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Flammenlied - Roman

Flammenlied - Roman

Alexandra Ivy

 

Verlag Heyne, 2019

ISBN 9783641232351 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Flammenlied - Roman


 

1

Mit theatralischem Flügelgeflatter tauchte Levet am Eingang der Drachenhöhle auf. Er war ein Gargoyle, der den großen Auftritt liebte. Na und, warum auch nicht?

Nun ja, es gab ein paar dümmliche Dämonen, die gesagt hatten, er sei nur ein armseliger Witz von einem Gargoyle. Und er war einstimmig aus der Gargoylegilde hinausgeworfen worden, nur weil er nicht die nötige Größe von einem Meter aufwies und seine Magie nicht der traditionellen, langweiligen Gargoylemagie entsprach.

Doch was auch immer ihm an Körpergröße oder Zauberkraft fehlte, glich er mehr als genug mit seiner überwältigenden Einzigartigkeit aus.

Seine Gesichtszüge waren herrlich grotesk, und er besaß die traditionell dicke graue Haut aller Gargoyles. Seine Augen erinnerten an die von Reptilien, seine Hörner waren verkümmert. Er hatte sogar einen langen Schwanz, den er fortwährend polierte, bis er schimmernd glänzte.

Noch beeindruckender waren seine Flügel, die zart wie Spinnfäden in den leuchtendsten Farben schimmerten. Seine Widersacher mochten anmerken, dass sie eher zu einer Elfe oder Fee als einem tödlichen Geschöpf der Dunkelheit passten. Doch soweit es Levet anging, trugen sie nur zu der geheimnisvoll sinnlichen Aura bei, die ihn umgab.

Während Levet darauf wartete, dass ihm endlich die Tür geöffnet wurde, schnaubte er missbilligend.

Wirklich, es war eine Schande, was Tayla getan hatte. Er hatte gerade eine wunderbar vergnügliche Zeit mit einer Feuerelfe verbracht, als seine Freundin ihm mental eine verzweifelte Nachricht geschickt hatte, dass er sie in Synges Drachennest treffen sollte.

Profi.

Nein, Augenblick mal. Das war nicht das richtige Wort.

Pronto. Er schnalzte mit den Fingern. Oui, das war es.

Das Mindeste, was sie tun könnte, wäre, hier draußen auf ihn zu warten und seiner Ankunft mit angehaltenem Atem entgegenzufiebern.

Das musste der Einfluss von Taylas neuem Gefährten Baine sein, entschied Levet, die Schnauze abschätzig gerümpft. Als er die hübsche Tayla zum ersten Mal getroffen hatte, hatte sie sich noch vor diesem mächtigen Drachen versteckt. Der Gargoyle und sie hatten zusammen in ihrem hübschen Teehaus gewohnt, wo die Elfe ihm täglich köstliche Leckereien zubereitet hatte.

Levet seufzte schwer – er vermisste diese schönen Tage.

Nun hatte Tayla nur noch Augen für ihren Gefährten und keine Zeit mehr, Levet mit heißen Scones und seinem Lieblingsnektar zu verwöhnen. Eine echte Tragödie!

Vielleicht sollte er zum Vulkan zurückkehren, wo seine Feuerelfe sehnsüchtig auf ihn wartete. Die Art, wie sie ihn mit ihren Flammen …

Levets schmutzige Gedanken wurden unsanft gestört, als die dicke Steinmauer nach innen glitt. Er zögerte kurz, bevor er auf das Tor zuwatschelte. Es hatte keinen Sinn, das Unausweichliche aufzuschieben. Je schneller er herausfand, was Tayla von ihm wollte, desto rascher könnte er zu seiner zauberhaften Elfe zurückkehren.

Er nahm noch den frischen Geruch von Zitrusfrüchten wahr, da erschien bereits eine Frau aus der Dunkelheit.

Tayla.

Sie war entzückend. Keine große Überraschung – alle Feen waren mit betörender Schönheit gesegnet.

Heute trug sie eine weit geschnittene, weiße Tunika aus schimmernder Seide, die bis zum Boden reichte. Ihre dunkelgoldenen Haare, in denen feuerrote Strähnen aufblitzten, ergossen sich über ihre Schultern und an ihrem Rücken hinab. Ihr Gesicht war ein blasses Oval mit einer schmalen Nase und üppigen pfirsichfarbenen Lippen. Ihre hellgrünen Augen waren mit jadefarbenen Flecken gesprenkelt und von dicken Wimpern umrahmt.

Als sie ihn sah, streckte sie ihm die Hände entgegen. »Oh, Levet. Der Göttin sei Dank!«

Levet nahm ihre Finger in seine. »Ich glaube kaum, dass du der Göttin danken musst«, versicherte er ihr. »Es war mein sanftmütiges und großzügiges Herz, das mich hergebracht hat.«

Es war seine Maxime, sein Licht niemals unter den Scheffel zu stellen. Wie sonst sollten andere Wesen seine vielen Talente gebührend zu schätzen wissen?

Taylas Lippen zuckten, als sie seine Klauen losließ und ihn in die höhlenartige Halle hereinwinkte.

»Ja, natürlich. Ich sollte dich allerdings warnen, dass die Dinge heute etwas …« Sie hielt inne, bevor sie sich räusperte und dann fortfuhr: »Angespannt sind.«

Levet trat vor und klappte erschrocken die Flügel ein, als sich die Wand hinter ihm schloss.

Hitze und Rauch und ein Hauch von Schwefel kräuselten sich um sie. Es war stickig.

»Das ist eine Drachenhöhle. Wann sind die Dinge dort denn nicht angespannt?«, erwiderte Levet.

»Das stimmt.« Tayla zog ihre hübsche Nase kraus. »Dann lass uns einfach sagen, dass die Dinge noch angespannter sind als sonst.«

Levet blickte finster drein. »Was zum Teufel ist nur los mit diesen Drachen? Nicht nur, dass Baine dich einfach gestohlen hat, jetzt hat sein Vater auch noch seine Gefährtin samt Tochter wieder zurück. Die alte Eidechse sollte doch einfach glücklich sein«, grummelte Levet, immer noch verärgert, dass sein gemütliches Heim auf den Kopf gestellt worden war, als Baine die hübsche Elfe als Gegenleistung für die Schulden ihres Vaters für sich eingefordert hatte.

Tayla erblasste. »Psst. Wenn Synge dich hört …« Ihre Stimme verhallte. Fast, als hätte sie entschieden, dass sie sich die Worte sparen konnte. Kopfschüttelnd drehte sie sich um, bevor sie Levet tiefer in die Drachenhöhle führte. »Wie dem auch sei. Folge mir!«

Levet beeilte sich, mit seiner Freundin Schritt zu halten, wobei seine Krallen laut über den Steinboden kratzten. Im Gegensatz zu Baines prunkvollem Zuhause zog Synge einen rustikaleren Stil vor. Nackter Stein. Schwere Holzbalken an der Decke. Fackeln entlang der Wände. Schreie aus den Folterkammern.

Höchst mittelalterlich.

Natürlich besaß der ältere Drache auch ein paar Räume, die renoviert worden waren. Sein Thronsaal. Und der Harem. Und, wie Levet vermutete, die Gemächer seiner Familie.

Der Rest dagegen war sehr dunkel und trostlos.

Genau wie Synge.

Sie marschierten rasch einen langen Korridor hinab, in dem mehrere Dienstboten ihren Pflichten nachkamen. Einige waren Halbblutdrachen, andere Elfen oder Vampire. Ausnahmslos alle trugen grün-goldene Uniformen, mit dem Symbol eines Blitzstrahls auf der Brust. Und alle wirkten nervös. Als fürchteten sie, jeden Moment von Drachenfeuer verkohlt zu werden.

Nachdem Levet und Tayla in einen Gang gebogen waren, von dem der Gargoyle annahm, dass er zu den Privatgemächern führte, trottete er hastig an Taylas Seite.

»Und was ist dem alten Synge nun über die Leber gelaufen?«, fragte er.

Tayla blickte sich verstohlen um, bevor sie ihm eine Antwort gab. »Blayze ist verschwunden.«

Levet kratzte sich über das verkümmerte Horn. Wie lang war es her, seit sie den weiblichen Drachen gefunden hatten? Einen Tag? Zwei Tage?

»Jetzt schon?«, fragte er überrascht. »Versteh mich nicht falsch … Ich hatte natürlich angenommen, dass sie sich aus dem Staub machen würde, nur nicht so schnell.«

Tayla zischte lautstark und funkelte ihren Begleiter finster an. »Willst du unbedingt umgebracht werden?«

Levet grübelte über ihre Worte nach. Warum stellten ihm die Leute immer solche lächerlichen Fragen?

»Non.« Entschieden schüttelte er den Kopf. »Nicht unbedingt.«

Tayla schloss kurz die Augen, ihr Zitrusduft erfüllte die Luft. Dann, mit scheinbarer Kraftanstrengung, öffnete sie die Lider und eilte den Korridor weiter hinab.

»Wir glauben nicht, dass Blayze die Drachenhöhle aus freien Stücken verlassen hat«, sagte sie.

Levet blinzelte. Dann noch einmal. Obwohl er nur Augen für seine Feuerelfe gehabt hatte, als Blayze in dieses Drachennest zurückgebracht worden war, war ihm doch zu Ohren gekommen, dass Blayzes Familie sie sicher versteckt und mit unzähligen Schichten Magie umwoben hatte. Abgesehen von dem Umstand, dass niemand unbemerkt in eine Drachenhöhle hinein- oder wieder hinauskam.

»Sie ist entführt worden?«

Tayla biss sich auf die Unterlippe. »Das wissen wir nicht.«

Levet kratzte sich erneut am Horn. »Ich fürchte, ich bin etwas verwirrt, ma belle«, sagte er. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn du ganz am Anfang von allem beginnst.«

Sie nickte langsam, und ihre grünen Augen schimmerten im Licht der Fackel vor Sorge, als sie in einen neuen Korridor bogen. In diesem gab es ein verblasstes Fresko an der Wand, ein Kampf zwischen Drachen und einer Legion Trolle.

Die Drachen waren am Gewinnen.

Keine große Überraschung!

»Du weißt, dass Blayze wenige Stunden nach ihrer Geburt mit einem Fluch belegt worden ist?«, fragte Tayla.

»Oui. Eine höchst feige Tat.« Levets Schwanz zuckte. Er hasste Dämonen, die nur die Schwächsten drangsalierten. »Was für ein verabscheuungswürdiges Monster würde sich an einem Säugling vergreifen?«

Taylas Hände ballten sich krampfhaft zu Fäusten. »Dämonen sind nicht gerade für ihre warmherzige und weichmütige Art bekannt.«

»Hey, ich bin warmherzig«, protestierte Levet und blickte an seiner ledrigen grauen Haut hinab. »Wenn auch vielleicht nicht sonderlich weich.«

»Levet«, tadelte Tayla ihn scharf. »Du musst dich konzentrieren!«

Levets Flügel flatterten, und seine Unterlippe zog einen beeindruckenden Flunsch. Dann, als er erkannte, dass Tayla ernsthaft besorgt war, stieß er ein leises Seufzen aus.

Später würde er sie daran erinnern, dass er ein Ritter in schimmernder Rüstung war, der unterwürfigsten Respekt verdiente. Vorläufig würde er seinen Stolz hinunterschlucken und großmütig seine Hilfe anbieten.

Denn genau das war, was...