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Sommer auf meiner Haut - Roman

Sommer auf meiner Haut - Roman

Elisa Sabatinelli

 

Verlag Blanvalet, 2018

ISBN 9783641211158 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Sommer auf meiner Haut - Roman


 

2

Plaça del Sol

Ich sitze zu Hause und habe keine Lust, Koffer zu packen. Ich wünschte, er wäre schon fertig, ich wäre gern schon auf Reisen, ohne mich um das Drumherum kümmern zu müssen. Normalerweise notiere ich mir vor einer Reise all die Dinge, die ich mitnehmen will, auf zahllosen Post-its oder auf der Rückseite von U-Bahn-Tickets. Die verteile ich dann überall, in der Handtasche, auf der Ablage im Bad, in den Hosentaschen. Dumm ist nur, dass ich mich am Tag der Abreise meist nicht mehr erinnern kann, wo ich sie hingesteckt habe. Dann stehe ich völlig entmutigt vor dem Koffer und werfe einfach alles hinein, was mir vor die Augen kommt. Am Ziel angekommen, glänzen Zahnbürste und Schlafanzug dann mit Abwesenheit.

Diesmal ist das Album meiner Mutter das Einzige, was zählt, wenn ich den Schlafanzug vergesse, ist das nicht weiter schlimm. Ich wähle ein paar Kleider aus, die ich immer anziehe und die mir besonders gut stehen, alles andere lasse ich im Schrank.

Dann gibt es nur noch eins zu tun: mich von meinen Freunden und Barcelona zu verabschieden.

Wir sind erst gegen neun in Gràcia verabredet, dem Viertel nördlich der Avinguda Diagonal, aber ich gehe gleich aus dem Haus, ich will mich vorher noch ein bisschen im Herzen der Stadt verlieren. Die Sonne ist noch nicht untergegangen, und ihr orangefarbenes Licht lässt alles schöner und lieblicher erscheinen. Ein leichter, fast unmerklicher Wind weht mir warm entgegen, frischt auf und bauscht mein geblümtes Baumwollkleid. Ich halte mit einer Hand den Rock fest und lege ihn eng an den Po. Dabei rutscht mir ein Träger von der Schulter, den ich nicht zurückschiebe. Die Haare habe ich zu einem hohen, festen Pferdeschwanz gebunden, mein Gesicht liegt frei, ich habe heute nichts zu verbergen vor dieser Stadt. An einer Ampel ziehe ich den dunkelrosa Lippenstift aus meiner Umhängetasche, und während ich auf Grün warte, stelle ich mich vor ein Schaufenster und ziehe mir die Lippen nach. Ich stelle mich so dicht wie möglich vor die Scheibe, damit ich mich gut sehen kann, forme mit dem Mund ein O und fahre mit dem Lippenstift darüber. Dann presse ich die Lippen aufeinander und bewege sie ein wenig hin und her, damit die Farbe sich gleichmäßig verteilt.

Ich überquere die Straße und lasse mich vom Strom der Touristen mitnehmen. Der Brunnen an der Plaça Catalunya ist voller Leute, die auf seinem Rand sitzen und nach Kühlung lechzen. Sie haben Rucksäcke und große Einkaufstüten dabei, einer hebt gerade sein Hündchen hoch, um es trinken zu lassen. Alle sind leicht bekleidet, tragen kurze Hosen, offene Schuhe und ärmellose Tops, aber es nutzt alles nichts an diesem Sommerabend. Wie eine schwere Decke legt sich die Hitze auf die nackte Haut und durchdringt die Luft mit starken Gerüchen. Autos, Busse und Taxis umkreisen den Platz. Vor dem Fnac-Laden, einem beliebten Treffpunkt direkt am U-Bahn-Ausgang, warten etliche Menschen. Ich beobachte, wie ihre Gesichter einige Sekunden lang verloren wirken, bevor sie aufleuchten, weil sie jene anderen Gesichter gefunden haben, Gesichter, die sie gesucht haben, die sie lieben. Ein Schulterklopfen, Küsschen auf die Wange, auf die Stirn oder auf den Mund, ehe sie zügig einen sicheren Weg einschlagen. Sie kommen mir vor wie Wasserläufe, die ihre Umgebung überfluten, sich in die zahllosen Bars von Raval ergießen, durch Straßen und über Terrassen schlängeln und in Hauseingängen versiegen.

Mein Weg hingegen ist schnurgerade, als ich die Ramblas entlangschlendere, jene Ader, die von der Plaça Catalunya zum Hafen führt und die Fülle der Stadt von der Leere des Meeres trennt.

Kurz entschlossen halte ich mich rechts und gehe durch die Markthallen der Boqueria, über deren Haupteingang ein großes eisernes Wappen hängt. Mir ist heiß, und ich habe Durst, und da der Markt bald schließen wird, schlüpfe ich rasch noch hinein. Drinnen bersten die Tische schier vor bunten Früchten, die nach Farben sortiert sind, von weißen Kokosnüssen bis hin zu tiefroten Erdbeeren. Die Pracht aus Düften und Farben berauscht meine Sinne.

Gleich in der ersten Reihe stehen auf einem Bett aus Eis gelbe, violette, rote und pinkfarbene Säfte, alle frisch gepresst und mit einem Strohhalm darin. Ich wähle einen mit Papaya und beflecke den Strohhalm mit Lippenstift, während der Saft durch meine Kehle rinnt und meinen erhitzten Körper erfrischt.

Auf dem Markt wimmelt es immer noch von Leuten. Ich gehe zwischen den Gemüseständen hindurch, lehne mich an eine Säule, um in kleinen Schlucken den Saft zu trinken, während ich einen Herrn mit Hut dabei beobachte, wie er gelbe, fein gemahlene Gewürze kauft. Ich bemerke eine elegante Frau, die je ein Kilo Kichererbsen und Oliven ersteht, zwei kleine Mädchen, die sich an der Theke mit Süßigkeiten einen Vorrat an Kaubonbons zulegen, und in der Ferne das Wurstwarengeschäft mit den braunen Pata-Negra-Schinken und dem aufgeschichteten Tatar aus fein gehacktem Rindfleisch.

Die Kälte der Metallsäule überträgt sich auf meinen nackten Rücken und verschafft mir Linderung, und als ich am Fischstand vorbeigehe, überläuft mich sogar ein kleiner Schauer. Die Bar in der Ecke wartet mit Grillfischplatte und Weißwein auf, und ich würde mich nur zu gerne an die Theke setzen und in eine leicht angekohlte Garnele beißen. Aber es ist schon spät, und ich will die anderen nicht warten lassen, nicht heute. Also verwerfe ich die Idee, noch bis zum Meer hinunterzugehen und schlendere stattdessen unter dem Schwatzen der Leute und den Rufen der Händler auf den Ausgang zu.

Draußen erwartet mich die Hektik der Stadt. Allerdings spüre ich eine andere Energie als am Nachmittag, jetzt, da die Schatten der Sonne den Raum stehlen, sich die Rollläden der Geschäfte schließen und jene der Bars sich öffnen. Etwas Prickelndes und Pikantes liegt in der Luft, ein Glühen, eine ungeheure Lebendigkeit und Getriebenheit. Die Krawattenknoten der Männer sind gelockert, der oberste Hemdknopf steht offen, die Dekolletés der Frauen werden gewagter. Die Stadt will mich anstecken mit ihrer Heiterkeit, von der ich weiß, dass sie auch in mir ist. Auch wenn ich sie vor einiger Zeit tief in mir vergraben habe, spüre ich, dass sie noch immer da ist. Auf den breiten Gehsteigen des Passeig de Gràcia setze ich meinen Weg fort, die Anhöhe wieder hinauf. Die modernistischen Gebäude scheinen mich anzulachen mit ihren Balkons in Mundform und den welligen Dächern, die sich in den Himmel winden.

Gràcia ist eine glückliche Insel aus niedrigen Häusern und kleinen Plätzen, dessen Bewohner eine große Familie sind. Fast das ganze Viertel ist Fußgängerzone, und es wimmelt zu jeder Tages- und Nachtzeit von Menschen. Die Bars sind immer voll, und auf den Plätzen tummeln sich fröhlich Kinder und Hunde. Wir treffen uns hier seit der Schulzeit, unsere Lieblingsbank steht an der Plaça del Sol. Die Fassaden haben die unterschiedlichsten Farben, und jedes Fenster hat einen kleinen, mit Blumen bewachsenen Balkon. In den Erdgeschossen befinden sich Bars und Restaurants, alle haben sie Tische draußen, und über dem ganzen Platz liegt ein Geräusch, das sich aus vielen unterschiedlichen Geräuschen zusammensetzt: klingende Gläser, Musik, die aus den Wohnungen dringt, Rollläden, die hochgezogen werden. Wenn man die Ohren spitzt, kann man noch viel leisere und geheimere Geräusche hören: eine Zigarette, die in einem Aschenbecher ausgedrückt wird, die gedrückten Tasten eines Handys, ein gerauntes Wort, eine Hand, die ein Kleid streift, die schmalen Absätze einer Frau, die die Stufen erklimmt.

Ich setze mich auf unsere Bank und warte. Ich bin die Erste, heute sind alle zu spät. Auf diesem kalten, unbequemen Metall habe ich ganze Nachmittage und endlose Nächte verbracht und mit meinen Freunden geplaudert. Hier habe ich ihnen wahre und erfundene Abenteuer erzählt, ihnen meine Träume anvertraut, meine Wut und meine Ansichten entgegengeschleudert, mit ihnen gelacht und geweint. Von Liebeskummer geplagt, habe ich mir ihre Ratschläge angehört, die mir guttaten, auch wenn ich sie nicht befolgte.

Keine fünf Minuten vergehen, da packt Manel mich schon an der Schulter und nimmt mich in den Schwitzkasten, doch ich kann mich befreien und wuschele ihm durch den kohlschwarzen Haarschopf. Völlig außer Atem, mit tausend Tüten in den Händen, kommt einen Moment später Sara angehetzt. Sie arbeitet in einem großen Einkaufszentrum und nimmt sich oft Klamotten mit nach Hause. Hinter ihr entdecke ich Jana, die ihr Fahrrad an einen Pfosten schließt und mir aus der Ferne ein paar Luftküsse zuhaucht. Das sind meine ältesten Freunde, mit denen ich Erfolge und Niederlagen geteilt, mit denen ich nicht nur feuchtfröhliche Abende verbracht, sondern auch den Kater am nächsten Morgen durchgestanden habe.

»Wer fehlt denn noch? Ich verdurste gleich und brauche sofort ein Bier!« Jana schwitzt und rollt die Ärmel ihres roten T-Shirts auf die Schultern.

»Ich habe auch Laia und Xavi angerufen, sie müssten gleich da sein.« Während ich das sage, sehe ich meine beiden Studienfreunde auch schon Arm in Arm daherkommen. An der Uni habe ich nur mit den beiden wirklich Freundschaft geschlossen. Laia habe ich im Französischkurs kennengelernt und Xavi bei der Erstsemesterparty, die unter dem Motto Zickengezwitscher stand. Das gehört eben dazu, wenn man Moderne Sprachen in Barcelona studiert.

Laia fällt mir um den Hals, während Xavi sie dabei beobachtet. Sie hat ihm immer schon gefallen, weniger wegen ihrer fast zu offensichtlichen Schönheit als wegen ihrer extrovertierten Art, die sie noch sinnlicher macht. Aber er hat sich nie getraut, denn sie ist seit Jahren verlobt.

»Okay, wir sind vollzählig, sucht euch eine Bar...