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Solange Schnee vom Himmel fällt

Solange Schnee vom Himmel fällt

Nicholle Fischer

 

Verlag Drachenmond Verlag, 2019

ISBN 9783959910545 , 350 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Solange Schnee vom Himmel fällt


 

Kapitel Eins


»Marina Igorewna, schenken Sie mir diesen einen Tanz«, forderte der frisch gebackene Offizier mich zum wiederholten Male auf.

Alexej Maksimowitsch war ein junger Mann von zarten einundzwanzig Jahren und hatte sich in der vergangenen Woche seine ersten Sterne für Tapferkeit verdient. Mir schien es so, als hätte seine Beförderung ihm auch mehr Selbstvertrauen geschenkt, denn hier stand er nun vor mir. Mit hochrotem Kopf, die Augen demütig gen Boden gesenkt, aber seine Stimme ließ sich nicht beirren. Sein schüchternes Grinsen schmeichelte mir und ich kam nicht umhin, zu bemerken, wie attraktiv er war.

»Meine Liebe, du kannst einem Mann nach einer solchen Schlacht doch keinen Tanz abschlagen«, zog Iwan mich auf und gab meine Hand frei. »Geh und amüsiere dich! Deinem alten Mann kannst du auch später noch Gesellschaft leisten«, ermunterte er mich mit einem Lächeln auf den Lippen, sein warnender Blick in Richtung des Offiziers entging mir jedoch nicht.

Ich versuchte den Anflug von Panik, der mich bei Iwans Blick überkam, mit einem koketten Lachen zu überspielen. »Alexej Maksimowitsch, es schickt sich zwar nicht, eine verheiratete Dame so zu drängen, aber ich gebe meinem Mann recht. An diesem Abend kann ich Ihnen Ihren Wunsch wohl kaum abschlagen.« Bei diesen Worten erstrahlte das Gesicht des jungen Mannes. Er sah aus, als würde er vor Freude einen Luftsprung machen wollen. Iwan quittierte den Übermut des Soldaten lediglich mit einem kurzen Kopfschütteln, doch aus seiner Haltung sprach Verärgerung.

Das Orchester setzte gerade zu einem Foxtrott an, als ich die behandschuhte Hand des Offiziers ergriff. Der Schein der Kerzen erhellte die wirbelnden Paare auf dem Parkett und ließ ihre Schatten an den Wänden tanzen. Ein schwacher Duft nach blumigem Damenparfum, Whisky und Zuckerwasser umwehte die ausgelassene Gesellschaft. Ich sah zu, wie meine Freundin Constanze in den Armen eines jungen Kapitänleutnants mit blonden Locken umherwirbelte und verkniff mir ein Lächeln. »Kommen Sie, kommen Sie! Sonst verpassen wir noch den ganzen Spaß«, drängte ich.

Der junge Mann führte mich mit enthusiastischen Schritten auf die Tanzfläche und dirigierte mich etwas ungeschickt in die Reihen der Tanzenden. Die Musik ergriff mich und ließ die Bewegungen durch meinen Körper fließen. Eine Welle der Sorglosigkeit breitete sich in mir aus und ließ mich über die gelegentlichen Fehltritte meines Tanzpartners kichern.

»Marina Igorewna, Sie sind wunderschön, wenn Sie lachen«, platzte es aus dem Offizier heraus. »Oh, natürlich sind Sie immer wunderschön, aber dann besonders … Oje, ich hoffe, ich habe Sie nicht gekränkt.«

Bei seinem verdutzten Gesicht entfuhr mir ein Lachen. Eine trügerische Röte breitete sich von seinen Ohren bis zu den Wangen aus und ließ ihn leuchten wie die untergehende Sonne. Seine Augen funkelten mich liebenswürdig und unschuldig an, während er mich gemäß der Tanzfolge im Kreis wirbelte und anschließend wieder fest an seine Brust zog. Ich lachte wieder, versuchte mir aber gleichzeitig nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich all das hier in Wahrheit langweilte. Dieselben Tänze tagein, tagaus und über all die Menschen wachten, wie treue Soldaten, die weißen Kerzen mit ihren Flammen.  Zwar bildete der Tanz mit diesem Herrn eine willkommene Abwechslung zu den sonst gleichen Gesichtern solcher Gesellschaften, aber auch dieser Spaß konnte mich nicht lange über meine Melancholie hinwegtrösten.

»Alexej Maksimowitsch, passen Sie auf, was Sie sagen, der Herr Konteradmiral hat Sie fest in seinem Adlerblick«, flüsterte ein bereits ergrauender Herr von links.

Sein Rücken war anmutig durchgebogen, während er seine Tanzpartnerin in einer innigen Umarmung festhielt. Die dunkelhaarige Schönheit in seinen Armen konnte ihren Blick nicht von den blassblauen Augen ihres Gegenübers abwenden und verlor sich gänzlich in deren Betrachtung.

Alexej verkrampfte sich bei diesen Worten. In dem kläglichen Versuch, über seine Schulter einen unauffälligen Blick auf Iwan zu erhaschen, stolperte der junge Offizier über meine breiten Röcke und fegte einige Kristallgläser von einem der umstehenden Tische. Ein überraschter Laut entrang sich meinen Lippen, als mein Tanzpartner mich inmitten einer Drehung plötzlich losließ, um sein eigenes Gleichgewicht wiederzufinden. Ich schnappte nach Atem und taumelte zurück. Vollkommen aus dem Takt gekommen, strauchelte ich über fremde Füße und wäre sicherlich zu Boden gegangen, wenn sich nicht in diesem Augenblick zwei starke Arme um meine Mitte gelegt hätten.

Ein schwacher Duft von Salzwasser und Zigarrenrauch kitzelte meine Nase und ließ mein Herz höherschlagen.

»Alles in Ordnung?«, fragte eine tiefe, rauchige Männerstimme in meinem Rücken. Der fremde Atem kribbelte in meinem Nacken und ließ mich erschaudern.

Ich spürte, wie sich mein Rücken bei der ungehörigen Nähe dieses Fremden kerzengerade aufrichtete. Meine Schultern spannten sich an. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb mein Körper so intensiv auf diesen Mann reagierte. Um meine unerklärliche Befangenheit zu kaschieren, wirbelte ich in seinen Armen herum, eine bissige Erwiderung auf der Zunge.

Doch beim Anblick meines Retters erstarben mir jegliche Worte auf den Lippen. Es war nicht das funkelnde Braun oder der Kranz aus dunklen Wimpern, die mich so unverhofft aus der Bahn warfen, sondern der Ausdruck in den Augen. Ein Ausdruck, der mir durch Mark und Bein ging. Als blicke er ohne Widerstand hinter meine sorgfältig errichtete Maske. Der winzige Anflug eines wissenden Lächelns verriet mir, dass er mich sah, wie ich wirklich war – einsam, gelangweilt, müde vom Leben und den ständig wechselnden Gesellschaften. Er ließ sich nicht von meinem aufgesetzten Lachen, der falschen Fröhlichkeit täuschen und schien mich stattdessen sofort zu durchschauen. Normalerweise konnte ich meine Gefühle sehr gut verbergen, aber er blickte mich mit einer solch inbrünstigen Intensität an, dass mein verräterisches Herz ertappt schneller schlug. Ich fühlte mich entblößt und gleichzeitig so wohl wie kaum jemals zuvor. Die Zeit um uns herum stand vollkommen still und umhüllte diesen Augenblick wie ein Kokon. Unvergänglich. Für immer.

Von irgendwoher drangen aufgeregte Stimmen zu mir durch, Sekt tröpfelte stetig auf den teuren Teppich und hinterließ eine feuchte Spur bis hin zum Tanzparkett. Die schmalen Lippen im kantigen Gesicht des Mannes deuteten noch immer ein schwaches Lächeln an, doch die kleinen Lachfältchen um seine Augen verrieten, dass er oft und gerne für einen Spaß zu haben war. Etwas in mir regte sich bei dieser Vorstellung und ich spürte eine wehmütige Sehnsucht nach diesem unbekannten Lachen.

Seine aristokratische gerade Nase und die hohen Wangenknochen verliehen ihm den Anschein einer anmutigen Statue. Es war keinesfalls so, als hätte ich in meinem Leben noch keinen attraktiveren Mann gesehen, aber etwas an ihm berührte eine Saite meines Herzens und ließ diese in einer fremden, aufregenden Melodie erklingen.

»Marina! Geht es dir gut?« Die Stimme von Constanze drängte sich durch den Nebel in meinem Kopf. Ihr affektierter französischer Akzent holte mich in die Realität zurück.

Ich riss mich vom Anblick des Fremden los und plötzlich prasselten tausend Eindrücke wie kühler Novemberregen auf mich ein. Alexej blinzelte mich aus weit aufgerissenen Augen voller Entsetzen und Bedauern an. Einem Schleier gleich hatte sich eine der Tischdecken um seinen Kopf gelegt und wäre die ganze Situation nicht so schrecklich, wäre ich bei diesem albernen Anblick wohl in Gelächter ausgebrochen. Augenscheinlich hatte er nicht das Glück gehabt, von einem attraktiven Fremden gerettet zu werden.

Das Orchester hatte aufgehört zu spielen. Sämtliche Gespräche waren verstummt und die Blicke auf uns gerichtet. Iwan hatte sich wohl einen Weg durch die umstehenden Menschen gebahnt und stand nun neben Constanze, die mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Belustigung in den Augen anblinzelte.

»Ja. Ja, es geht mir gut. Es ist nichts passiert.«

Peinlich berührt von der Situation und entschlossen, den Vorfall so schnell wie möglich aus dem Gedächtnis aller Beteiligten zu tilgen, strich ich mein Kleid glatt und befreite mich aus dem Griff des Fremden. Mit einem belustigten Husten ließ er seine Arme sinken und wandte den Blick ab, zweifellos um seine unpassende Erheiterung zu kaschieren. So würdevoll wie nur möglich und die kläglichen Reste meines verbliebenen Stolzes aufsammelnd, überquerte ich die kurze Distanz zu den Esstischen, die in dekorativ angerichteten runden Tafeln um die Tanzfläche herumstanden. Alexej lag mir im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen und klappte wie ein Fisch an Land den Mund stumm auf und zu.

»Nun kommen Sie, stehen Sie schon auf und lassen Sie uns den Tanz beenden. Sie haben nicht tapfer einen Minenleger bestiegen, nur um jetzt von diesen hohlköpfigen Taugenichtsen ausgelacht zu werden«, flüsterte ich an sein Ohr und half ihm auf die Beine.

Aufgeregte Stimmen wurden laut und umspülten uns wie kaltes Bachwasser. Ich ließ mich...