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Tod am Aphroditefelsen - Sofia Perikles' erster Fall

Tod am Aphroditefelsen - Sofia Perikles' erster Fall

Yanis Kostas

 

Verlag Atlantik Verlag, 2019

ISBN 9783455004304 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Tod am Aphroditefelsen - Sofia Perikles' erster Fall


 

Dío – 2


Was hatte sie vor ihrem Abflug in London-Heathrow gute Laune gehabt. In Vorfreude auf die Heimat, auf alte Schulfreunde, auf launige Dachterrassen-Partys bei Nikolaos in Nikosia, auf ein kleines Techtelmechtel mit Lefteris um der alten Zeiten willen. Und auf ihren allerersten richtigen Job: Junior Security Advisor im Innenministerium der Republik Zypern. Wenn das nicht toll klang. Sie hatte sich in Gedanken schon die Visitenkarte ausgedruckt. Oben das herrschaftliche Wappen des Landes, darunter der Name der Behörde, dann ihre Berufsbezeichnung. Und über allem prangte ihr Name: Sofia Perikles.

Ihr Vater hatte sie vor sechs Monaten angerufen, kurz nach Weihnachten. Die Auslandsbotschaften waren gebeten worden, in den Botschaftsländern zypriotischen Nachwuchs für eine höhere Beamtenlaufbahn zu rekrutieren. Junge topstudierte Kräfte, die zurückgelockt werden sollten in die Heimat. Das passte perfekt. Ihr Studium war fast Geschichte. Intelligence and International Security am King’s College in London. Davor ein Jahr lang in Berlin etwas Vergleichbares. Nun fühlte sie sich bereit fürs Innenministerium in Nikosia, bereit, für einige Jahre zur Neuorganisation des Polizeiwesens beizutragen.

Sie hatte sich beworben und wurde prompt genommen. Einziger Haken: Sie verpflichtete sich für mindestens drei Jahre. Kein Problem, dachte Sofia. Endlich raus aus London – weg von Dauerregen und von Fisch, der nicht mal frittiert zu ertragen war. Sie wollte wieder im Warmen leben und frischen Fisch aus dem Mittelmeer essen, Fisch, den alte Wirte in lauschigen Restaurants über offenem Feuer oder in zypriotischem Olivenöl grillten. Zumindest für eine Weile.

Der Vertrag war unterschrieben, das Gehalt einigermaßen akzeptabel.

Acht Tage vorm Abflug fand ihre Abschiedsfeier statt. Erst Vorglühen, dann Zwischenglühen und irgendwann in der Nacht fielen sie und ihre Freunde im Plan B in Brixton ein, wo ein angesagter DJ aus Berlin auflegte. Sie tanzte, knutschte mit Carl, heulte und trank viel zu viel. Dann heulte sie wieder, all ihre Freundinnen heulten mit, und sie tanzten noch mehr. Morgens um halb zehn war Sofia aus dem Laden gestolpert. Ihr Display zeigte acht Anrufe in Abwesenheit. Eine Pariser Nummer.

»Papa«, sagte sie halblaut zu sich selbst. Und rief zurück.

»Mensch, Sofia. Warum meldest du dich jetzt erst?«

Er hatte diesen Ton, den er so oft angeschlagen hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war. Er zog das A in Sofia dann wie einen Kaugummi.

»Was ist denn, Papa? Wir waren … frühstücken«, sagte sie, konnte aber selbst nicht an den Erfolg dieser Lüge glauben. Ihre Zunge fühlte sich schwer an, und die griechischen Wörter holperten darüber wie eine noch zu erfindende Fremdsprache.

»Hast du es nicht gesehen? Das Ergebnis?« Er klang äußerst ungläubig.

»Welches Ergebnis? Hat AEL verloren?« Sie rechnete nach. Gestern war Sonntag gewesen. AEL Limassol, ihr gemeinsamer Lieblingsfußballverein, hatte Sommerpause. War also reichlich unwahrscheinlich.

»Verdammt, Sofia. Die Wahl …«

Die Wahl. Ich blöde Kuh, dachte sie. Sie hatte tatsächlich die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Zypern vergessen. Weil sie sich ungefähr so sehr für Politik interessierte wie für zypriotische Volkssagen. Das passte zwar nicht unbedingt zu ihrer Studienrichtung, aber im Studium hatte sie sich deutlich mehr mit richtiger Politik beschäftigt – mit dem Nahostkonflikt, mit Donald Trump, mit dem Brexit – und nicht mit den zyprischen Normen für den Olivenanbau.

»Papa, mach mal halblang, was ist denn passiert?« Sie ahnte Schlimmes, wusste aber rein gar nicht, um was es sich handeln könnte.

»Die Kommunisten«, stöhnte er, und es klang, als hätte er schwere körperliche Schmerzen.

»Was ist mit den Kommunisten?«, fragte sie, weil sie immer noch nichts ahnte.

»Die Kommunisten haben gewonnen. Ganz knapp, 51,3 Prozent. Eine Katastrophe.«

»Was? Aber die Umfragen waren doch eindeutig. Es war doch völlig klar, dass dein alter Freund die Wahlen gewinnt.«

Zyperns Präsident und ihr Vater waren zusammen zur Schule gegangen. Was in einem Land mit einer Million Einwohnern nicht schwer war. Beinahe jeder war mit irgendwem aus der Regierung zur Schule gegangen. Doch bei den beiden bedeutete es mehr: Zusammen waren sie mit siebzehn in die konservative Partei eingetreten. Hatten einander von Anfang an beim Aufstieg geholfen. Sobald er in der Position dazu war, hatte Sofias Vater seinen Freund mit wichtigen Parteiämtern bedacht. Durch diverse Zufälle stieg dieser höher und höher – und als er schließlich Präsident und Regierungschef wurde, dachte er wiederum an seinen alten Freund und machte diesen zum Botschafter in Paris. Sofias Vater hätte nie länger in Nikosia Dienst tun wollen, gar Minister werden oder Ähnliches. Er liebte die große weite Welt, und in Paris war er nun seit drei Jahren überglücklich. Washington, D.C., war der nächste Traum.

Dass er sich als Nächstes erfüllen würde – das hatten ihr Papa und ihre Mutter zumindest bis zu dieser Wahl gedacht. Sofia war ihr einziges Kind. Sie liebte ihre Mutter, war aber stets Papas Mädchen geblieben. Zu ihrem Vater hatte sie einfach die tiefere und innigere Beziehung.

»Ich habe es dir doch gesagt: Wenn es schon die Amerikaner nicht hinkriegen mit den Umfragen, wie sollten wir Winzlinge dann darauf vertrauen können. Verdammtes Staatsfernsehen, die haben uns in Sicherheit gewiegt«, sagte ihr Vater wütend, und in Gedanken hörte sie ihn schon stundenlang wehklagen über Trump und den Brexit und eben darüber, dass es nun sogar die Zyprioten erwischte.

Klar, dachte Sofia, für ihren Vater waren mal wieder nur die anderen schuld. Dabei hatte sich der konservative Präsident in seinen acht Jahren an der Spitze des Landes nun auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert – seine Präsidentschaft fiel mitten in die schwere Wirtschaftskrise, und er hatte enorme Sparmaßnahmen eingeleitet.

»Aber Papa«, begann sie beschwichtigend, »das ist doch nun wirklich kein großes Ding. Du bist ein so erfahrener Diplomat. Die brauchen dich. Und ich geh bald nach Hause auf unsere Insel, werde mich da ein bisschen engagieren und den Kommunisten mal zeigen, wo’s langgeht, und dann rocken wir das Ding.«

Ihre Unbekümmertheit kam ihr in diesem Moment völlig natürlich vor. Sie war die einzig denkbare Reaktion. Denn Zypern war ein Mittelmeer weit weg. Ihr Vater seufzte und stieß ein griechisch-orthodoxes Stoßgebet aus. Sie legten auf, und Sofia hatte die Angelegenheit vergessen.

Die letzte Woche in England verging wie im Fluge: Kofferpacken, WG-Zimmer übergeben, Sommerklamotten kaufen.

Als Sofia wenige Stunden zuvor in Larnaka gelandet war, hatte sie sich blendend gefühlt. Sie hatte den Flug genutzt, um bei Netflix sieben Folgen Jane, the Virgin zu schauen und herzhaft zu lachen. Sie hatte sich in der Business-Class von Aegean die Nägel lackiert und dabei ihrem Nachbarn abschätzige Blicke geschickt, als der wegen des Lackgeruchs immer wieder die Nase rümpfte. Womit sich ihre Blicke genau genommen natürlich nicht so viel nahmen. Und sie hatte mehrere kleine Gläser Champagner getrunken. Aegean servierte tatsächlich Taittinger. Was war sie froh, dass Cyprus Airways schon vor Jahren pleitegegangen war – die hatten immer nur Prosecco an Bord gehabt.

Mit ihrem Diplomatenpass war die Einreise eine Sache von Sekunden. Bald schon stand sie vorm Flughafengebäude, sah die kunterbunten Taxis und Busse und spürte die Sonne auf der Haut. Endlich. Sie war zu Hause.

Das Telefon piepte gleich mehrfach. Auf der Mailbox: Papa. Er murmelte irgendetwas, es war ein leises Wehklagen, unterbrochen von mehreren Rufen, immer wieder glaubte sie, das Wort Eriwan zu hören. Sie nahm sich vor, ihn später zurückzurufen, wenn die Verbindung möglicherweise weniger durchrauscht war.

Aus Spaß schaute sie noch ihren News Feed durch. Aber von wegen Spaß. Sie schrie auf. Was? Ihr Prinz! BBC vermeldete doch tatsächlich, dass Prinz Harry heiraten wolle. Seine Freundin. Eine geschiedene Schauspielerin. Allen Ernstes. Dabei hätte er doch sie, Sofia, haben können. Nun gut, konnte sie also länger auf Zypern bleiben.

In ihren Mails fand sie genau eine einzige vor, die ihr Leben in seinen Grundfesten erschüttern sollte – deutlich mehr als die Prinz-Harry-Meldung jedenfalls, auch wenn Sofia das zu diesem Zeitpunkt nicht wusste – und es auch drei Stunden später in der Schafherde noch nicht abschätzen konnte. Die E-Mail kam vom Innenministerium in Nikosia und klang wie alle offiziellen Schriftstücke des Landes äußerst salbungsvoll.

Sehr geehrtes Fräulein Perikles,

 

wir danken Ihnen für Ihre Bewerbung im Dienste unserer Republik. Gerne bestätigen wir Ihnen, dass Ihre Aufopferung für den zypriotischen Staat auch nach dem vor drei Tagen erfolgten Regierungswechsel eine äußerst wichtige Angelegenheit für uns ist – und dass wir uns freuen, auch mit Ihrer Hilfe das Staatswesen der Republik Zypern auf einen modernen Weg zu führen. Im Zuge des Regierungswechsels ist es eine selbstverständliche Maßnahme, dass wir Reformen durchführen, um unsere Ziele auch tatsächlich durchzusetzen.

Wir danken in diesem Ringen um eine bessere Zukunft für unser Land für Ihr Verständnis. Zu diesem Zwecke möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir eine Neuordnung der Zuständigkeiten in den...