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Mein wunderbares wütendes Kind - Warum starke Gefühle auch gut sind und wie wir Wutanfälle gemeinsam überstehen

Mein wunderbares wütendes Kind - Warum starke Gefühle auch gut sind und wie wir Wutanfälle gemeinsam überstehen

Sara Michalik-Imfeld, Peter Michalik

 

Verlag Humboldt, 2019

ISBN 9783869106564 , 192 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Mein wunderbares wütendes Kind - Warum starke Gefühle auch gut sind und wie wir Wutanfälle gemeinsam überstehen


 

WAS IST WUT UND WIE ENTSTEHT SIE?


Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir sagen: „Ich bin wütend“ oder „Mein Kind hat einen Wutausbruch“? Was kann denn einen Wutausbruch auslösen? Und: Was ist eigentlich Wut? Versuchen wir doch einmal, dieses komplexe Phänomen zu durchblicken.

Wut – ein Gefühl und ein Verhalten


WENN DIE WUT AUSBRICHT

Der fünfjährige Daniel spielt geräuschvoll auf dem Teppich mit seinen Autos. Er hat eine Spielautostraße aufgebaut und ist ganz ins Spiel versunken. Dem älteren Bruder Simon (7) ist langweilig. Simon geht in Daniels Zimmer und tritt auf die sorgfältig angeordneten Autos. Daniel, eben noch zufrieden in seiner Welt versunken, ist sehr enttäuscht, dass seine schöne Straße kaputt gemacht wurde, und fühlt sich von seinem älteren Bruder provoziert. Er schreit auf, packt voller Wut das nächstbeste Spielzeugauto und wirft es mit in Richtung seines Bruders. Aus Versehen trifft er seine jüngere Schwester, die gerade ins Zimmer kommt …

Dieses Beispiel zeigt, dass wir zwischen dem Gefühl Wut und der gezeigten Reaktion bzw. dem sichtbaren Verhalten unterscheiden müssen. Es ist klar: mit Autos herumschmeißen geht nicht. Dennoch ist Daniels Wut nachvollziehbar. Er fühlt sich durch seinen Bruder gestört. In seiner Wahrnehmung hat Simon die Autostraße absichtlich zerstört, und das empfindet er als unfair und gemein.

Wir können entscheiden, was wir tun und was wir lassen. Wir können aber nicht entscheiden, was wir fühlen.

Wut steht oft mit anderen Gefühlen wie Stress, Schmerz, Furcht oder Frustration in Zusammenhang oder wird durch diese ausgelöst. Nach außen gerichtete Gefühle werden in der Fachsprache als Emotionen bezeichnet. Die Emotion Wut entsteht insbesondere dann, wenn man eine Beeinträchtigung erlebt und jemand anderem dafür die Schuld zuweisen kann. Die Bewertung der Situation geschieht rein subjektiv. Daniel bewertet die Störung und die Zerstörung seiner Autostraße durch seinen Bruder als absichtlich. Simon ist also verantwortlich für sein Verhalten. Hätte Simon die Autostraße aus Versehen durcheinandergebracht, wäre Daniel kaum so wütend geworden.

Gefühle sind nie falsch und daher immer erlaubt


Wut ist oft berechtigt, da sie auf einen Missstand, ein unfaires Verhalten, eine Kränkung oder eine Ungerechtigkeit hinweist. Es gibt große individuelle Unterschiede, wie Situationen erklärt und bewertet werden. Sehr oft erlebe ich beispielsweise bei Kindern, die Mühe haben, ihre Wut zu kontrollieren, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wut tritt also bei einigen Menschen viel schneller auf als bei anderen. Wer hinter negativen Ereignissen böse Absichten erwartet, lässt sich viel schneller in Rage bringen als jemand, der eher von unglücklichen Umständen oder einem Versehen ausgeht.

Obwohl Gefühle an sich nie falsch sein können und ihre Daseinsberechtigung haben, ist ein Wutanfall, bei dem andere zu Schaden kommen, natürlich nie gerechtfertigt. Zwischen dem empfundenen Gefühl und dem daraus resultierenden Verhalten muss deutlich unterschieden werden.

Im Beispiel von Daniel hat das Gefühl so stark Besitz von ihm ergriffen, dass er sein Handeln nicht mehr unter Kontrolle hatte. Daniel muss also noch lernen, mit seiner Wut umzugehen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn Wut ist ein intensives, heftiges Gefühl, das nur schwer unter Kontrolle zu halten ist.

Wut ist heftiger und intensiver als Ärger und schwerer zu beherrschen als Zorn. Wer leicht in Wut gerät, ist weniger gut in der Lage, sich selbst zu kontrollieren. Ein Wutanfall wird auch als Überreaktion bezeichnet und gilt deshalb in den meisten Kulturkreisen als charakterliche Schwäche.

Unter einem Wutanfall versteht man einen meist kurzzeitigen Verlust der Kontrolle über das Gefühl der Wut. Ein Wutanfall ist in erster Linie ein emotionaler Ausbruch. Manchmal ist dieser jedoch so heftig, dass eine andere Person zu Schaden kommt.

Richten sich Wutanfälle gegen Personen, Tiere, Sachen oder gegen sich selber, werden sie oft als Aggression wahrgenommen. Wobei man vor allem dann von Aggression spricht, wenn körperliche Verletzungen oder psychische Kränkungen dazukommen.

Wut besser verstehen


Um Wut besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Zusammenhänge bzw. Wechselwirkungen von Denken, Fühlen und dem Verhalten zu erkennen und mögliche Auslöser, Ursachen, den Ablauf, die Steuerbarkeit und die Veränderbarkeit des Ausbruchs zu verstehen.

Denken, fühlen und verhalten


Kognitive Prozesse wie das Denken, die Wahrnehmung oder Problemlösefertigkeiten beeinflussen uns und interagieren mit den Gefühlen und dem Verhalten. Dabei haben unsere Gedanken einen starken Einfluss auf unsere Empfindungen, Körperreaktionen und Gefühle.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden so richtig kräftig in eine Zi -trone beißen. Was passiert jetzt? Möglicherweise zieht sich Ihre Backenmuskulatur zusammen oder Sie verziehen das Gesicht. Schon der Gedanke an etwas löst eine Reaktion des Körpers und damit verbunden ein Gefühl aus. Wir können an besonders schöne Momente denken und uns sehr wohl und entspannt fühlen. Umgekehrt löst der Gedanke an einen schlimmen Moment sofort körperliche Stressreaktionen wie Herzklopfen, Verkrampfung und möglicherweise Angst aus.

Umgekehrt haben Körperreaktionen und Gefühle einen Einfluss auf unsere Gedanken und unsere Fähigkeiten wie die Problemlösefähigkeit, die Konzentration oder unser Gedächtnis. Ist der Körper stark angespannt und gestresst, können wir kaum mehr denken, unsere Gedächtnisleistung ist vermindert und die Konzentration fällt ab.

ENTTÄUSCHUNG LÖST ÄRGER AUS

Max (6) baut mit seiner kleinen Schwester Susi (4) eine Legoland-schaft auf. Plötzlich fällt Susi unglücklicherweise auf das Lego-gebäude, das Max sorgfältig über längere Zeit aufgebaut hat. Max, der von seiner jüngeren Schwester schon öfter erlebt hat, dass sie seine Kunstwerke kaputt macht, ist sicher, dass Susi sein Legohaus absichtlich zerstört hat. Dieser Gedanke verstärkt seine Enttäuschung und entlädt sich in einem heftigen Wutanfall.

Debi (9) hat in der letzten Zeit, obwohl sie viel gelernt hat, häufiger schlechte Noten kassiert. Als sie mit ihrer Mutter an den Hausaufgaben sitzt, fällt es ihr wieder schwer, die Matheaufgabe zu verstehen. Die Mutter bemerkt bei Debi eine gewisse Ungeduld und Enttäuschung und sagt: „Du musst nur richtig hinschauen. Ich denke, du siehst gar nicht richtig hin und gibst zu schnell auf.“ Dies ist zu viel für Debi. Sie hört nur Kritik und denkt: „Alle halten mich für dumm.“ Dieser Gedanke verstärkt ihre Versagensängste. Wütend schreit sie ihre Mutter an: „Sag doch gleich, dass ich doof bin.“

Es ist ganz entscheidend, wie wir Situationen, das Verhalten anderer Menschen und uns selber wahrnehmen und bewerten. Würde Max die Situation als Missgeschick oder Unfall einordnen, könnte er anders reagieren. Und würde Debi wahrnehmen, dass ihre Mutter ihr eigentlich helfen möchte, hätte sie nicht nur anders reagiert, sondern sich bestimmt auch anders gefühlt.

Es gibt also immer eine Wechselwirkung zwischen unseren Gedanken, den Körperreaktionen, den Gefühlen und unserem Verhalten.

In stressigen Situationen reagiert der Körper schneller als unser Denkapparat. Bevor wir eine Situation richtig wahrgenommen und bewertet haben, haben wir bereits reagiert. Die geschieht beispielsweise bei einer möglichen akuten Bedrohung: Ein Knall, wir springen auf die Seite, machen uns klein, und erst kurze Zeit später erkennen wir, dass es nur ein Luftballon war, der geplatzt ist. Diese Fähigkeit, schneller zu reagieren als zu denken, zeigt sich typischerweise in einem Flucht- oder Kampfverhalten und sichert unser Überleben. Manchmal ist aber dieser automatische Schutzmechanismus, der nicht unserer Steuerungsfähigkeit unterliegt, sondern viel schneller abläuft, nicht nur von Vorteil, sondern auch hinderlich oder gar gefährlich. Wenn wir reagieren, ohne nachzudenken, kann es gefährlich werden!

Erinnern Sie sich noch an das Beispiel vom fünfjährigen Daniel, der vor Wut über die Störung durch seinen Bruder eines seiner Spielzeugautos durch das Zimmer schmeißt und dabei seine Schwester trifft? Was geht in diesem Moment in Daniel vor?

„DU STÖRST MICH!“

Daniel ist zunächst ganz mit seinen Gedanken ins Spiel versunken, er nimmt seine Außenwelt kaum wahr. Zufrieden spielt er mit den Autos.

Simons Störung holt ihn sofort aus seinem Spiel heraus. Weil er seinen Bruder kennt und schon öfter erlebt hat, dass dieser ihn gerne absichtlich stört, interpretiert er dessen Verhalten als Provokation, was bei ihm ein heftiges Gefühl – Wut – auslöst. Würde sein Schreien seine Gedanken ausdrücken, dann würden wir wohl hören: „Du störst mich! Du...