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Durchkreuzt - Mein Leben mit der Diagnose Krebs

Durchkreuzt - Mein Leben mit der Diagnose Krebs

Andreas R. Batlogg

 

Verlag Tyrolia, 2019

ISBN 9783702237462 , 192 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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16,99 EUR

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Durchkreuzt - Mein Leben mit der Diagnose Krebs


 

8.
»Was ich Ihnen jetzt sage, fällt mir schwer«


Mit dem Kirchenrektor von St. Michael hatte ich vereinbart, dass er am Ende eines Hochamtes am Sonntag die Gemeinde informieren würde. Dass ich mit Jahresende bei meiner Zeitschrift aufhören und eine Sabbatzeit antreten sollte, hatte sich schon herumgesprochen. Nun hatte ich fast drei Monate früher aussteigen müssen. Wir wussten am Anfang auch nicht, welche Nebenwirkungen sich einstellen würden. Ob ich weiter zelebrieren und predigen könnte. Wegen der Chemotherapie sollte ich größere Menschenansammlungen vermeiden, da mein Immunsystem geschwächt war. Wir beschlossen: Solange es irgendwie geht, konzelebriere ich, aber ich stehe keiner Messe mehr vor und stelle das Predigen ein. Ich verstecke mich aber nicht.

Wir wählten also eine Sonntagsmesse, bei der ich (noch) den Vorsitz hatte. Karl predigte. Vor dem Schlusssegen nahm er nach einigen Vermeldungen tief Luft und begann: »Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, fällt mir nicht leicht. Sie alle kennen Pater Batlogg und wissen, wie gern er hier Gottesdienst feiert und predigt. Das wird in den nächsten Monaten nicht möglich sein. Vor zwei Wochen hat er die Diagnose Krebs erhalten. Es ist ein bösartiger Tumor im Enddarm, die Behandlung – Chemotherapie und Bestrahlung – hat bereits begonnen. In einigen Wochen folgt eine größere Operation.« Es war mucksmäuschenstill. Mein komisches Gefühl dabei: Da ist von mir die Rede! Würde mir beim Segnen die Stimme brechen? Karl hat sehr diskret informiert. Hinterher erfuhren wir, dass jemand statt »Enddarm« (um das Wort Mastdarm zu vermeiden) »Endstadium« verstanden hatte. In die Stille hinein sagte ich: »Danke, Karl«. Und an die Gemeinde gerichtet: »Mein Sabbatical habe ich mir anders vorgestellt, den Flug nach Tel Aviv habe ich bereits storniert. Medizinisch bin ich in sehr guten Händen. Aber natürlich habe ich auch viel Angst. Ich danke Ihnen allen für Ihr Anteilnehmen und Ihr Gebet.« Dann spendete ich den Segen. Die Stimme brach dabei nicht ab. Nach der Messe machte ich mich auch nicht aus dem Staub, sondern ging in den Hochchor zurück. Viele Besucher kamen und drückten ihr Mitgefühl und ihre Bestürzung aus. Das tat gut. Und mit dieser Mitteilung war die Katze endlich aus dem Sack.

In den nächsten Wochen erhielt ich sehr viel Post: Genesungswünsche, Zeichen der Betroffenheit und der Anteilnahme, die Versicherung, für mich zu beten, Messen lesen zu lassen, Kerzen anzuzünden. Oft von ganz unerwarteter Seite. Viele Ratschläge zur Behandlung und zur Medikation trafen ein. Hatte ich früher jede Woche selbst für Blumen gesorgt, kamen sie jetzt automatisch, sehr regelmäßig, manchmal konnte ich einen zweiten oder dritten Strauß an die Kommunität abtreten.

Hin und wieder erinnerte ich mich jedoch auch an das Bonmot: Besser als warme Ratschläge sind kalte Umschläge. Wie wahr ist diese Feststellung des Jesuiten und Facharztes für Psychiatrie, Eckhard Frick, der als Psychoanalytiker in eigener Praxis arbeitet und an unserer Hochschule für Philosophie unterrichtet! Sie findet meine volle Zustimmung: »Gleichwohl: Auch Ratschläge sind Schläge! Äußerungen wie ›Das wird schon wieder!‹, ›Du musst jetzt stark sein!‹, ›Wir schaffen das!‹, vor allem aber der Terrorismus des ›positiven Denkens‹ zeugen von der eigenen Hilflosigkeit angesichts des Leidens anderer.«11

Es ist der berühmte, aber eben der entscheidende Unterschied zwischen gut und gut gemeint: Anstatt irgendwas zu sagen oder besonders viel, pausenlos zu reden bzw. auf mich einzureden, hätte ich mir manchmal gewünscht, besonders wenn ich in der Klinik lag, dass Besucher besser nichts sagen und einfach eine Weile still bei mir am Bett sitzen. Eine Kirchenbesucherin kam einmal am Sonntagvormittag und fragte, ob sie mich nachmittags zwischen 15 und 16 Uhr besuchen dürfe. Als ich nachfragte, warum gerade um diese Uhrzeit, meinte sie: »Das ist die Stunde der Barmherzigkeit. Wenn wir da gemeinsam nach der Meinung der Schwester Faustyna den Rosenkranz beten, werden Sie sicher geheilt.« Gemeint war die polnische Ordensfrau Faustyna (Helene) Kowalska (1905–1938), die von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 heiliggesprochen worden ist. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich die Decke hochgegangen. Ich schluckte meine Verwunderung, besser: meine Verärgerung hinunter – und als sie nachmittags (sicher gut gemeint) wieder kam, schlug ich vor, dass wir es bei einem Gesätzchen des Rosenkranzes belassen.

Als die Dame mich einige Wochen später in St. Michael ansprach und fragte, ob ich mit ihr einmal in die Damenstiftkirche (wo sich die Petrusbruderschaft trifft) zur Anbetung ginge, erwiderte ich: »Die gibt es bei uns doch auch.« Und sie: »Aber dort ist die richtige Anbetung.« Da bin ich, bei aller Dankbarkeit für ihr Beten, explodiert: »Glauben Sie wirklich, dass Gott sich an alles hält, was Sie ihm vorschreiben?«

Diese Mentalität sitzt tief im Christentum: Wenn ich bete, wenn ich »fromm« bin, dann tut sich was. Natürlich tut sich was! Aber längst nicht immer so, wie Menschen sich das direkt oder heimlich wünschen. Gott agiert und reagiert nicht nach dem Mechanismus »Do ut des«: Wenn ich bete, eine Kerze anzünde, eine Messe lesen lasse, dann … Schnell gerät man in die Gefahr der Gnaden-Arithmetik: Drei Rosenkränze beten ist besser als einer, zwei Kerzen anzünden wirksamer als eine. Das ist ein sehr mechanistisches, aber offenbar nach wie vor weit verbreitetes Gottesverständnis, das oft zu schweren Enttäuschungen führt. Gott bitten – ja. Mit ihm feilschen – ja (wir sehen es in der Bibel). Aber ihn »zwingen« wollen – nein!

In diesem Zusammenhang dürfte eine gut belegte Episode aus dem Leben Karl Rahners SJ von Interesse sein. Franz Johna, Rahners Lektor im Verlag Herder, hat 2004 diese persönliche Erinnerung festgehalten: Nach einem Vortragsvormittag bot er Pater Rahner an, einen Ausflug ins nahe Elsass zu machen. Der Isenheimer Altar, das Albert-Schweitzer-Haus und weitere Sehenswürdigkeiten standen auf dem Programm. Rahner machte in Colmar einen raschen Rundgang und wartete in einem Seitenschiff von St. Martin auf dem Münsterplatz auf das Ehepaar Johna vor einem Gnadenbild der Gottesmutter. Er warf eine Münze in den Opferstock und zündete eine Kerze an. Als auch Frau Johna Geld einwerfen und eine Kerze anzünden wollte, fasste sie Rahner an der Hand und flüsterte: »Lassen Sie, eine reicht.«12 Johna ist in einem gemeinsam mit Rahners Schwester Elisabeth Cremer (1909–2004) geführten Gespräch erneut auf diese Begebenheit zu sprechen gekommen. Und er hat von Karl Rahners tiefer Frömmigkeit berichtet, seiner Zugänglichkeit für religiöses Brauchtum, aber auch dazu gesetzt: »Umso kritischer stand er gewissen Äußerlichkeiten der Frömmigkeit gegenüber«13. Leo J. O’Donovan SJ aus den USA, ehemals Präsident der renommierten Georgetown University, ist dasselbe bei einem Ausflug mit seinem Doktorvater Karl Rahner in der Pfarrkirche in Schwaz im Tiroler Unterinntal passiert, wo es zwei Kirchenschiffe – eines für den Adel und die Bürger, eines für die Bergleute (in Schwaz wurde Silber abgebaut) – gibt. Rahner zündete ein Opferlicht an, O’Donovan wollte es ihm gleichtun und wurde mit den Worten zurückgehalten: »Nein, ein Licht genügt.«14

Es geht mir nicht darum, mich über »fromme Seelen« lustig zu machen. Aber die damit verbundene, oft angstbesetzte Einstellung, Gott sozusagen mit Opfern gnädig, für mich günstig stimmen zu müssen und – das ist ja die unbewusste Anmaßung – zu können, die gilt es behutsam, aber entschieden-kritisch zu hinterfragen15. Und eben nicht zu fördern, sondern Menschen zu helfen, aus der Dynamik dieses pseudogöttlichen Kuhhandels auszusteigen und sich auf den Weg zu einem »erwachsenen« Glauben aufzumachen. Alles Andere ist ein spirituelles Joint Venture. Gott lässt sich nicht auf »Tauschgeschäfte« ein.

11Eckhard Frick, Sich heilen lassen (Ignatianische Impulse 12). Würzburg 2005, 30. – Dass »positives Denken« nicht nur negativ besetzt ist oder vulgär-psychologisierend gemeint sein muss, zeigt Gustav Schörghofer SJ in seinem Buch »danke tausendmal. Wie positives Denken und Dankbarkeit das Leben verändern« (Wien 2011).

12Zitiert nach: Franz Johna, Eine reicht … Persönliche Erinnerung an Karl Rahner, in: Christ in der Gegenwart 56 (2004), 95.

13Vgl. Nur die kleine Schwester, mit der man nichts Gescheites reden kann? Im Gespräch mit Elisabeth Cremer (†) und Franz Johna, Merzhausen, in: Andreas R. Batlogg Melvin E. Michalski (Hrsg.), Begegnungen mit Karl Rahner. Weggefährten erinnern sich. Freiburg 2006, 221238, 231.

14Leo J. O’Donovan,...