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Die Opferrolle - Der Islam, seine Selbstinszenierung und die Werte der Aufklärung

Die Opferrolle - Der Islam, seine Selbstinszenierung und die Werte der Aufklärung

Klemens Ludwig

 

Verlag LangenMüller, 2019

ISBN 9783784483429 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

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Die Opferrolle - Der Islam, seine Selbstinszenierung und die Werte der Aufklärung


 

Vorwort

Die Geschichte von Abraham, der bereit ist, auf Gottes Geheiß seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, ist für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam von großer Bedeutung. Ihre Darstellung jedoch ist sehr unterschiedlich.

Gott verlangt im Ersten Buch Mose von Abraham, seinen Sohn zu opfern: »Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.« (1. Mose 22,2) Abraham und sein aus der Ehe mit Sara hervorgegangener Sohn Isaak machen sich auf, Gott ein Opfer darzubringen. Isaak weiß nicht, dass er es ist, der geopfert werden soll, und fragt den Vater in aller Unschuld: »Mein Vater! […] Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. […] Und als sie an die Stelle kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.«

Die Muslime sehen in dem Sohn, der im Koran, anders als in der Bibel, nicht namentlich genannt wird, Abrahams erstgeborenen Sohn Ismael. Denn Abraham hatte zwei Söhne, Isaak und Ismael, das Kind seiner Konkubine Hagar, die von ihm, zusammen mit ihrem Sohn, verstoßen worden war; »aber Gott«, schreibt die britische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong in ihrem Buch Kleine Geschichte des Islam, »rettete sie und versprach, dass auch Ismael der Stammhalter einer großen Nation, der Araber, werden würde«.

Und so erzählt der Koran die Geschichte des Opfers auch anders (Sure 37, Vers 100–107) und räumt dem Sohn die entscheidende Rolle ein: »Herr! Schenk mir einen von den Rechtschaffenen als Leibeserben. Und wir verkündeten ihm einen braven Jungen. Als er nun soweit herangewachsen war, dass er mit ihm [Anm.: seinem Vater Abraham] den Lauf machen konnte, sagte Abraham: Mein Sohn! Ich sah im Traum, dass ich dich schlachten werde. Überleg jetzt und sag, was du meinst! Er sagte: Vater! Tu, was dir befohlen wird! Du wirst, so Gott will, finden, dass ich einer von denen bin, die viel aushalten können. Als nun die beiden sich in Gottes Willen ergeben hatten und Abraham seinen Sohn auf die Stirn niedergeworfen hatte, riefen wir ihn an: Abraham! Du hast durch die Bereitschaft zur Schlachtung deines Sohnes den Traum wahr gemacht. Damit soll es sein Bewenden haben. So vergelten wir denen, die fromm sind. Das ist die offensichtliche Prüfung, die wir Abraham auferlegt haben. Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus.«

Während Isaak in der Bibel seine Rolle als Opfer unwissend annimmt, dem Vater vertraut, sich klaglos auf den Altar legt und Abraham damit die Last der Entscheidung zufällt, ist Ismael noch vor seinem Vater bereit, sich dem Tod hinzugeben: »Vater! Tu, was dir befohlen wird.« Während Abraham zweifelt, ob er seinem Traum (!) folgen soll, ist der Sohn (anscheinend) bereit, Gewalt durch den Vater als Gottesvertreter hinzunehmen: »Du wirst, so Gott will, finden, dass ich einer von denen bin, die viel aushalten können.« Er kennt Gottes Wort und besteht – auch um den Preis des eigenen Lebens – darauf, Gott zu gehorchen. Die Frage »Warum?« scheint ihm nicht einmal im Angesicht des Todes denkbar. Seine bedingungslose Bereitschaft zur Unterwerfung nimmt dem anfänglich zögernden Vater die Entscheidung aus der Hand. Der Sohn restituiert das Gesetz, das durch die Zweifel des Vaters – wenn auch nur für einen Moment – infrage gestellt zu werden drohte. Was bis heute Gewalt durch Ältere, besonders durch den Vater an Kindern, legitimiert.

Es ist eine vielschichtige Botschaft, was hier an die Muslime, an die Männer, vermittelt wird. Erstens: Beide, Vater und Sohn, kennen Gottes Wille, denn Gottes Wort ist allgegenwärtig, und Gottes Wort ist Gesetz. Zweitens: Von beiden, vom Vater wie vom Sohn, wird rückhaltlose Unterwerfung erwartet. Zögert der eine, tritt der andere hinzu, um Gottes Willen zu vollstrecken, denn es ist niemandes individuelle Entscheidung, sich Gottes Wort zu fügen oder zu widersetzen. Drittens: Allah befreit nur den Vater, den Älteren, von seiner Pflicht, fordert die Hingabe des Sohnes und setzt sie als selbstverständlich voraus. Die Unterwerfung unter das Gesetz wird von den Muslimen mit dem alljährlichen Opferfest immer wieder aufs Neue bestätigt.

Im Christentum hat Jesus, »Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt« (Johannes 1,29), unser aller Sünden auf sich genommen; Gott hat seinen einzigen Sohn geopfert, auch ein Tieropfer war fortan nicht mehr nötig. Der Koran hingegen stellt Jesu Kreuzigung infrage und bleibt der archaischen Tradition des Opfers verhaftet: »Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus«, so endet die Geschichte von Abrahams Versuchung im Koran.

Für den Islam ist das Blutopfer notwendig geblieben, das immer, so der französische Religionsphilosoph René Girard, »auf Gewalt und gewalttätigem Handeln« beruhe. »Der entscheidende Unterschied ist, dass der biblische Text die Unschuld des Opfers erkennt. In den archaischen Religionen ist das Opfer immer schuldig. Nach Christus können die Menschen unschuldige Opfer nicht mehr töten wie zu Zeiten der archaischen Religion […] Ich würde sogar sagen: Der gesamte Geist unserer religiösen (christlichen) Kultur opponiert gegen das gewaltsame Opfer und eine vermeintlich heilige Gewalt. Wir suchen uns zwar immer noch Sündenböcke, aber wir missbilligen die Praxis zutiefst. Dagegen beruhen archaische Religionen fundamental auf dem System des Sündenbocks – der Opferung Unschuldiger.«[1]

Das Judentum, das Christentum und der Islam berufen sich auf Abraham als den »Vater vieler Völker«. Die hebräische Bibel sieht ihn als Urvater des Volkes Israel, im Neuen Testament ist er der geistige Stammvater der Christen, im Koran der leibliche Stammvater und der exemplarische und erste Muslim schlechthin. Und auch wenn sich die großen Buchreligionen auf ihn berufen, reden Juden, Christen und Muslime, wenn sie von Gott oder der Welt sprechen, von unterschiedlichen Dingen. Jede Religion schafft sich durch ihre Erzählung ein eigenes »Symbolsystem, das darauf zielt, starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, in dem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen«.[2] So der Anthropologe Clifford Geertz.

Diese Differenzen müssen benannt werden, wenn Verständigung möglich sein soll, wenn man verstehen will, was den Anderen motiviert und seine Identität ausmacht. Jede wissenschaftliche Hausarbeit beginnt damit, dass die zur Beschreibung verwendeten Begriffe in ihrer Bedeutung definiert werden. In jeder Gesellschaft gibt es ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, eine Sprache, mit deren Hilfe sich die Menschen orientieren. Die Kultur der Gesellschaft ist ein Orientierungssystem. Und dieses Orientierungssystem wird in der deutschen Gesellschaft zunehmend von allen Seiten infrage gestellt oder geleugnet.

Die islamische Umma hat kein Problem mit ihrer Leitkultur, ihrem Welt- und Menschenbild. Es orientiert sich immer noch, mit Ausnahme der Türkei als Republik und säkularer Staat und teilweise auch Tunesien, an den archaischen Überlieferungen der arabischen Halbinsel und passt sich nötigenfalls an. Die globale Umma hat sich zwar im Laufe der Geschichte in eine Vielzahl von Rechtsschulen und Sekten gespalten, das Bild vom Koran und dem Propheten jedoch jeder Reformation, jeder Aufklärung oder Modernisierung entzogen. Wer dies versucht, wird zum Dissidenten.

Ein Leugnen, Verdrängen oder Diffamieren der Auseinandersetzung um kulturelle Differenzen und Defizite führt in eine Sackgasse. Und zwar auch deshalb, weil die verantwortliche Politik und Wissenschaft sich weigern, Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen. Vom Bundespräsidenten bis zu den Grünen, von Migrationsforschern bis zur Integrationsbeauftragten spricht man von der »Vielfalt« der religiösen und ethnischen Besonderheiten, die unser Land bereichert. Diese Vielfalt ist aber nicht die von Menschen, sondern zunehmend von Gruppen – und diese werden unter Opferschutz gestellt. Es ist ein Paradox: Einerseits gelten diese Gruppen als Minderheiten, die vor Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft geschützt sind, andererseits aber werden sie nicht in die Verantwortung genommen. Selbst Nachfragen stehen unter Verdacht; und das ist auch eine Form von Diskriminierung. Wer sein Gegenüber als bedauernswertes Opfer betrachtet, macht es auch zum Mündel, stellt es unter Vormundschaft, die erklärt, was richtig für sie oder ihn ist. Richtig wäre es jedoch, von jeder oder jedem Einzelnen – welcher Hautfarbe, Religion oder Gesinnung auch immer – Verantwortung für sich und die Gesellschaft einzufordern. Denn wer sich selbst nicht traut, kann nicht verlangen, dass andere ihm vertrauen. »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines...