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Der Mann, der einen Wald niederbrannte - Kurzgeschichten

Der Mann, der einen Wald niederbrannte - Kurzgeschichten

Samuel Wallander

 

Verlag Null Papier Frisch, 2019

ISBN 9783962815356 , 177 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

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Der Mann, der einen Wald niederbrannte - Kurzgeschichten


 

Grabräuber


Rick be­sah sich den al­ten Mann, der in sei­nem Di­ner nun schon seit ei­ner Stun­de an ei­ner Tas­se Kaf­fee schlürf­te und mit gleich­gül­ti­gem Blick mal die Gäs­te, mal Rick, meis­tens aber das kar­ge Ge­sche­hen drau­ßen auf der Stra­ße mus­ter­te.

Der Mann roch nach Knast.

Nicht dass Rick in sei­nem Le­ben schon vie­len Knas­tin­sas­sen be­geg­net wäre, aber die­ser war ein­deu­tig ei­ner. Er war so sehr ei­ner, als wäre er ei­nem Dreh­buch für eine TV-Se­rie ent­schlüpft. Was tat der Mann hier? War er nur ein Kun­de un­ter vie­len oder kund­schaf­te­te er den La­den aus?

Rick über­schlug im Kopf die Ein­nah­men des heu­ti­gen Ta­ges. Die Kas­se wür­de nicht sehr voll sein. Aber was scher­te das einen Be­rufs­ver­bre­cher schon? Auch die an­we­sen­den Gäs­te ver­spra­chen be­stimmt kei­nen er­gie­bi­gen Fisch­zug.

Rick ging hin­ter den Tre­sen und stell­te die lee­re Kan­ne ab, um neu­en Kaf­fee auf­zu­set­zen. Er über­leg­te, ob es wirk­lich sinn­voll war, dem Frem­den den Rücken zu­zu­dre­hen, aber in­ner­lich schmun­zel­te er über sei­ne über­trie­be­ne Vor­sicht. Die­ser alte Mann wür­de Ricks tris­ten All­tag nicht durch­ein­an­der­brin­gen, nicht zum Gu­ten und nicht zum Schlech­ten. Die­ser alte Ex-Sträf­ling – was ja noch zu be­wei­sen wäre – wür­de nur da­sit­zen, sei­ne Tas­se lee­ren und ir­gend­wann ver­schwun­den sein. Er wür­de ver­schwun­den sein wie ein Geist, wie alle Gäs­te, die es kein wei­te­res Mal hier­her ver­schlug. Er wür­de nichts hin­ter­las­sen au­ßer ei­nem Dol­lar Trink­geld, ei­nem Ge­säß­ab­druck auf den al­ten Kunst­le­der­pols­tern und viel­leicht noch ei­ner Pri­se sei­nes muf­fi­gen Ex-Knacki-Ge­ruchs.

Rick be­trach­te­te die ka­put­te Es­pres­so-Ma­schi­ne, von der er noch im­mer nicht wuss­te, wie sie rich­tig zu be­die­nen war; sei­ne letz­te In­ves­ti­ti­on in die­sen ver­damm­ten La­den, der ihn mit sei­nen arm­se­li­gen Ein­nah­men so ge­ra­de eben über­le­ben ließ. Die Rech­nun­gen müs­sen be­zahlt wer­den, hat­te sein Va­ter im­mer ge­sagt, und dann guckst du, was am Ende des Mo­nats für dich üb­rig bleibt. – Nicht viel, so­viel war mal klar.

Als Rick den al­ten Mann mög­lichst un­auf­fäl­lig un­ter die Lupe nahm, ver­stand er zum ers­ten Mal in sei­nem le­ben, was »asch­grau« be­deu­te­te. Denn ge­nau so sah das Ge­sicht des Man­nes aus: Es hat­te die Far­be von kal­ter La­ger­feu­er­a­sche. Wenn es eine Ge­sichts­far­be gab, die dem jah­re­lan­gen Auf­ent­halt hin­ter Git­tern ge­schul­det war, dann war es die­ser Farb­ton, die­se Mi­schung aus Spucke­weiß und Herbst­grau. Er hat­te kur­ze, eben­falls grau­wei­ße Bart­stop­peln, die so aus­sa­hen, als wür­de man mit ih­nen Holz schlei­fen kön­nen. Sei­ne Kopf­haa­re wa­ren dünn und braun, aber im Ge­gen­satz zum Bart nur von we­ni­gen wei­ßen Fä­den durch­zo­gen, da­für wa­ren sie fet­tig und sa­hen aus wie selbst ge­schnit­ten. Der Mann hat­te di­cke Trä­nen­sä­cke un­ter den Au­gen. Im­mer wenn er die Tas­se mit bei­den Hän­den zum Mund hob, um einen Schluck zu trin­ken, sah man sei­ne schmut­zi­gen Fin­ger­nä­gel. Sei­ne Fin­ger wie­sen ver­schie­de­ne, grob ge­sto­che­ne Tat­toos auf. So wie bei Schul­kin­dern, die sich wäh­rend des Un­ter­richts aus Lan­ge­wei­le die Hän­de mit ob­szö­nen Kra­ke­lei­en be­mal­ten. Eine be­mit­lei­dens­wer­te Fi­gur, vor der man aber den­noch in­stink­tiv auf der Hut war. Nicht so sehr wie vor ei­nem bru­ta­len Schlä­ger, son­dern mehr wie vor ei­nem hus­ten­den und schnie­fen­den Fahr­gast in ei­nem vol­len Rei­se­bus.

Auch wenn der Mann nicht ge­walt­tä­tig wer­den wür­de, fan­ta­sier­te Rick, konn­te er einen be­stimmt al­lein durch eine List oder einen plum­pen Zu­fall sei­nes Gel­des be­rau­ben. Der Mann roch nach Pro­ble­men. Wie­der dach­te Rick an die paar Schei­ne in der Kas­se. Nein, lie­ber Ga­no­ve, raub uns nicht aus. Am Ende läuft noch was schief, und dann geht ei­ner drauf für eine Sum­me, die nicht ein­mal reicht, um eine Nut­te zu be­zah­len, die noch alle Zäh­ne im Mund hat, eine, die ihre ei­ge­ne Web­si­te be­treibt und of­fi­zi­ell als Es­kort­da­me fun­giert.

Au­ßer dem Ex-Knacki wa­ren nur noch Hut­trä­ger Mike und Fet­tarsch Mur­phy an­we­send, die je­den Diens­tag zu­sam­men zum Hack­bra­ten vor­bei­ka­men. Rick wuss­te nicht, ob sie Mike und Mur­phy hie­ßen, aber sie sa­hen halt so aus wie Mike und Mur­phy. Und die­se Na­men wa­ren wohl so gut wie jede an­de­ren. Mike trug im­mer einen Hut – so einen alt­mo­di­schen, wie Bo­gart ihn ge­tra­gen hat­te und der we­der zur heu­ti­gen Zeit noch zu sei­nem sons­ti­gen Er­schei­nungs­bild pass­te, denn ab­ge­se­hen von sei­nem Hut trug er im­mer die­sel­be spe­cki­ge Le­der­ja­cke und die­sel­ben Bund­fal­ten­ho­sen. Mur­phy hin­ge­gen war so un­glaub­lich fett, dass sei­ne en­gen Jeans nur schwer das an der Tail­le über­quel­len­de Fett bän­di­gen konn­ten. Und je­des Mal, wenn er sich auf die an der Wand fest­ge­schraub­te Sitz­flä­che quetsch­te, ver­krampf­te sich Rick, wenn er an die Kos­ten ei­ner Neu­an­schaf­fung dach­te. Mike und Mur­phy sa­ßen im­mer am sel­ben Tisch, vor­aus­ge­setzt dass er frei war, was meist der Fall war, und kau­ten sto­isch ih­ren Hack­bra­ten; Mike im­mer mit ei­nem Glas Gra­tis­was­ser und Mur­phy mit al­ko­hol­frei­em Bier.

Rick über­leg­te, was wohl pas­sie­ren wür­de, wenn er den Mitt­woch zum Hack­bra­ten­tag mach­te. Wür­den Mike und Mur­phy dann ein­fach den Tag wech­seln oder nur das Ge­richt? Oder wür­den sie gar nicht mehr kom­men, weil sie das Hüh­ner­fri­kas­see ei­nes an­de­ren Di­ners am Mitt­woch mehr moch­ten als sei­nen Hack­bra­ten? Rick war aber zu trä­ge und auch ein we­nig zu mut­los, um die Menü­kar­te, an der er seit Jah­ren nur die Prei­se an­pass­te, zu über­ar­bei­ten.

So­eben ka­men Mike und Mur­phy vor­bei­ge­schlurft, sie hat­ten ihr Mahl be­en­det. Hut­trä­ger Mike nick­te zum Ab­schied kurz in Rich­tung ei­ner Stel­le, die ir­gend­wo knapp hin­ter Ricks lin­ker Schul­ter lag. Mur­phy tat und sag­te über­haupt nichts.

Dann wa­ren sie ver­schwun­den und Rick war mit dem Ex-Knacki al­lein. Ricks Er­fah­rung nach wür­de es jetzt bis in den frü­hen Nach­mit­tag kei­ne Kund­schaft mehr ge­ben, bis die ers­ten Schü­ler ir­gend­wann auf einen bil­li­gen Bur­ger mit Cola ein­tru­del­ten. Die­se Leer­zeit nutz­te er meist, um die Ti­sche zu säu­bern, die Grill­plat­te ab­zu­krat­zen und sich auf dem Klo einen run­ter­zu­ho­len.

Aber sein letz­ter Gast schi­en mit sei­nem Kaf­fee so zu­frie­den zu sein, dass Rick wohl sei­ne Verab­re­dung mit Miss No­vem­ber auf den Abend ver­schie­ben muss­te. Rick po­lier­te ei­ni­ge der Glä­ser, die griff­be­reit auf ei­nem sau­be­ren Tuch war­te­ten. Dann seufz­te er kurz und nahm ein we­nig Tem­po aus der Ar­beit raus, um nicht zu früh fer­tig zu sein, denn es wür­de sonst schnell nichts mehr für ihn zu tun zu ge­ben.

Jetzt schau­te sich der Ex-Knacki um und er­blick­te Rick. Sei­ne Au­gen ruh­ten da­bei den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de län­ger als not­wen­dig auf ihm. Es war Zeit, Kaf­fee nach­zu­schen­ken.

Rick griff die Kan­ne, die jetzt wie­der rand­voll war, und...