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Der Vietnamkrieg - Ein furchtbarer Irrtum

Der Vietnamkrieg - Ein furchtbarer Irrtum

Rolf Steininger

 

Verlag Studienverlag, 2018

ISBN 9783706559270 , 104 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR

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Der Vietnamkrieg - Ein furchtbarer Irrtum


 

GRUNDRISS


1. Vorbemerkung


Der 2. September 1945 ist ein denkwürdiges Datum in der Geschichte der USA, Japans, Vietnams und Frankreichs. An diesem Tag, einem Sonntag, unterschrieben die Japaner auf dem amerikanischen Schlachtschiff „Missouri“ in der Bucht von Tokio ihre bedingungslose Kapitulation. Am selben Tag, fast zur gleichen Stunde, proklamierte der vietnamesische Nationalist und Kommunist Ho Chi Minh auf dem Ba Dinh-Platz in Hanoi die Unabhängigkeit seines Landes von Frankreich. Amerikanische Offiziere hatten sich auf der Ehrentribüne versammelt. Das von Ho entworfene Dokument entsprach in Stil und Wortwahl der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Wie 1776 Thomas Jefferson dem englischen König George III. zahlreiche Vergehen vorgeworfen hatte, so wurden jetzt die Vergehen der Franzosen aufgelistet: inhumane Gesetze, ungerechte Steuern, Ausbeutung der vietnamesischen Arbeiter, Verletzung der Ideale von Humanität und Gerechtigkeit. Die Unabhängigkeitserklärung schloss mit der Erwartung, dass die siegreichen Nationen jene Prinzipien, auf die sie sich bei der Gründung der Vereinten Nationen geeinigt hatten, anwenden und folglich die Unabhängigkeit Vietnams anerkennen würden.31

Gut anderthalb Jahre zuvor, im Januar 1944, hatte US-Präsident Franklin D. Roosevelt an seinen Außenminister Cordell Hull über Indochina folgendes geschrieben:

„Frankreich hat dieses Land – 30 Millionen Menschen – fast hundert Jahre in seinem Besitz gehabt, und dem Volk geht es schlechter als zu Beginn. Frankreich hat es hundert Jahre gemolken. Das Volk Indochinas verdient etwas Besseres als das.“31

Das Ergebnis ist bekannt. Im ersten Indochinakrieg 1946 bis 1954 starben auf französischer Seite 74.000 Soldaten, bei den Vietnamesen 250.000. Dann kamen die Amerikaner: Der Vietnamkrieg wurde „Amerikas längster Krieg“11 und der erste, der verloren ging. Die USA gerieten immer tiefer in jenen Sumpf („quagmire“) in Südostasien, mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten: 58.269 amerikanische Soldaten starben, 304.704 wurden verletzt, davon erlitten 6.665 Amputationen, mehr als 33.000 blieben gelähmt. 500–800.000 Veteranen litten und leiden unter der Erinnerung an den Krieg, dem so genannten post-traumatischen Stresssyndrom. Angeblich sollen mehr Veteranen Selbstmord begangen haben als Soldaten in Vietnam gefallen sind; im Unterbewusstsein wirkte und wirkt dieser Krieg fort und bestimmte über Jahrzehnte die amerikanische Außenpolitik – von den Kosten, ca. zwei Billionen Dollar, ganz zu schweigen.20, 33 „Dieser Krieg wird uns wohl immer verfolgen“, wie ein Veteran einmal meinte. Der Vietnamkrieg als ultimativer Albtraum der Amerikaner, der die Nation so spaltete wie nichts mehr seit dem Bürgerkrieg hundert Jahre zuvor.

Im Präsidentschaftswahlkampf 2004 spielte er wieder eine Rolle: Hier der Herausforderer der Demokraten, John F. Kerry, der seine „tour of duty“ in Vietnam heldenhaft absolvierte, um dann zum vehementesten Kriegsgegner zu werden, dort Präsident George W. Bush, der seinen Dienst mehr schlecht als recht an der „Heimatfront“ in der Nationalgarde leistete.

Was vor 50 Jahren Da Nang, Khe Sanh und Saigon in den abendlichen Nachrichten waren, waren seit 2003 Bagdad, Basra und Falludja. Parallelen drängten sich auf: in Vietnam ein nicht stattgefundener Tonking-Zwischenfall, im Irak nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund, eine steigende Zahl getöteter Soldaten und Zivilisten. John F. Kennedys Bruder, Senator Edward Kennedy, sprach es im April 2004 öffentlich aus: Er nannte den Irakkrieg George W. Bushs Vietnam. Da war es wieder, das Vietnam-Trauma. Dennoch war vieles anders: Der Irakkrieg (und der Krieg in Afghanistan) konnte – und kann – mit dem Elend Vietnams nicht verglichen werden. US-Präsident Barack Obama beendete zunächst beide Kriege durch den Abzug der US-Truppen. Mit eher mäßigem Erfolg.

Der Krieg in Südostasien war nicht nur eine Katastrophe für die Amerikaner: Eine Million südvietnamesische Soldaten starben im Vietnamkrieg, etwa zwei Millionen tote Zivilisten waren zu beklagen; zwei Millionen Menschen wurden verstümmelt. Genaue Zahlen über Nordvietnam gibt es nach wie vor nicht. Es ist aber anzunehmen, dass dort mindestens genauso viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Die USA warfen viermal so viel Bomben ab wie während des gesamten Zweiten Weltkrieges – mit einer Zerstörungskraft von etwa 600 Hiroshima-Atombomben und 20 Millionen Bombenkratern. 50 Millionen Liter des hochgiftigen Agent Orange wurden versprüht. Das Land sollte entlaubt werden, um den Feind besser bekämpfen zu können; die Folgen sind heute noch zu sehen: Krebs und Missgeburten und eine zerstörte Landschaft.33

Wie sehr das Thema die Amerikaner nach wie vor bewegt, zeigt das Interesse, das die Filmemacher Ken Burns und Lynn Novick mit ihrer Dokumentation über den Vietnamkrieg im Jahr 2017 hervorriefen: insgesamt 35 Millionen verfolgten ihre 18-stündige Dokumentation. Es war die erfolgreichste Sendung auf PBS (die auch auf BBC und verkürzt auf ARTE gezeigt wurde).179 Dass die USA auch jene vietnamesisch-amerikanische Kommission finanzieren, die seit Jahren nach MIAs-Soldaten suchen, sei hier ebenfalls erwähnt.

Robert McNamara, US-Verteidigungsminister von 1961–1968, bezeichnete diesen Krieg, für den er maßgeblich mitverantwortlich war, 1995 in seinen Erinnerungen als einen „furchtbaren Irrtum“. Wie dieser Irrtum zur Katastrophe wurde, wird in diesem Buch aufgezeigt.

Die Originalausgabe ist 2004 im Fischer Taschenbuch Verlag in der Reihe Fischer Kompakt erschienen und erlebte mehrere Neuauflagen. Nachdem diese Reihe eingestellt wurde, erscheint die aktualisierte und um vier Kapitel erweiterte Neuauflage jetzt im Studienverlag.

2. Frankreichs Kolonie


Alles begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts – eher als Anekdote. 1845 landete das amerikanische Kriegsschiff „Constitution“ in Da Nang. Einige US-Marines stießen auf Hue vor, um einen französischen Bischof zu retten, der von den Vietnamesen gefangen genommen worden war.

Nach dessen Befreiung töteten die Vietnamesen etliche französische Missionare; daraufhin engagierten sich die Franzosen und eroberten am 17. Februar 1859 Saigon. Drei Jahre später hatten sie auch die umliegenden Provinzen in ihrer Gewalt. 1883 genehmigte das französische Parlament fünf Millionen Francs für eine „Expedition“, um ein französisches Protektorat in ganz Vietnam zu errichten. Im August 1883 stieß die französische Flotte auf den Parfum-River in der Nähe von Hue vor und stellte den Vietnamesen mit den Worten: „Stellt euch das Schlimmste vor – und die Wirklichkeit wird immer noch schlimmer. Der Name Vietnam wird aus der Geschichte getilgt“ ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum. Und dann eröffneten sie das Feuer. Im Laufe des weiteren Jahres wurde auch Hanoi erobert; damals befanden sich 20.000 französische Soldaten in Tonking, der nördlichen Provinz. Der französische Ministerpräsident Jules Ferry beantragte weitere 200 Millionen Francs zur Weiterführung der Aktion. „Ferry, der Tonkinese“, hieß es.13

Damals hatte auch China Ambitionen auf Vietnam. Als Franzosen in Formosa landeten, gab das kaiserliche China seinen Widerstand auf und erkannte 1885 im Vertrag von Tientsin die französische Oberhoheit über Indochina an. Im selben Jahr führte Frankreich eine Strafexpedition gegen die so genannte „Rebellion der Gebildeten“ – vietnamesische Nationalisten – durch: der Sommerpalast in Hue wurde gestürmt. 1887 gab es dann die „Union Indochine“ mit den Provinzen Cochinchina im Süden, Annam in Mittelvietnam und Tonking im Norden. Kambodscha kam im selben Jahr hinzu; 1893 dann noch Laos.

Die so genannte „Pazifizierung“ des gesamten Raumes wurde auf französischer Seite mit unglaublicher Brutalität durchgeführt. Anders als etwa die Briten in Indien bestand Paris auf einer direkten französischen Herrschaft. An der Spitze Indochinas stand ein Generalgouverneur, von 1891 bis 1930 waren dies gleich 23. Während 1925 5.000 Briten 500 Millionen Inder regierten, benötigten die Franzosen genauso viel für 50 Millionen Bewohner Indochinas. 50 Prozent des Budgets wurde für Bürokratie ausgegeben; Frankreich führte seinen Rechtscode und auch das französische Schulsystem ein. Die chinesischen Schriftzeichen wurden durch westliche ersetzt. Das war insofern einfach, als schon Mitte des 17. Jahrhunderts der französische Jesuit und Missionar Alexandre de Rhodes das „Dictionarium annamiticum“ geschaffen hatte, die erste systematische Transkription der vietnamesischen Sprache in das lateinische Alphabet; daraus war eine romanisierte vietnamesische Schrift entstanden.13

Der für Frankreich wichtigste der 23 Generalgouverneure war Paul Doumer, der Indochina zur profitabelsten französischen Kolonie überhaupt machte. Der ehemalige französische Finanzminister baute dort seit 1897 eine zentrale Verwaltung auf – und gleichzeitig die erste Opiumfabrik in Saigon, aus der ein Viertel aller Einnahmen stammte. Unter Doumer wurde der Reisanbau massiv vorangetrieben, so dass Indochina 1939 der drittgrößte...