Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Lockwood & Co. - Der Verfluchte Dolch

Lockwood & Co. - Der Verfluchte Dolch

Jonathan Stroud

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2019

ISBN 9783641234508 , 40 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

0,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Lockwood & Co. - Der Verfluchte Dolch


 

Es war ein Wintermorgen, der Tag nach dem ziemlich unappetitlichen Abschluss des Falles mit den Schwebenden Fingern. Lockwood, George und ich hatten uns zu einem sehr späten Frühstück in der Küche eingefunden. Überall auf dem Tisch lagen Degen, Ketten und Salzbomben herum, und Georges mit Ektoplasma-Brandflecken gesprenkelte Jacke hing qualmend über einem Stuhl. Neben der Cornflakes-Packung stand ein Silberglasbehälter mit einer abgetrennten Hand, sicher verwahrt und zur baldigen Entsorgung bestimmt. So was ist in unserem Haushalt ganz normal und verdirbt niemandem den Appetit. Wir fingen gerade mit der zweiten Runde Tee und Toast an, als die Glocke an der Haustür betätigt wurde.

»Vielleicht ein Klient«, meinte Lockwood. »Geh doch mal nachsehen, Lucy.«

»Wieso ich?«, fragte ich unwillig.

»Weil ich noch im Schlafanzug bin und George Marmelade im Gesicht hat.«

Weil er damit leider recht hatte, konnte ich schlecht etwas dagegen einwenden. Also ging ich zur Tür und öffnete. Vor mir stand ein kleiner, dicker Mann mit rosigen Wangen und zerzaustem aschblonden Schopf. Er trug einen braunen Tweedanzug, und seine weit aufgerissenen Augen drückten blankes Entsetzen aus.

»B-bitte entschuldigen Sie die Störung«, stotterte er, »a-aber ich g-glaube, ich habe einen Geist gesehen.«

Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Da sind Sie bei uns genau richtig. Kommen Sie doch bitte herein.«

Ich ließ den verängstigten Mann auf dem Sofa Platz nehmen und stellte eine Tasse Tee sowie ein paar Kekse vor ihn auf den Tisch, was sein Unbehagen aber nur noch zu verschlimmern schien. Seine Hände zitterten, seine Zähne klapperten, seine Augen huschten ängstlich hin und her, als fürchte er, dass gleich etwas aus der Wand schlüpfen und ihn fressen würde. Als Lockwood (inzwischen komplett bekleidet) und George (halbwegs marmeladenfrei) hereinkamen, sprang er wie angestochen auf und kippte sich Tee übers Hemd.

Lockwood gab ihm die Hand. »Ich bin Anthony Lockwood und das hier sind meine Kollegen George Cubbins und Lucy Carlyle. Was können wir für Sie tun?«

»Mein Name ist Samuel Whitaker«, antwortete der rosawangige Mann. »Ich bin Direktor der St.-Simeons-Akademie für außergewöhnlich begabte junge Menschen, einer renommierten Schule in Hammersmith. Wir sind eine altehrwürdige Institution, die aber im Lauf der Zeit modernisiert und großzügig umgebaut wurde. Erst letzten Monat haben wir eine neue Bibliothek eingeweiht, und ungefähr zu dem Zeitpunkt ging es mit …«, er schluckte hörbar, »… mit den Zwischenfällen los.« Der Direktor machte eine Pause.

»Den Kindern ist es zuerst aufgefallen«, fuhr Mr Whitaker dann fort. »Den Schülern der 2A. Sie beklagten sich über einen unangenehmen Geruch. Weil das Klassenzimmer der 2A neben der Knabentoilette liegt, habe ich mir nichts weiter dabei gedacht. Aber sie berichteten auch von sonderbarer Kälte und unerklärlichen Beklemmungen … und von leisem Klirren, das sie gehört hätten.«

»Was war das für ein Klirren?«, fragte George. »Eher wie Handschellen oder eher wie Ketten?«

»Das weiß ich nicht. Als Erwachsener bin ich für derlei ja unempfänglich. Ich habe folglich nichts gehört.«

»Und wann treten diese Phänomene auf?«

»Immer am späten Nachmittag, wenn es draußen dunkel wird. Gestern war es wohl besonders schlimm. Ich unterrichtete gerade in der 2A. Als die Stunde zu Ende war und die Kinder ihre Sachen zusammenpackten, beklagten sie sich wieder über die Kälte und den unangenehmen Geruch, und dann wurde etwas in den Raum geworfen. Es flog mitten durch die Glastür, sauste durch die Luft und bohrte sich in mein Pult. Es war ein Messer, Mr Lockwood! Ein Messer mit einer langen, dünnen Klinge und einem altmodischen Griff! Nach ein paar Schrecksekunden rannte ich in den Flur hinaus und schaute nach links und rechts. Ganz kurz glaubte ich aus dem Augenwinkel heraus eine Gestalt zu sehen … eine gebeugte, entstellte Figur, gleich an der Tür zur Bibliothek. Aber als ich mich zu ihr umwandte, war sie verschwunden. Trotzdem hatte ich so ein Gefühl, als würde mich etwas beobachten … etwas Boshaftes, Rachsüchtiges.« Mr Whitaker fröstelte. »Da hat es mir gereicht! Ich habe die Schule geschlossen, und jetzt hoffe ich, dass Sie mir helfen können.«

»Wir werden unser Möglichstes tun«, versicherte ihm Lockwood. »Eine Frage noch: Was haben Sie mit dem Messer gemacht?«

Der Schuldirektor wirkte leicht verunsichert. »Es hat sich so tief in mein Pult gebohrt, dass ich es nicht herausziehen konnte, also habe ich es stecken lassen. Es müsste noch dort sein.«

Lockwood schnalzte mit der Zunge. »Hoffentlich … Aber das werden wir heute Nacht ja sehen. Gehört das Klassenzimmer der 2A zum alten Teil des Gebäudes?«

»Ja, es ist schon hundert Jahre alt. Man sieht es an der Wandvertäfelung.«

»Und liegt es in der Nähe der neuen Bibliothek?«

»Die ist nur ein paar Türen weiter den Gang entlang.«

»Danke, das genügt uns, Mr Whitaker. Wir sind dann eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit an der Schule. Sie lassen die Tür für uns offen?«

»Selbstverständlich.« Der kleine Mann zögerte. »Aber ich muss doch hoffentlich nicht auch …«

Lockwood grinste. »Keine Sorge, wir finden uns allein zurecht.« Er stand auf und reichte dem Schuldirektor die Hand. »Auf Wiedersehen. Wir melden uns gleich morgen früh bei Ihnen.«

»Was meint ihr«, fragte ich, als wir unserem Kunden nachschauten, wie er durch den Vorgarten watschelte und dann die Straße hinabeilte. »Ein Poltergeist?«

Lockwood schüttelte den Kopf. »Poltergeister werfen zwar Sachen durch die Gegend, aber sie manifestieren sich nicht. Und Whitaker hat ja eine Gestalt gesehen.«

George hatte die Brille abgenommen und rieb mit einem Pulloverzipfel auf den verschmierten Gläsern herum. »Das gefällt mir nicht«, brummelte er. »Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ein Geist, der mit spitzen Gegenständen um sich schmeißt, noch ehe es richtig dunkel ist! Da ist äußerste Vorsicht geboten!«

»Ach, halb so wild«, erwiderte Lockwood unbekümmert. »Das schaffen wir schon.« Er reckte sich und gähnte. »Wer möchte denn noch einen Toast?«

* * *

Der Tag verging. Wir bereiteten im Untergeschoss alles vor und packten unsere Siebensachen zusammen. Da Geister Eisen und Silber nicht ausstehen können, und Salz genauso wenig, gehören diese drei Dinge zu den wichtigsten Bestandteilen unserer Ausrüstung.

Ich überprüfte alle Glieder der Eisenketten für unsere Bannkreise, George füllte die Behälter mit Salz und Eisenspänen auf, und Lockwood verteilte an jeden eine Leuchtbombe. Wir bestückten unsere Arbeitsgürtel und übten noch ein bisschen Fechten. Anschließend schlangen wir ein paar belegte Brote herunter, warfen unsere Taschen über die Schultern und machten uns nach Hammersmith auf.

Es war ein stürmischer, nasskalter Spätnachmittag, der Wind trieb welkes Laub und Abfall vor sich her. Die Geisterlampen in den Straßen brannten schon.

Die St.-Simeons-Akademie entpuppte sich als weitläufige Ansammlung unansehnlicher Gebäude nahe der Autobahnüberführung. Das von den Londoner Abgasen dunkel verfärbte Hauptgebäude war eine wilde Ansammlung steiler Dächer, gotischer Türmchen und schmaler Fenster, die uns, als wir näher kamen, schwarz entgegenblinkten. Die neueren Seitenflügel aus Glas und Beton waren nicht weniger hässlich.

George musterte das Ganze mit finsterer Miene. »Da wimmelt’s nur so von Geistern«, verkündete er. »Das spür ich schon von hier aus.«

»Damit kommen wir schon klar«, entgegnete Lockwood. »Lasst uns reingehen.«

Unter dem Vordach brannte nur eine einsame Lampe, die Tür tat sich bei der ersten Berührung knarrend auf. Lockwood ging als Erster hinein, dann ich und als Letzter George.

Wir sahen uns um.

Wir standen in einer gefliesten Eingangshalle. Überall hingen von den Schülern gemalte Bilder, auf einer Seite befand sich eine Art Empfangstresen. Es roch wie in den meisten Schulen nach Bohnerwachs, miefenden Socken und verkochtem Essen. Vor uns erstreckte sich ein langer, getäfelter Flur mit massiven Türen auf beiden Seiten. Weil es draußen immer dunkler wurde, konnten wir das Ende des Flurs nicht erkennen.

Wir blieben erst einmal stehen und setzten unsere jeweiligen Gaben ein. Lockwood und George hielten nach geisterhaften Spuren Ausschau, ich lauschte auf übernatürliche Geräusche.

Alles lag totenstill da. Ich hörte nichts. Beziehungsweise fast nichts, denn einmal glaubte ich ein leises metallisches Klirren vernommen zu haben …

Doch es war gleich wieder verstummt. Außerdem weit weg. Noch.

»Gut«, sagte Lockwood. »Dann wollen wir mal. Wir gehen direkt ins Klassenzimmer der 2A.«

George hob die Hand. »Augenblickchen. Oberste Regel für Ermittler: Richte dir erst einen sicheren Ort ein, bevor du dich weiter in ein heimgesuchtes Gebäude hineinwagst. Wir sollten hier einen Bannkreis ziehen, in den wir uns flüchten können, falls etwas schiefgeht.«

Lockwood winkte ab. »Wozu? Der Geist ist noch meilenweit entfernt. Das wäre die reinste Kettenverschwendung.«

George funkelte ihn durch seine kleinen Brillengläser an. »Jedes Jahr sterben Dutzende Agenten, weil sie es mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht so genau nehmen! Vorsicht ist besser als Nachsicht und es dauert nicht mal eine Minute.«

»Ich bin dafür, dass wir nicht lange fackeln und den Geist aufspüren«, gab Lockwood zurück. »Was meinst du, Lucy?«

»Ich dachte eigentlich, wir sehen uns zuerst in der neuen Bibliothek um«, sagte ich. »Laut Whitaker haben die Heimsuchungen...