Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Augustus

Augustus

Klaus Bringmann

 

Verlag Theiss in der Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN 9783806238365 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Augustus


 

II. Der Erbe Caesars


1. Der Hochverräter


Zwischen dem 20. und 25. März 44 traf ein Bote aus Rom in Apollonia ein und übergab Octavius einen Brief seiner Mutter. Der Brief war unmittelbar nach der Ermordung Caesars unter dem Eindruck des Geschehens geschrieben. Darin forderte Atia ihren Sohn auf, zu ihr nach Rom zurückzukehren; sie wisse selber nicht, wie es weitergehen solle, und der Sohn möge mit Mut und Besonnenheit auf die eintretenden Umstände reagieren.1 Auch der Bote, ein Freigelassener der Familie, stand noch unter dem Schock der Ermordung Caesars und berichtete, dass die Partei der Attentäter nicht klein sei und dass sie damit begonnen hätten, die Anhänger Caesars aus Rom zu vertreiben und zu töten. Caesars Verwandte seien in höchster Gefahr, und man müsse zunächst an die eigene Rettung denken.2 Diese Einschätzung spiegelte die Panik wider, mit der die Caesarianer auf die Ermordung des Diktators reagiert hatten. Selbst der Konsul Marcus Antonius war von ihr erfasst worden und war Hals über Kopf von dem Ort der Tat geflohen. Aber als der Bote in Apollonia ankam, hatte sich die Lage geändert.3 Die Attentäter hatten nicht das Volk von Rom auf ihre Seite ziehen können, und der Konsul bekam das Heft wieder in die Hand. In der Senatssitzung vom 17. März einigten sich die Parteien auf einen Kompromiss zur Wahrung des inneren Friedens: Alle Regierungsakte Caesars einschließlich der Ämterverteilung sollten rechtens bleiben und die Attentäter straflos gestellt werden. Drei Tage später kehrte die geschickt inszenierte Leichenfeier für Caesar die Lage in der Stadt noch einmal völlig um: Die Attentäter und ihre Sympathisanten mussten vor der Volkswut fliehen, und Antonius gelang es, sie aus Rom, dem politischen Zentrum, zu entfernen. Cassius und Brutus, die beiden führenden Köpfe der Verschwörung, blieben Praetoren, konnten aber ihre Amtsgeschäfte in Rom nicht mehr ausüben. Wahrscheinlich erhielten sie noch im April auf Vermittlung des Antonius durch Senatsbeschluss einen entsprechenden Dispens.

Von diesem Umschwung konnte Octavius noch nichts wissen, als er nach der Ankunft des Boten mit seinen Freunden, an ihrer Spitze Marcus Agrippa und Salvidienus Rufus, darüber beriet, wie auf die Katastrophennachricht aus Rom zu reagieren sei. Den Rat, Zuflucht bei dem mazedonischen Heer zu suchen und an der Spitze der Soldaten nach Italien zu gehen, um den Mord an Caesar zu rächen, verwarf er.4 Die Situation war viel zu unübersichtlich, und obwohl er über den Mord empört war, widerstrebte es ihm, in undurchschaubarer Lage Vabanque zu spielen. Er hielt sich auch damals schon an die Maxime seines Lebens, an ein griechisches Sprichwort, das Äquivalent des deutschen „Eile mit Weile“,5 lobte die Soldaten und die Bürger von Apollonia, die ihm ihre Unterstützung versprochen hatten, für ihren guten Willen und verabschiedete sich von ihnen mit der Bitte, seiner zu gedenken, wenn er sie brauchen werde.6 Dann brach er mit einem kleinen Gefolge nach Italien auf und landete in der Nähe von Lupiae, dem heutigen Lecce, um zunächst nähere Erkundungen über die Lage einzuziehen. Aus Vorsicht mied er die große Hafenstadt Brundisium, die mit Truppen belegt war, und begab sich erst einmal in den kleineren, abgelegenen Hafen von Lupiae. Dort erhielt er auch nähere Nachrichten über den Stand der Dinge in Rom. Es gab in Lupiae sogar Augenzeugen der dramatischen Ereignisse, die sich vom 15. bis zum 20. März in der Hauptstadt abgespielt hatten. Diese Augenzeugen berichteten ihm auch von dem bereits am 18. März veröffentlichten Testament Caesars. So erfuhr er, dass sein Großonkel ihn in Ermangelung eines eigenen Sohnes adoptiert und zum Haupterben mit Dreivierteln der Vermögensmasse eingesetzt hatte.7

Als Octavius gemeldet wurde, dass Brundisium nicht in der Hand von Caesargegnern war, begab er sich dorthin, und hier erhielt er einen weiteren Brief seiner Mutter und einen seines Stiefvaters. Atia schrieb nur, was er ohnehin schon wusste: dass in Rom ein Umschwung zu Ungunsten der Caesarmörder eingetreten war. Dagegen riet ihm Marcius Philippus dringend von der Annahme der gefährlichen Erbschaft ab, indem er auf das Menetekel des gewaltsamen Todes hinwies, den der Erblasser erlitten hatte.8 Die Warnung war nur allzu verständlich. Denn Namensübernahme und Erbschaft waren keine rein private Angelegenheit, sondern hatten politische Implikationen, die wegen der Stellung, die Caesar eingenommen hatte, weit über das in der römischen Aristokratie übliche Maß hinausgingen. Das zeigte sich schon an der Auflage an den Erben, dem Volk von Rom Mann für Mann ein Legat von 300 Sesterzen auszuzahlen. Dafür war bei etwa 300.000 Empfängern die ungeheure Summe von 90 Millionen aufzubringen, das Äquivalent eines Jahressoldes für 100.000 Legionäre. Die betreffende Testamentsklausel war für den Erben eine schwere finanzielle Last, aber sie begründete einen Wechsel auf die Dankbarkeit des Volkes und war dazu bestimmt, dem Erben den Eintritt in die große Politik zu erleichtern. Gewiss war Octavius ein reicher Mann. Er verfügte über das große Vermögen der Octavier, und dieses Vermögen vervielfältigte sich, wenn er Caesars Erbe annahm. Nun bestanden aber die großen Vermögen in Rom nur zu einem Teil aus Bargeld oder Schuldforderungen, vor allem jedoch aus Immobilien, Landgütern und Hausbesitz. Verkäufe im großen Stil zogen unweigerlich einen Preisverfall nach sich. Schon aus diesem Grund – andere Schwierigkeiten, von denen unten die Rede sein wird, kamen noch hinzu – war es gewiss nicht leicht, die Summe baren Geldes aufzubringen, die für die Auszahlung des Legats an das Volk von Rom notwendig war.

Noch problematischer waren andere Implikationen einer Annahme des Testaments. Alle Anhänger und Nutznießer der Herrschaft Caesars sahen in seinem Erben unweigerlich den natürlichen Anwalt ihrer Interessen und übertrugen die dem Vater geschuldete Loyalität auf den Sohn. Dies waren in erster Linie die städtische Plebs in Rom sowie die Veteranen und Soldaten Caesars, die um ihre Versorgung mit Bauernstellen bangten, gleichgültig ob sie bereits eine erhalten hatten oder noch auf ihre Ansiedlung in Kampanien warteten. Veteranen und Soldaten, die bewaffnete Macht also, konnten unter Umständen auch als ultima ratio des innenpolitischen Machtkampfes mobilisiert werden. Dies hatte die Geschichte seit den Zeiten eines Marius und Sulla gelehrt, und durch Caesars Bürgerkrieg war gerade erst die Probe aufs Exempel gemacht worden. Hinzu kamen die vielen Angehörigen des Senatoren- und des Ritterstandes, die Caesar gefördert hatte und die ihm durch Bande der Freundschaft und Dankbarkeit verbunden waren. Sie alle fürchteten nach den Iden des März um ihren Besitz und um ihre Stellung. Auch gab es Freunde und Bewunderer Caesars, die ebenso wie die städtische Plebs, Veteranen und Soldaten den Diktator tief betrauerten und ihn am liebsten auf der Stelle gerächt hätten. Zur Rache aber war nach römischer und allgemein antiker Anschauung der Sohn beziehungsweise der nächste männliche Verwandte geradezu verpflichtet. Der Weg zur Rache aber erschien verbaut: Der Konsul Marcus Antonius war mit den Caesarmördern und ihren Sympathisanten einen Kompromiss eingegangen, der den Mördern Amnestie zusicherte. Das schadete ihm beim Volk von Rom und bei Caesars Veteranen, auch bei nicht wenigen hochgestellten Nutznießern der Herrschaft Caesars. Dies alles bedeutete, dass der Erbe Caesars, obwohl er ein amtloser Privatmann war, mit einem starken Rückhalt im caesarianischen Lager rechnen konnte und der potentiell mächtigste Mann Roms sein würde. Freilich barg die Annahme des Erbes auch erhebliche Risiken. Denn es war keineswegs ausgemacht, dass der gänzlich unerfahrene junge Mann der Rolle gewachsen sein würde, die ihm das schwierige Erbe auferlegte. Obwohl Antonius sich mit der von ihm verfolgten Kompromisslinie in eine ambivalente Stellung gebracht hatte, war er als amtierender Konsul doch unstrittig der politische Führer des caesarianischen Lagers, und er war es, der als Inhaber der höchsten Magistratur die Leitlinien der staatlichen Politik vorgab.

Aber mit dem Ablauf seines Konsulats würde es damit vorbei sein, und so war Antonius gezwungen, die Machtstellung, die ihm seine Amtsgewalt auf begrenzte Zeit in die Hand gab, für den Ausbau seiner künftigen politischen Stellung zu nutzen, und dies um so mehr, als alle Welt damals mit dem Ausbruch eines neuen Bürgerkriegs rechnete. Nur die Undurchsichtigkeit der Lage hielt bis auf weiteres alle Parteien von der Anwendung offener Gewalt zurück. Mit dem Auftreten des Erben Caesars musste Antonius damit rechnen, dass sich seine Stellung bei den Caesarianern verschlechtern würde, und er merkte schnell, dass er in Gefahr geriet, einen Zweifrontenkrieg führen zu müssen, gegen den Erben Caesars, sozusagen den natürlichen Sachwalter aller auf die Person und die Sache Caesars bezogenen Interessen und emotionalen Bindungen, sowie gegen die Caesarmörder und alle ihre an dem Ideal der aristokratischen Republik...