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Wenn keiner dir glaubt

Wenn keiner dir glaubt

Catherine Coulter

 

Verlag beTHRILLED, 2018

ISBN 9783732544929 , 526 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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Wenn keiner dir glaubt


 

1


New York City, 15. Juni/Gegenwart


Es war Nachmittag. Becca schaute sich im Fernsehen eine Seifenoper an, die sie seit ihrer Kindheit verfolgt hatte. Dabei fragte sie sich, ob sie auch einmal ein Kind haben würde, das im einen Monat eine Herztransplantation benötigte und im nächsten eine neue Niere, oder einen Mann, der ihr nicht länger treu wäre als vom Sessel bis zur Tür.

Das Telefon klingelte.

Sie sprang auf, doch dann erstarrte sie in der Bewegung und fixierte das Telefon. Im Fernseher beklagte sich jemand, dass das Leben ungerecht sei. Er hatte ja nicht die geringste Ahnung.

Reglos blieb sie stehen, machte keinerlei Anstalten, den Hörer abzunehmen. Es klingelte noch dreimal. Dann endlich hielt sie es nicht mehr aus – ihre Mutter lag im Lenox Hill Hospital im Koma. Sie sah, wie ihre Hand nach dem Hörer griff. Nur mit großer Mühe konnte sie sich ein einziges Wort abringen: »Hallo?«

»Hallo, Rebecca. Hier ist dein Geliebter. Jetzt habe ich dir schon solche Angst gemacht, dass du dich zwingen musst, überhaupt ranzugehen, stimmt’s?«

Sie schloss die Augen, während die verhasste Stimme mit dem sanften, tiefen Klang sie einhüllte, sich in ihr Innerstes fraß und sie vor Angst zittern ließ. Die Aussprache war akzentfrei, keine lang gezogenen Konsonanten wie in den Südstaaten, keine scharfen Vokale wie in New York, keine verschluckten R wie in Boston. Eine gebildete Stimme mit flüssigen, klaren Sätzen, vielleicht sogar ein klein wenig britisch. Alt? Jung? Sie wusste es nicht, konnte es nicht sagen. Sie musste sich zusammenreißen. Musste aufmerksam zuhören, sich genau einprägen, wie er sprach, was er sagte. Du kannst es. Reiß dich zusammen. Bring ihn zum Reden, vielleicht verrät er sich ja irgendwie, man weiß nie, was als Nächstes zum Vorschein kommt. Das hatte ihr der Polizeipsychologe in Albany geraten, als der Mann mit seinen Anrufen begonnen hatte. Hören Sie genau zu. Lassen Sie sich keine Angst einjagen. Nehmen Sie das Heft in die Hand. Sie müssen ihn unter Kontrolle bekommen, nicht umgekehrt. Becca leckte sich die spröden, rissigen Lippen – eine Folge der heißen, trockenen Luft, die in dieser Woche über Manhattan lag. Der Wetterbericht hatte das als Anomalie bezeichnet. Also betete Becca erneut ihre Fragen-Litanei herunter und versuchte dabei, ruhig und beherrscht zu klingen, überlegen, ganz sie selbst.

»Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind? Ich möchte das wirklich gerne wissen. Vielleicht können wir ja darüber sprechen, weshalb Sie mich die ganze Zeit anrufen. Ist das möglich?«

»Kannst du dir nicht mal ein paar neue Fragen überlegen, Rebecca? Immerhin habe ich dich jetzt schon über ein Dutzend Mal angerufen. Und immer fragst du dieselben Sachen. Ach so, das hast du von einem Psycho-Doktor, stimmt’s? Der hat dir gesagt, dass du mir diese Fragen stellen sollst, dass du versuchen sollst, mich durcheinander zu bringen, damit ich irgendwann alles ausplaudere. Tut mir leid, aber das wird nicht funktionieren.«

Sie hatte sowieso nie wirklich daran geglaubt, dass diese Strategie funktionieren würde. Nein, nein, dieser Kerl wusste ganz genau, was er tat und wie er es tat. Sie hätte ihn am liebsten angefleht, er möge sie doch in Ruhe lassen, aber sie ließ es sein. Stattdessen verlor sie die Nerven. Sie drehte einfach durch, und die Wut, die sie so lange in sich hineingefressen hatte, gewann die Oberhand über ihre tief sitzende Furcht. Ihr Griff um den Telefonhörer wurde fest, die Knöchel schneeweiß, und dann brüllte sie los: »Jetzt hör mir mal zu, du miese Ratte! Hör endlich auf, dich als mein Geliebter zu bezeichnen. Du bist nichts weiter als ein kranker Vollidiot. Wie wär’s denn mit dieser Frage: Wieso fährst du nicht zur Hölle, wo du auch hingehörst? Wieso bringst du dich nicht einfach um, das wäre mit Sicherheit kein Verlust für die Menschheit? Ruf mich nie wieder an, du jämmerliches Stück Dreck. Die Polizei ist dir auf der Spur. Das Telefon ist angezapft, hast du das kapiert? Sie werden dich finden, und dann geht’s dir an den Kragen.«

Sie hatte ihn kalt erwischt, so viel war klar. Der Adrenalinstoß versetzte sie in grenzenlose Euphorie, die aber nur einen Augenblick lang anhielt.

Mit ruhiger, vernünftiger Stimme sagte er: »Ist ja schon gut, Rebecca, Schätzchen, du weißt doch genauso gut wie ich, dass die Polizei gar nicht mehr glaubt, dass du belästigt wirst, dass irgend so ein durchgeknallter Typ Tag und Nacht bei dir anruft und versucht, dir Angst einzujagen. Das Telefon hast du selbst anzapfen lassen, weil die Bullen das nicht machen wollten. Und ich bleibe niemals so lange in der Leitung, dass du mich mit deiner veralteten Ausrüstung erwischen könntest. Oh ja, Rebecca, du hast mich beleidigt, und dafür wirst du bezahlen. Bitter bezahlen.«

Sie knallte den Hörer auf die Gabel und hielt ihn krampfhaft umklammert, als wollte sie eine Blutung stoppen, als würde ihr Griff ihn daran hindern, erneut ihre Nummer zu wählen. Dann, endlich, ließ sie den Hörer los und entfernte sich langsam vom Telefon. Sie hörte, wie eine Ehefrau im Fernseher ihren Mann anflehte, sie nicht wegen ihrer jüngeren Schwester zu verlassen. Dann trat sie hinaus auf ihren kleinen Balkon und ließ den Blick über den Central Park wandern, dann ein wenig nach rechts bis zum Metropolitan Museum. Viele Menschen, überwiegend Touristen, die meisten in kurzen Hosen, saßen auf der Treppe, lasen, lachten, unterhielten sich, aßen Hot Dogs vom Theodolphus-Imbiss-Stand. Vermutlich befanden sich unter ihnen auch ein paar Kiffer, ein paar Taschendiebe, und ganz in der Nähe bemerkte sie zwei berittene Polizisten. Die Pferde hoben und senkten unruhig ihre Köpfe, sie waren aus irgendeinem Grund nervös. Die Sonne brannte auf die Erde. Es war erst Mitte Juni, doch die verfrühte Hitzewelle wollte immer noch kein Ende nehmen. Im Inneren der Wohnung war es gut zehn Grad kälter. Zu kalt, zumindest für sie, aber der Thermostat ließ sich nicht regulieren.

Da klingelte das Telefon erneut. Sie konnte es durch die halb verglaste Tür deutlich hören.

Sie fuhr herum und wäre beinahe über das Geländer gestürzt. Nicht, dass sie es nicht erwartet hätte. Das war es nicht, es wirkte nur so unvereinbar mit der Normalität des Lebens da draußen.

Sie nahm alle Kraft zusammen und ließ ihren Blick wieder durch das hübsche, pastellfarbene Wohnzimmer ihrer Mutter schweifen, zu dem Glastischchen neben dem Sofa und zu dem weißen Telefon, das auf dem Tischchen stand und klingelte, klingelte.

Sie ließ es noch weitere sechsmal klingeln. Dann war ihr klar, dass sie den Hörer abnehmen musste. Der Anruf könnte ja auch mit ihrer Mutter zu tun haben, ihrer schwer kranken Mutter, die im Sterben lag. Aber sie wusste natürlich, dass er es war. Doch das spielte keine Rolle. Wusste er eigentlich, wieso sie das Telefon überhaupt noch angeschlossen hatte? Über alles andere schien er Bescheid zu wissen, aber über ihre Mutter hatte er noch kein einziges Wort verloren. Sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Beim zehnten Läuten nahm sie ab.

»Rebecca, ich möchte, dass du noch einmal auf den Balkon hinausgehst. Schau zu der Stelle, wo die Polizisten mit den Pferden stehen. Jetzt, Rebecca.«

Sie legte den Hörer zur Seite und trat noch einmal hinaus auf den Balkon. Die Glastür ließ sie offen stehen und schaute zu den Polizisten hinunter. Sie wandte den Blick nicht ab. Sie wusste, dass etwas Furchtbares geschehen würde, sie wusste es einfach, sie konnte absolut nichts dagegen tun, konnte nur zuschauen und abwarten. Drei Minuten lang wartete sie. Als sie langsam zu der Überzeugung gelangte, dass der Mann sie jetzt mit anderen, neuen Mitteln terrorisieren wollte, gab es eine laute Explosion.

Sie sah, wie beide Pferde sich wild aufbäumten. Einer der Polizisten wurde abgeworfen. Er landete in einem Busch und dicker Rauch stieg auf, der die Szenerie verhüllte.

Als der Rauch sich ein wenig verzogen hatte, sah sie eine alte Obdachlose auf dem Bürgersteig liegen. Ihr Leiterwagen war in Stücke gerissen worden, die, zusammen mit ihren Habseligkeiten, um sie herum verstreut lagen. Papierfetzen flatterten auf den Bürgersteig nieder. Eine große Flasche mit Ginger Ale war zerbrochen, und die Flüssigkeit ergoss sich über die Turnschuhe der alten Frau. Die Zeit schien still zu stehen. Dann, urplötzlich, geriet alles in Bewegung, und ein heilloses Durcheinander entstand. Einige der Menschen, die auf den Eingangsstufen des Museums gesessen hatten, rannten zu der alten Frau.

Die Polizisten waren sofort zur Stelle, derjenige, der von seinem Pferd abgeworfen worden war, humpelte beim Laufen. Sie brüllten und fuchtelten mit den Armen herum – ob wegen des Blutbades oder wegen der herbeieilenden Menschen, das konnte Becca nicht sagen. Sie sah, wie die Pferde die Köpfe hochwarfen und angesichts des Rauchs und des Sprengstoffgeruchs nervös herumtänzelten. Becca stand wie gelähmt da und schaute zu. Die alte Frau bewegte sich nicht. Becca wusste, dass sie tot war. Ihr Verfolger hatte eine Bombe explodieren lassen und diese arme alte Frau getötet. Warum? Nur, um sie noch mehr in Angst und...