mit Schimpfnamen bedacht und sonst wie beleidigt, bis sie es mit ihren Spinnenärmchen tatsächlich bis nach oben schaffte. Sherlock besaß nicht gerade viel Muskelschmalz im oberen Bereich, aber sie hatte etwas, das viel besser war – ein großes Herz und jede Menge Mumm. Sie mochte mich wahrscheinlich mehr, als ich es verdiente.

»Jetzt mal raus mit der Sprache. Die Ärzte schütteln nur die Köpfe. Sie haben sich schon mit deinem Boss in Verbindung gesetzt, und ich wette, dass sie dich lieber in diesen wunderhübschen Linoleumboden stampfen, als dich jetzt schon rauszulassen. Ah, da kommt die Verstärkung. Dillon, komm rein. Du musst mir helfen, rauszufinden, was in Mac gefahren ist. Schau, er hat sogar eine Hose an.«

Dillon Savich blickte mich bei diesen Worten mit hochgezogener Braue an. Sein Glück, schien seine Miene zu sagen.

Ich lehnte mich zurück. Warum nicht noch fünf Minuten warten? Ich würde früh genug die Fliege machen. Außerdem war es nur gut, wenn meine Freunde Bescheid wussten.

»Schaut, Leute, ich muss sofort heim und packen. Ich muss einen Flug nach Oregon kriegen. Meine Schwester hatte letzte Nacht einen Unfall. Sie liegt im Koma. Ich kann nicht länger hier rumhängen.«

Sherlock ging in die Hocke und nahm eine meiner großen Pranken in ihre zierlichen Hände. »Jilly? Sie liegt im Koma? Was ist passiert?«

Ich schloss für einen Moment die Augen, denn dieser abartige Traum, oder was immer es auch gewesen war, überfiel mich unversehens. »Ich hab heute früh in Oregon angerufen«, erklärte ich. »Ihr Mann Paul hat’s mir erzählt.«

Sherlock legte den Kopf zur Seite und blickte mich ein paar Sekunden lang schweigend an. Dann fragte sie: »Wieso hast du angerufen?«

Sherlock hatte nicht nur ein großes Herz und jede Menge Mumm, sie hatte darüber hinaus einen messerscharfen Verstand.

Savich stand nach wie vor in der offenen Tür, groß und topfit wie immer. Und tough, das vor allem. Er musterte seine Frau, die ihrerseits mich aufmunternd ansah und darauf wartete, dass ich ihr mein Herz ausschüttete, was ich auch gleich zu tun gedachte. Gegen sie war ich ohnehin machtlos.

»Lehn dich einfach zurück und mach die Augen zu, Mac, ja genau. Niemand wird uns stören, das verspreche ich dir. Ich wünschte, ich hätte ein bisschen was von Dillons kostbarem Kentucky-Whiskey da. Der würde dich schneller weich machen, als Sean Dillon mit seinem besten Schrei aus dem Bett kriegt.«

»Das versteh ich zwar nicht so genau, aber ich will dir mitteilen, dass Midge mir letzte Nacht ein Bier gebracht hat«, sagte ich. »Mir wurde nicht schlecht davon. Es schmeckte einfach himmlisch.« Eine Untertreibung. Nicht mal Sex hätte besser sein können als diese Dose Bud Light.

»Das freut mich für dich«, bemerkte Sherlock und wartete. Ich sah, wie sie ihrem Mann einen aufmerksamen Blick zuwarf, der entspannt am Türrahmen lehnte, die Arme über der Brust verschränkt. Es war eine Schande, dass es beim FBI nicht mehr Kerle wie ihn gab, anstelle all der angepassten Bürokraten, die Schiss hatten, auch nur einen Finger zu rühren, wenn nicht alles von oben abgesegnet war. Ich hasse eine solche Einstellung und kann nur hoffen, dass ich später nicht auch mal so werde. Vielleicht nicht, in der Terrorismusbekämpfung hatte ich jedenfalls eine gute Chance. Die Bürokraten hockten alle in Washington, aber draußen, im Außendienst, da lief’s absolut anders. Da war man allein und auf sich gestellt, zumindest dann, wenn man einen verdeckten Einsatz gegen eine terroristische Gruppierung in Tunesien hatte.

»Ein Traum«, gestand ich schließlich. »Damit fing’s letzte Nacht an. Ich träumte, ich würde ertrinken oder jemand würde ertrinken. Ich glaube, es war Jilly.« Ich erzählte ihnen alles, woran ich mich erinnern konnte. Schulterzuckend fügte ich hinzu: »Und das ist der Grund, warum ich in aller Frühe heute angerufen habe. Ich fand heraus, dass der Traum, oder was immer es war, tatsächlich geschehen ist. Sie liegt im Koma.« Erneut fragte ich mich, was das wohl bedeuten mochte. Würde sie überleben, aber massive Hirnschäden davontragen? Würden wir entscheiden müssen, ob wir den Stecker rauszogen oder nicht?

»Ich hab Angst«, gestand ich und blickte Sherlock dabei an. »Mehr Angst als je in meinem Leben. Diesen Terroristen mit nur einer .450er Magnum entgegenzutreten, lässt sich damit nicht mal vergleichen. Auch von ’ner Autobombe durch die Luft gepustet zu werden, ist ein Kinderspiel dagegen.«

»Du hast zwei von denen erwischt, Mac«, erinnerte Savich ruhig, »einschließlich des Anführers, und du wärst in tausend Stücke gerissen worden, hättest du nicht so viel Glück gehabt – der Explosionswinkel war steiler als beabsichtigt – und wäre da nicht diese Sanddüne gewesen.«

Ich schwieg einen Moment und nickte dann. »So viel verstehe ich schon, aber diesen Traum verstehe ich nicht; er macht mir Angst. Ich fühlte, wie sie unterging. Ich fühlte ihre Schmerzen und dann gar nichts mehr, als wäre ich tot.

Irgendwie war ich mit ihr verbunden oder war ein Teil von ihr oder so was. Es ist verrückt, ich weiß. Aber ich kann nicht so tun, als wär’s nicht passiert. Ich muss einfach nach Oregon. Nicht nächste Woche oder in zwei Tagen, sondern jetzt gleich. Heute.«

Einfach weil Sherlock da war und weil ich solchen Schiss hatte, dass ich am liebsten gejault und geheult hätte wie ein Schlosshund, beugte ich mich vor und zog Sherlock an meine gesunde Schulter. Ein Spinnenärmchen schlang sich um meinen Hals. Ich merkte, wie mir die Tränen kamen, aber ich beherrschte mich eisern. Das wäre mir zu peinlich gewesen, selbst wenn die beiden keiner Menschenseele was verraten hätten. Nein, ich drückte sie einfach nur an mich, fühlte, wie ihr weiches Haar mich an der Nase kitzelte. Ich warf Savich einen Blick zu. Die beiden waren jetzt anderthalb Jahre verheiratet. Ich war Sherlocks Trauzeuge gewesen. Savich war bekannt und beliebt beim FBI. Er und Sherlock arbeiteten beide in der Abteilung für gezielte Täterermittlung. Savich war der Abteilungsleiter, hatte die Abteilung selbst vor gut drei Jahren gegründet. Es gelang mir allmählich, mich wieder in den Griff zu bekommen. »Da hast du eine besonders Gute erwischt«, bemerkte ich heiser zu Savich.

»O ja, abgesehen von allem anderen hat sie mir den besten kleinen Jungen in ganz Washington geschenkt. Du hast Sean nicht mehr gesehen, seit er einen Monat alt war, Mac. Zeit, dass du mal wieder vorbeischaust. Er ist jetzt schon fast fünf Monate.«

»Das werde ich nachholen, sobald ich kann.«

»Tu das. He, Sherlock, mit dir alles in Ordnung? Keine Sorge um Mac. Er wird nach Oregon fliegen und dort nach dem Rechten sehen. Wir sind hier, falls er Hilfe braucht. Nur einen kleinen...