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Notfallsanitäter-Curriculum - Baden-Württemberger Modell für eine bundesweite Ausbildung

Notfallsanitäter-Curriculum - Baden-Württemberger Modell für eine bundesweite Ausbildung

Martin Ohder, Joachim Volz, Marc Schmidt, Rico Kuhnke, Matthias Ziegler

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2018

ISBN 9783170329409 , 143 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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26,99 EUR

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Notfallsanitäter-Curriculum - Baden-Württemberger Modell für eine bundesweite Ausbildung


 

2         Pädagogischer Begründungsrahmen


 

2.1       Berufspädagogische und didaktische Grundlagen


Matthias Ziegler


2.1.1     Diagnose der Ausgangssituation


Die staatlich anerkannten Notfallsanitäterschulen und deren lehrende Dozentinnen und Dozenten sind angehalten, die Umsetzung der Unterrichtsplanung, der Unterrichtsgestaltung sowie den Unterrichtsverlauf neu zu überdenken. Deshalb versteht sich dieser Teil des Curriculums als pädagogischer Begründungrahmen für einen Paradigmenwechsel in der Ausbildung von Rettungsdienstpersonal. Es soll den Leserinnen und Lesern, insbesondere die lehrenden Dozentinnen und Dozenten sowie Verantwortlichen in der Ausbildung von Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen, dazu motivieren, diesen Paradigmenwechsel aktiv mitzugestalten.

2.1.2     Bildungsauftrag der Berufsschulen und Didaktische Grundsätze der KMK 2011


Die Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe (kurz KMK) stellt in ihrer letzten Fassung vom 23. September 2011 eine maßgebliche Grundlage für den Aufbau dieses Spiralcurriculums dar. Die KMK legt mit ihrer Handreichung die berufspädagogische Herangehensweise fest, indem sie die Rahmenbedingungen für Rahmenlehrpläne vorgibt. In dieser sind neben dem Lernfeld-Konzept, nachdem dieses Curriculum aufgebaut ist, sowohl der Bildungsauftrag der Berufsschulen als auch die didaktischen Grundsätze für anerkannte Ausbildungsberufe definiert (vgl. KMK, 2011, S. 14).

Die KMK beschreibt in Teil II »Bildungsauftrag der Berufsschule«, »[…] dass Berufsschule und Ausbildungsbetriebe in der dualen Berufsausbildung einen gemeinsamen Bildungsauftrag erfüllen. Aufgabe der Berufsschule ist es, den Schülern und Schülerinnen berufsbezogene und berufsübergreifende Handlungskompetenz zu vermitteln. ›Schülerinnen und Schüler sind demnach dazu zu befähigen, neben der spezifischen Aufgabe ihres Berufes, sowohl ihre Arbeitswelt als auch die Gesellschaft sozial-, ökonomisch- und ökologisch-verantwortlich mit zu gestalten‹« (KMK, 2011, S. 14).

Um dies zu gewährleisten, schließt die KMK die Förderung der Kompetenzen der jungen Menschen

•  zur persönlichen und strukturellen Reflexion,

•  zum lebensbegleitenden Lernen,

•  zur beruflichen sowie individuellen Flexibilität und Mobilität im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas mit ein (vgl. KMK, 2011, S. 14).

Berufsschulen wird deshalb empfohlen, ihren Bildungsauftrag so zu erfüllen, dass sie in ihren Lehrplänen ein differenziertes Bildungsangebot gewährleisten (vgl. KMK, 2011, S. 14 ff.), das:

•  »in didaktischen Planungen für das Schuljahr mit der betrieblichen Ausbildung abgestimmte handlungsorientierte Lernarrangements entwickelt,

•  einen inklusiven Unterricht mit entsprechender individueller Förderung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen, Fähigkeiten und Begabungen aller Schüler und Schülerinnen ermöglicht,

•  für Gesunderhaltung sowie spezifische Unfallgefahren in Beruf, für Privatleben und Gesellschaft sensibilisiert,

•  Perspektiven unterschiedlicher Formen von Beschäftigung einschließlich unternehmerischer Selbstständigkeit aufzeigt, um eine selbstverantwortliche Berufs- und Lebensplanung zu unterstützen,

•  an den relevanten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ergebnissen im Hinblick auf Kompetenzentwicklung und Kompetenzfeststellung ausgerichtet ist.

Um dem Bildungsauftrag der Berufsschule zu entsprechen, werden die jungen Menschen zu selbstständigem Planen, Durchführen und Beurteilen von Arbeitsaufgaben im Rahmen ihrer Berufstätigkeit befähigt. Lernen in der Berufsschule zielt auf die Entwicklung einer umfassenden Handlungskompetenz. Mit der didaktisch begründeten praktischen Umsetzung – zumindest aber der gedanklichen Durchdringung – aller Phasen einer beruflichen Handlung in Lernsituationen wird dabei Lernen in und aus der Arbeit vollzogen« (KMK, 2011, S.17).

Wenn bisher an den einzelnen Rettungsdienstschulen in Baden-Württemberg Rettungsdienstpersonal ausgebildet wurde, war die Planung und Durchführung von Unterrichten sowohl fachsystematisch als auch lernzielorientiert. Die lehrenden Dozentinnen und Dozenten sahen sich aufgrund der vorgegebenen Lehrpläne und ihres Fachwissens dazu in der Lage, einzelne Themengebiete (wie z. B. Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie, Herz-Kreislauf-System etc.) medizinisch-fachlich so aufzubereiten und zu unterrichten, dass das jeweilige Themengebiet am Ende vollständig abgearbeitet war. Man war der Überzeugung, dass ein einheitliches Lernziel bei allen Auszubildenden gleichermaßen erreicht werden konnte. Vor allem im Bereich der Rettungsassistentenausbildung führte dies letzten Endes dazu, dass Unmengen an theoretischen Grundlagen vermittelt wurden, die aber häufig wenig Relevanz für die spätere berufliche Handlungsfähigkeit der Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten hatte. Es wurde viel träges Wissen vermittelt. Träges Wissen wird hier als theoriegeleitetes Wissen verstanden, das aber kaum einen beruflichen Praxisbezug aufweist. Es »[…] beinhaltet keine Transferpotenziale, es befähigt kaum zur eigenständigen Problemlösung« (Siebert, 2005, S. 35). Kritisch betrachtet war die Ausbildung so konzipiert, dass sie in erster Linie als Vorbereitung auf die staatlichen Prüfungen diente – nicht aber auf die darauf folgende Berufsrealität. Das spiegelte sich sowohl in der Herangehensweise im Unterrichtsablauf in Form eines überwiegenden Frontalunterrichts und lehrerorientierter Unterrichtsweise als auch im passiven Lernverhalten der Auszubildenden wider. Um dieser Tatsache Abhilfe zu schaffen, gibt die Handreichung der KMK in ihrem dritten Teil »Didaktische Grundsätze« einige nach lerntheoretischen und didaktischen Erkenntnissen aufbereitete Orientierungspunkte, die in der Planung und Umsetzung von handlungsorientiertem Unterricht für Lernarrangements zu berücksichtigen sind (vgl. KMK, 2011, S. 17):

•  »Didaktische Bezugspunkte sind Situationen, die für die Berufsausübung bedeutsam sind.

•  Lernen vollzieht sich in vollständigen Handlungen, möglichst selbst ausgeführt oder zumindest gedanklich nachvollzogen.

•  Handlungen fördern das ganzheitliche Erfassen der beruflichen Wirklichkeit, zum Beispiel technische, sicherheitstechnische, ökonomische, rechtliche, ökologische, soziale Aspekte.

•  Handlungen greifen die Erfahrungen der Lernenden auf und reflektieren sie in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen.

•  Handlungen berücksichtigen auch soziale Prozesse, zum Beispiel die Interessenerklärung oder die Konfliktbewältigung, sowie unterschiedliche Perspektiven der Berufs- und Lebensplanung« (KMK, 2011, S. 17).

Um diese didaktischen Grundsätze wissenschaftlich zu untermauern, wird in den nachfolgenden Teilen mittels systemischer Betrachtungsweisen, insbesondere dem pädagogischen Konstruktivismus sowie einigen Aspekten der »neueren« Erkenntnisse über das Lernen versucht zu erörtern, wie dieser Paradigmenwechsel zu Stande kommt.

2.1.3     Pädagogische Perspektiven des Konstruktivismus


Die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit beobachtungsabhängig ist, ist nicht nur Physikern wie Heisenberg, Einstein und anderen zu verdenken, sie ist vor allem der gemeinsame Nenner der verschiedenen Autoren des Konstruktivismus (vgl. Siebert, 2005, S. 8–11). »Der Diskurs rund um das Thema des Konstruktivismus ist seit einiger Zeit auch in den Bereichen von Pädagogik und Didaktik von Bedeutung« (Feller, 2014, S. 57). So wird der Konstruktivismus von dessen Autoren als eine philosophische Lern- und Erkenntnistheorie beschrieben. Der deutsche Ökonom und Hochschullehrer, Prof. em. Dr. Horst Siebert, beschreibt die Kernthese des Konstruktivismus wie folgt:

»Die Kernthese des Konstruktivismus lautet: Menschen sind autopoietische, selbstreferenzielle, operational geschlossene Systeme. Die äußere Realität ist uns sensorisch und kognitiv unzugänglich. Wir sind mit der Umwelt lediglich strukturell gekoppelt, d. h. wir wandeln Impulse von außen in unserem Nervensystem...