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AGIL - Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf - Das persönliche Arbeitsbuch

AGIL - Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf - Das persönliche Arbeitsbuch

Andreas Hillert, Maren Maria Bracht, Stefan Koch, Kristina Lüdtke, Stefan Ueing, Dirk Lehr, Nadia Sosnowsky-Waschek

 

Verlag Schattauer, 2019

ISBN 9783608115208 , 213 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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27,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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AGIL - Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf - Das persönliche Arbeitsbuch


 

2 Am Anfang war der Stress …


Was ist das zentrale Anliegen des Kapitels?

Mit »Stress« umgehen können bzw. weniger »Stress« zu haben, dürfte das zentrale Anliegen der Leser dieses Buches sein. Damit dieses gelingt, ist es wichtig, hinter die Kulissen dieses ubiquitär verwendeten Begriffes zu schauen. Ausgehend von der Begriffsdefinition werden Stressoren und Stressreaktionen unterschieden und dann erläutert, inwieweit das persönliche Stresserleben von den individuellen Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern abhängt. Im Anschluss hieran geht es vor allem um die psychischen Folgen von chronischem Stress. Wir begegnen dabei dem (subjektiven) Burnout-Phänomen und werden, ausgehend von der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das häufige Krankheitsbild der Depression kennenlernen.

Wer sollte sich angesprochen fühlen?

Um eine Klärung der für das Thema Lehrergesundheit zentralen Begriffe – Stress, Stressor, Stressreaktion, Burnout und Depression – kommt niemand, der sich mit AGIL beschäftigen will, herum. Wie will man seinen Stress reduzieren, wenn unklar bleibt, ob man Stressoren und/oder individuelle Stressreaktionen meint?

Wie sieht der Fahrplan aus? Was sind die wichtigsten Inhalte dieses Kapitels?

Einerseits werden die genannten Begriffe definiert und deren medizinischer und psychologischer Hintergrund skizziert. Andererseits ist Stress ein immanent subjektives Phänomen. Als ein erster Schritt der Selbstreflexion und Selbsterfahrung im gesundheitsförderlichen Umgang mit Stress werden relevante Verhaltens- und Bewertungsmuster in mehreren praktischen Übungen veranschaulicht.

2.1 Stress und Stressbewältigung: Theoretische Überlegungen und Ihr höchstpersönlicher Einstieg


Wenn Sie eine Unterrichtseinheit zum Thema »Stress« vorbereiten oder über das Stress-Phänomen diskutieren, ist es wichtig, Definitionen parat zu haben. Wenn es um Ihr bzw. unser höchstpersönliches Erleben und Empfinden geht, dann sind abstrakte Definitionen kaum mehr als Schall und Rauch. Wir empfinden und erleben Freude, Ärger, Liebe, Wut … und (leider) nicht selten »Stress«, ohne uns darum zu scheren, ob das, was wir gerade erleben, nun tatsächlich dem entspricht, was in Lehrbüchern steht; und welche »wissenschaftlich anerkannten« Definitionen es diesbezüglich geben mag. Und das ist zunächst einmal gut so und ohne Alternative. Unser Gehirn bzw. unsere Wahrnehmung geht elementar von »Ganzheiten« aus, also von Begriffen bzw. Bildern, die unseren Zustand für uns greifbar machen und uns mit anderen kommunizieren lassen

Übung

Stress

Wenn Sie das Wort »Stress« langsam aussprechen, es quasi auf der Zunge zergehen lassen: Welche Bilder und Gefühle stellen sich dabei ein? Schließen Sie hierzu kurz die Augen!

Meine spontanen Bilder und Gefühle zum Thema Stress:

Der Betriff »Stress« …

… kommt vom englischen »stress« oder »to stress«. Die etymologische Bedeutung verweist auf die Begriffe Druck, Belastung bzw. belasten, beanspruchen.

Wenn Sie sich mit Freunden oder im Kollegium über Ihre Belastungen in der Schule unterhalten und das Wort »Stress« verwenden, wie wahrscheinlich ist es, dass diese ähnliche Bilder, Gefühle und Vorstellungen verbinden?

Dies kann man im Kollegium leicht ausprobieren: Geben Sie in der Pause (oder besser bei passender, entspannterer Gelegenheit) eine kurze Instruktion, teilen Sie Papier und Stifte aus … und vergleichen Sie die Ergebnisse!

Wozu das Ganze? Selbst wenn die Kollegen mehr oder weniger andere Bilder, Gefühle und Konzepte mit dem Wort »Stress« verbinden würden, kommunizieren Sie miteinander! In der Regel kommt dann bei solchen Gesprächen das gute Gefühl auf, mehr zu verstehen und verstanden zu werden.

Was liegt dem zugrunde? Letztlich haben wird uns buchstäblich einen Begriff bzw. ein Bild von etwas gemacht, das eigentlich unendlich schwer zu beschreiben ist. Unser Gehirn, in der Kommunikation mit unserer Umwelt (und damit mit uns selbst), hat offenkundig die Fähigkeit, komplexe Angelegenheiten und Phänomene, über die Wissenschaftler Bibliotheken schreiben, auf einen alltagstauglichen Nenner zu bringen. So konstruieren wir Bilder von vielem, was sich eigentlich jeglicher Begrifflichkeit entzieht – von Wahrheit und Gerechtigkeit bis hin zur wahren Liebe. Wir empfinden, denken und leben realiter selbstverständlich mit und in solchen Bildern. Sie sind in unserem sozialen Umfeld, auch im Kollegium, etabliert. Jeder versteht sie sofort und weiß, was Sie mit »Ich bin total im Stress« meinen.

Aber weiß sie oder er es wirklich? Die mit dem Begriff »Stress« einhergehenden Bilder können sehr verschieden sein. Wenn man näher hinschaut, was im Alltag aber niemand tut, weil ja alle verstanden haben, worum es geht, sind Worte wie »Stress« kaum mehr als eine Oberfläche, hinter der sich ein weites Spektrum an Inhalten und Aussagemöglichkeiten eröffnet. Der Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998) nannte solche Begriffe »generalisierte Kommunikationsmedien«. Ihr Vorteil ist, dass sie eine Verständigung über komplexe Phänomene im Alltag möglich machen. Ihr Nachteil besteht darin, dass die Verständigung zunächst zwangsläufig auf oberflächlicher Ebene bleibt und damit den Sachverhalt massiv vereinfacht (ohne dass es den Beteiligten auffällt). Unangenehmerweise fallen auf diesem Wege mitunter jene Aspekte weg, die nötig wären, um das mit dem jeweiligen Begriff einerseits prägnant und andererseits unvollständig bezeichnete Problem lösen zu können. Dafür ist »Stress« – in jeder Hinsicht – ein ideales Beispiel!

Diese einführenden Überlegungen waren zu trocken und zu theoretisch?

Pardon!

Wenn es um professionellen Umgang mit den Belastungen Ihres Lehrer-Alltags gehen soll, ist leider ein wenig Theorie, vor allem aber ein systematisches, mitunter hartnäckiges Hinterfragen vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, eben die, die uns, unsere Wahrnehmung, unserer Denken und unser Empfinden lenken und prägen, unabdingbar. Und das fängt bei den Worten und Begriffen an.

Ein paar im Lehrerzimmer aufgeschnappte Original-Zitate führen unmittelbar zurück in die Praxis.

Bitte stellen Sie sich nun Ihr Lehrerzimmer vor, so wie es in der Pause üblicherweise abläuft. Kommen Ihnen die folgenden Szenen bekannt vor?

Die Kolleginnen und Kollegen reden durcheinander, es riecht nach kaltem Kaffee, es wird hin und her gelaufen, in Papieren gekramt, gesucht, geschimpft, erzählt, hektisch gelacht – in Erwartung dessen, dass die Pause gleich vorbei ist.

Dabei fallen dann Sätze wie:

»Die 8c war heute wieder unmöglich. Bis ich heute mit dem Unterricht anfangen konnte, war totaler Stress angesagt …«

»Die im Kultusministerium haben keinen Schimmer davon, was hier bei uns los ist. Das macht mich richtig wütend! Wann soll man denn diese Flut von Mitteilungen und Mails lesen?«

»Ich habe schon totalen Stress zu Hause – mein Sohn ist voll in der Pubertät. Und wenn ich dann vor der 7a stehe, geht es gerade genauso weiter …«

»Du, Rainer [zum Schulleiter], das stresst mich wirklich, dass ich praktisch jeden Tag am Nachmittag antreten muss. Ich mache die halbe Stelle, weil ich selbst Kinder zu Hause habe!« Dann, zur Kollegin, die wenige Augenblicke später kommt: »Ich werde hier gemobbt!«

»Muss das sein? Jetzt vor den Ferien, wenn die Zeugnisse geschrieben werden müssen und dann auch noch drei Kollegen krank sind! Jedes Mal ist das der totale Stress!«

»Wenn ich die Klassenarbeiten der 9d vor mir habe, wird mir schlecht. Das macht mir Stress. Nach solchen Korrektursitzungen kann ich kaum einschlafen. Das Niveau ist katastrophal. Soll ich jetzt beide Augen zudrücken? Und was passiert, wenn ich das nicht mache?«

»Wenn Eltern mit mir sprechen wollen, dann wollen sie eigentlich immer nur, dass ich ihren Kindern bessere Noten und eine Empfehlung für das Gymnasium gebe. Und wenn ich das nicht tue, macht mir das echt Stress …«

...