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Intelligenzentwicklung und Intelligenzmessung - Ihre Bedeutung in psychodynamischen Therapien mit Kindern und Jugendlichen

Intelligenzentwicklung und Intelligenzmessung - Ihre Bedeutung in psychodynamischen Therapien mit Kindern und Jugendlichen

Reinhild Sporleder-Kirchner, Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2018

ISBN 9783170323230 , 193 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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30,99 EUR

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Intelligenzentwicklung und Intelligenzmessung - Ihre Bedeutung in psychodynamischen Therapien mit Kindern und Jugendlichen


 

2          Dummheit und Intelligenz – eine Einführung


 

 

 

 

»Dumm ist, wer dumme Dinge tut!«

Forrest Gump (1994)

Wenn der vaterlos aufgewachsene Forrest Gump in dem gleichnamigen Film diesen Satz sagt, wirkt er wenig intelligent. Er wiederholt einen Satz seiner Mutter, weist damit auf seine enge Bindung an diese hin und zeigt eine an konkretem Handeln orientierte Sicht auf das Leben. Im Verlauf des Films zeigen sich seine emotionale Gebundenheit, seine innere Sicherheit und ein an die Realität angepasstes, zielorientiertes Verhalten. Wie können wir es verstehen, wenn ein Mensch, dessen gemessener Intelligenzquotient (IQ) angeblich mit 75 IQ-Punkten stark unter dem Durchschnitt liegt, mit einer solchen Lebensklugheit handelt? Dieser Film erzählt eine rührende – möglicherweise teilweise auf Realität beruhende – Geschichte über die Fähigkeit zu flexiblem Reagieren auf die Überraschungen und Herausforderungen des Lebens. »Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel«, zitiert Forrest Gump seine Mutter. Bei einem solchen Beispiel eines Entwicklungsverlaufs sagt der gemessene niedrige Intelligenzquotient nichts über die Fähigkeit aus, zu lieben, sich anzupassen und erfolgreich zu handeln. Es besteht kein gesicherter Zusammenhang zwischen dem Intelligenzquotienten und einem geglückten und erfolgreichen Leben. Andererseits gibt es einen Zusammenhang zwischen reduzierter Intelligenz und der Häufigkeit des Auftretens kinderpsychiatrischer Probleme bzw. Verhaltensstörungen (Rost, 2013, S. 394).

Dumm sein und damit dumme Dinge tun, steht hier für ein Tun oder ein Nicht-Tun, über welches weder vorausschauend noch einfühlend nachgedacht wurde. Auch Menschen mit einem hohen oder durchschnittlichen Intelligenzquotienten (IQ) machen »Dummheiten«. Sie handeln, ohne nachzudenken, zu schnell oder gar nicht. Manchmal hemmen sie sich durch zu viel Nachdenken, sind unsicher, verstehen nicht, nehmen nicht alles wahr, können ihre Affekte nicht steuern. Solche intuitiv und schnell getroffenen, dummen Entscheidungen sind häufig nicht rational zu begründen. Erst im Nachhinein können sie sich trotzdem als emotional richtig erweisen. Solche scheinbar falschen Entscheidungen sind ebenfalls intelligente Anpassungen. Wirkliche Intelligenz zeigt sich häufig erst im Nachdenken und Verstehen, im Annehmen oder Korrigieren von Fehlern, in einer Flexibilität der Anpassung. Welche Ursachen gibt es für eine solche Unfähigkeit, intelligent zu handeln? Psychische Erkrankungen, Reifungsdisharmonien, emotionale Zurückweisungen, Traumata können psychische Entwicklung hemmen oder auch forcieren und damit die Intelligenzentwicklung beeinflussen. Destruktive, aggressive Handlungen, wie zum Beispiel antisoziale Tendenzen, sind dumm. Sie entspringen inneren Denkprozessen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht nachvollziehbar sind. Sie werden verständlich, weil sie von einem » benachteiligten Kind, das im Übrigen hoffnungslos, unglücklich und schuldlos ist«, ausgeführt werden, welches noch eine gewisse Hoffnung entwickelt hat und in seinem Reifungsprozess stecken blieb (Winnicott, 1985, S. 135).

Nicht jede Handlung ist rational begründet und steuerbar. Intelligente Entscheidungen sind abhängig von der Stärke oder Reife der psychischen Struktur. Wenn sich die Lösung von Armutsproblemen in Diebstahl zeigt, so wird eine schnelle, lustbetonte, »dumme« Lösung bevorzugt. Das intelligente Nachdenken über die möglichen Konsequenzen und die Schädigung der anderen wird ausgeblendet. Ob dabei die Armut zur geringen Intelligenz beigetragen hat oder die Not zum Handeln drängte, darüber kann spekuliert werden. Intelligenzentwicklung und Affekte stehen in einem sehr engen und direkten Zusammenhang. Das beschrieb schon Piaget (1995, S. 17). Affektivität ist entweder beschleunigend oder störend für das intelligente Handeln und kann sich auf die Entwicklung der Struktur der Intelligenz auswirken. Ergänzt um die Psychodynamik unbewusster Einflüsse zeigt sich darin die Komplexität von Intelligenzentwicklung.

Was beschreibt eine gelungene Intelligenzentwicklung? Innerhalb psychischer Entwicklung kann es keine einfachen Ursache-Wirk-Zusammenhänge, keine einfachen Kausalitäten geben. Eine komplexe Dynamik bewusster, unbewusster, innerer und äußerer Faktoren beeinflusst Intelligenz, macht ihre Beschreibung und Messung so schwierig. Eine ideale Entwicklung ermöglicht es einem Kind, sich in einer Beziehung und in sich selbst sicher zu fühlen. Insbesondere durch seine Beziehungserfahrungen kann es emotional reifen und Lust oder Freude am Denken und Handeln entwickeln. Zum Glück haben die meisten Kinder die Möglichkeit, in Ruhe zu reifen und ihre Intelligenz und Affektsteuerung gut und optimal zu entwickeln, und erlangen trotz hoher Belastungen und Risikofaktoren eine hohe Widerstandskraft, gute Problemlösefähigkeiten, Copingstrategien oder Resilienz.

Bei der Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Schwäche zeigt sich immer wieder der psychische Einfluss auf die Intelligenz. Die Diagnose dieser Erkrankung erfordert notwendig die Feststellung eines Intelligenzquotienten mit einem mindestens durchschnittlichen Ergebnis, um eine Lernunfähigkeit auszuschließen (ICD-10 F81.0, S. 390). Jahrelang wurde diese Diagnose zu häufig gestellt, da die Intelligenztests nicht das angestiegene Wissen und die Übung berücksichtigten. Es wurden regelmäßig zu hohe Intelligenzquotienten festgestellt und es gab viele Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (Rost, 2013, S. 393).

Beispiel


Als Tonja, 17 Jahre, wegen einer Depression nach dem Tod des Vaters zur Therapie kam, war ihre Lese-Rechtschreib-Schwäche immer wieder Thema. Sie hatte Vorteile bei der Benotung, aber ihr Selbstwert war sehr gering. Sie litt unter ihrer Schwäche und entwertete sich als dumm. In Gedanken flüchtete sie sich in innere Welten, die sie erst später mit dem Trauma der Totgeburt eines kleinen Bruders in Zusammenhang bringen konnte. Interessant war die genaue Beschreibung ihrer Wahrnehmung und ihres Erlebens. Sie übersprang beim Lesen Buchstaben und Wörter und füllte diese Lücken mit ihren Fantasien. Sie konnte dadurch ihre Wahrnehmung und ihr Denken nicht in Einklang bringen, obwohl ihre Sprache und Symbolisierungsfähigkeit sehr gut entwickelt waren. Ihr schienen bei der Verarbeitung innerer Halt und emotionale Begleitung zu fehlen. Die Traumata zeigten sich in der Unterbrechung ihrer Wahrnehmungsverarbeitung. Diese war durch unbewusste, verdrängte Inhalte in ihrer Struktur geschwächt. Die Wahrnehmung wurde durch schmerzhafte Affekte gestört und die Anpassung an die Realität verweigert.

Merke: Emotionale Entscheidungen sind nicht immer intelligent und rational begründet. Sie werden häufig intuitiv getroffen. Handlungen können auf den ersten Blick dumm erscheinen, obwohl sie sich emotional als durchaus sinnvoll und damit trotzdem als intelligent erweisen. Affektivität, intelligente Entwicklung und psychische Struktur hängen eng zusammen, sodass keine einfachen Ursache-Wirk-Zusammenhänge festgestellt werden können.

2.1       Was macht dumm? Was macht schlau?


»Manchmal ist man gerne dumm, wenn einem das erlaubt, etwas zu tun, was einem die Klugheit verbietet«

John Steinbeck, Jenseits von Eden (1953).

In unseren Praxen erleben wir Kinder und Jugendliche sowohl aus armen als auch aus reichen Familien. Diese Kinder haben ein gutes Sprachverständnis, aber sie können oder dürfen ihre guten Intelligenzfähigkeiten nicht zeigen. So zeigen sie sich dumm, können nicht denken. Sie haben die Lust am Denken verloren, sie vermeiden die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Realität, verhindern Autonomieentwicklung und selbstständiges Denken. Wie äußere Ursachen und Risiken die Entwicklung von Intelligenz hemmen können, beschreibt Spitzer (2016) in seinem Artikel »Armut macht dumm«. Er stellt den Zusammenhang zwischen Intelligenz und sozialem Status dar. Wenn zum Beispiel die wirtschaftlichen Ressourcen knapp werden, löst diese Belastung Stress aus. Die kognitive Leistungsfähigkeit verringert sich dadurch. Dies liegt offensichtlich nicht an ungünstigen Genen oder an einer geringeren Begabung. Hier zeigt sich der große Einfluss der sozialen Umgebung, welcher durchaus auch auf die Schulbildung und das erworbene Wissen wirkt. Die negative Wirkung von Stress auf das Gehirn und damit auch auf die Entwicklung der Intelligenz ist bekannt.

Äußere Bedingungen, wie Armut, Krankheiten, emotionale Belastungen und Beziehungslosigkeit, aber auch unbewusste Konflikte wirken auf die Entwicklung intelligenter...