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Römermaske - Baden-Württemberg-Krimi

Römermaske - Baden-Württemberg-Krimi

Simone Dorra

 

Verlag Silberburg-Verlag, 2019

ISBN 9783842517967 , 312 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR

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Römermaske - Baden-Württemberg-Krimi


 

EIN ANRUF


Kommissar Malte Jacobsen saß auf dem Teppichboden mitten in dem Raum, in dem er ab heute schlafen würde. Er musterte übellaunig die Einzelteile des Bettes, die vor ihm aufgereiht lagen (mitsamt einer erschreckenden Vielfalt unterschiedlicher Schrauben), und wünschte sich für einen langen, peinlichen Moment verzweifelt in das gemütliche Gästezimmer seiner Schwester Heike zurück.

Umzüge waren eine Katastrophe. Und komplett überflüssig. Anstrengend waren sie obendrein, sie kosteten viel zu viel Geld, und sie gehörten abgeschafft.

Er hatte das Gästezimmer in dem schmucken Reihenhaus von Heikes Familie eigentlich schon vor einem Jahr räumen wollen, aber das, was seine Kollegin Melanie Brendel einmal scherzhaft »Nestwärme« genannt hatte, hielt ihn dort fest, mit angenehm weichen und erstaunlich reißfesten Fäden. Weder Kurt noch Heike und genauso wenig sein Neffe Paul gaben ihm das Gefühl, dass er ihnen als Dauergast auf die Nerven ging, ganz im Gegenteil. Er selbst war es gewesen, der schon im Herbst nach seinem ersten Fall in Schwaben damit anfing, sich auf dem Wohnungsmarkt umzuschauen. Zuerst wollte er nach Waiblingen ziehen; das Präsidium lag näher, und er würde nicht mehr jeden Tag mit der S-Bahn zwanzig Minuten zur Arbeit fahren müssen.

Aber die richtige Bleibe zu finden, erwies sich als weitaus schwieriger, als er erwartet hatte. Die freien Wohnungen, die er sich ansehen konnte, waren entweder viel zu groß und kostspielig, oder sie waren auch für seine relativ bescheidenen Ansprüche zu klein (und selbst dann noch häufig zu teuer). Der Wohnungsmarkt in Backnang schien beinahe ebenso abgegrast zu sein wie der in Waiblingen, und für eine Weile schob er den Gedanken an einen Umzug wieder weit von sich; es gab genügend anderes zu tun.

Verbrechen wurden in Schwaben genauso begangen wie in Hamburg. Jacobsen hatte in den letzten zwölf Monaten Einbrüche, Raubüberfälle und zwei Morde aufgeklärt; seine Arbeit bot Ablenkung, um die leidige Frage, wo er in Zukunft seine Zelte aufschlagen sollte, erst einmal zu verdrängen.

Aber im vergangenen April war Heike es gewesen, die ihm den Tipp gab, einen Vermieter anzurufen, der kurzfristig nur zwei Querstraßen weiter drei Zimmer mit Keller, Autostellplatz und Balkon anzubieten hatte. »Bloß für den Fall, dass du was suchst«, hatte sie gesagt. »Nicht etwa, weil wir dich loswerden wollen.« Er glaubte es ihr, ergriff die Gelegenheit aber trotzdem dankbar beim Schopf.

Die Wohnung war hell, freundlich, obendrein vollständig frisch renoviert und hatte genau die richtige Größe. Der Vermieter entpuppte sich als ein gemütlicher alter Schwabe namens Eugen Fromm; er war von Jacobsen ebenso angetan wie von dessen Gehaltsnachweis und Beamtenstatus. Die Miete erwies sich als erfreulich tragbar, der Balkon blickte hinaus auf einen von Bäumen umstandenen Spielplatz, und nach einem halbstündigen Gespräch wurden Jacobsen und Eugen Fromm sich handelseinig. Zwei Tage später lag der Mietvertrag in Heikes Briefkasten.

Und jetzt saß Jacobsen auf dem Boden in besagter Wohnung, betrachtete missmutig den Bretterhaufen, in den sein Bett vor dem Transport aus dem Lager in Hamburg zerlegt worden war, und fragte sich, wie zum Teufel er auf die Idee gekommen war, seine Möbel allein zusammenbauen zu wollen.

Plötzlich klingelte es an der Tür. Jacobsen stemmte sich hoch, unterdrückte einen Seufzer, ging in den Flur und öffnete. Er erwartete, Heike auf der Schwelle vorzufinden, womöglich bewaffnet mit Brot und Salz. Stattdessen stand dort sein Vermieter, in Popelinehosen, sauber gebügeltem Polohemd und Strickweste, eine Weinflasche unter dem Arm.

»Grüß Gott«, sagte Jacobsen matt; ihm war ganz und gar nicht nach Smalltalk zumute.

»Grüß Gott«, erwiderte Eugen Fromm munter. »I han bloß mal schaue welle, ob Sie au zurechtkommet. Ko mer Ihna mit äbbes helfa?«

Jacobsen machte eine vage Geste in Richtung Schlafzimmer.

»Ich wollte gerade das Bett aufbauen, aber ich bin weniger geschickt, als ich dachte«, gestand er.

Eugen Fromm nickte, als hätte er etwas Ähnliches bereits erwartet, und schob sich behutsam an dem hohen Kartonstapel vorbei, der sich an der gesamten Flurwand entlangzog. Im Schlafzimmer angekommen, betrachtete er die Bescherung und gab ein mitfühlendes Zungenschnalzen von sich.

»Des isch aber au en Haufa Arbeit für oin Mo alloi«, meinte er diplomatisch. »I sag Ihna äbbes – mein Hubert kommt glei aus dr Werkschtatt. I sag em, er soll sein Werkzeigkaschte mitbrenga … und dr Lehrbua glei au no.«

Jacobsen sah vor seinem inneren Auge zwei wackere Schwaben, die sich gemeinsam mit seinem Vermieter mit Feuereifer auf sein Bretter- und Schraubenchaos stürzten, und empfand eine Mischung aus Verlegenheit und schuldbewusster Erleichterung. Eugen Fromms Hubert und dieser Lehrbub (wer immer die beiden auch sein mochten) verstanden mit Sicherheit mehr von der Sache als er. Vielleicht würde er heute Nacht doch nicht auf einer Luftmatratze schlafen müssen.

Eugen Fromm verabschiedete sich wenige Minuten später, ein entschiedenes Leuchten der Vorfreude in den Augen, und er ließ die Weinflasche als kleines Begrüßungsgeschenk zurück. Wie Jacobsen feststellte, handelte es sich um einen ordentlichen Trollinger aus der Heilbronner Gegend, und seine Stimmung hob sich noch weiter. Er stellte die Flasche auf ein Regal in der weißen Schrankwand, die bereits ihren Platz im Wohnzimmer gefunden hatte, und beschloss, die Tatsache, dass ihm so unerwartet Hilfe zuteil geworden war, mit einer Zigarette auf dem Balkon zu feiern.

Während er am Balkongeländer stand und in der Tasche seiner Jeans nach dem Feuerzeug fahndete, hörte er irgendwo aus der Wohnung sein Handy klingeln. Er ging wieder hinein und folgte dem Signalton, bis er das gesuchte Gerät in der Tasche seiner Lederjacke entdeckte, die über der Lehne des Wohnzimmersofas lag (wenigstens das musste nicht mehr aufgebaut werden).

Er drückte den Knopf und hob das Handy ans Ohr.

»Jacobsen, hallo?«

Am anderen Ende blieb alles still.

»Hallo? Wer ist denn da?«

Ein unterdrückter Laut, der wie ein Räuspern klang.

»Hallo? Melden Sie sich bitte, oder ich lege jetzt auf.«

Wieder dieses Räuspern. Dann, endlich, eine leise, junge Stimme: »Hallo. Hier … hier ist Lukas.«

Für ein paar Sekunden blieb Jacobsen die Luft weg. Jetzt war er es, der sich räuspern musste, bevor er seine Stimme wiederfand.

»Lukas?«, sagte er leise. »Lukas von Weyen?«

»Genau der. Hallo, Herr Jacobsen. Haben Sie ein bisschen Zeit für mich?«

»Sicher, Lukas.« Malte Jacobsen schloss die Augen. »Klar hab ich Zeit. So viel du willst.«

Herr im Himmel.

Vier Tage später steuerte Malte Jacobsen seinen Wagen auf den nördlichen Rand von Backnang zu. Er war fast zwei Jahre nicht mehr dort gewesen, wo er jetzt hinwollte, aber während seines ersten Mordfalles in Schwaben war er diese Strecke oft genug gefahren.

Der Mord an Peter von Weyen. Lukas’ Vater.

Monatelang hatte dieser Fall die Schlagzeilen in Backnang beherrscht. Kein Wunder, er hatte alles geboten, was die Sensationslust von Journalisten und Lesern gleichermaßen befeuerte. Ein Pfadfinderführer, Schwiegersohn einer der angesehensten Familien der Stadt … ein Mann ohne Fehl und Tadel, der während eines Pfadfinderlagers in der Nähe erhängt an einem Baum gefunden worden war. Die Ermittlungen waren schwierig und kompliziert gewesen, und als Jacobsen und seine Kollegin Melanie Brendel das Gewirr aus Lügen und Missverständnissen endlich entwirrt hatten, blieben Lukas von Weyen und seine Großmutter Klara allein in der großzügigen Villa zurück, in der auch Peter von Weyen bis zu seinem Tod gelebt hatte – beide auf tragische Weise Hinterbliebene und gleichzeitig Opfer eines Verbrechens, an dem keiner von ihnen auch nur die geringste Schuld trug.

Jacobsen hatte Lukas während der Ermittlungen kennen und schätzen gelernt – nein, eigentlich schon vorher, als Lukas und sein Freund aus Versehen die Terrassentür von Heikes Wochenendhaus eingeworfen hatten, in dem Jacobsen nach seinem Umzug aus Hamburg und vor seinem Dienstbeginn ein paar dringend nötige Urlaubstage verbracht hatte. Da war Peter von Weyen noch am Leben gewesen.

Nach der Aufklärung des Mordes folgte im Spätherbst der Prozess. Malte musste als leitender Ermittler in der Sache aussagen. Er sah, dass Klara von Weyen jeden Tag anwesend war, sprach aber nicht mit ihr; er hätte auch nicht gewusst, was er ihr sagen sollte. Lukas kam kein einziges Mal in den Gerichtssaal, und noch heute war Jacobsen sehr...