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BLUE STEEL - Der Roman zum Film von Kathryn Bigelow

BLUE STEEL - Der Roman zum Film von Kathryn Bigelow

Peter Mennigen

 

Verlag BookRix, 2019

ISBN 9783743895690 , 135 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR

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BLUE STEEL - Der Roman zum Film von Kathryn Bigelow


 

  1.


 

 

Megan Turners Hand krampfte sich fester um den Griff der 38er. Die drückende Stille und Leere um sie herum machten sie nervös.

Von dieser Art Absteige gab es Dutzende an der Lower East Side New Yorks. Hinter abgeblätterten Türen verbarg sich tagsüber das lichtscheue Gesindel, der Abschaum der Stadt.

Es war einer dieser magischen Orte, an denen man so gut wie alles kriegen konnte, was das Herz begehrte - illegale Waffen, Crack, Sex -, vorausgesetzt, man besaß das nötige Kleingeld.

Nur mit Mühe gelang es der angehenden Polizistin, den Übelkeit erregenden Gestank nach ranzigem Bohnerwachs und Moder zu ignorieren. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich schwammig an. Vom Ende des langen Korridors drangen undeutlich Stimmen an ihr Ohr.

»Nein, lass mich in Ruhe«, kreischte eine Frauenstimme.

»Halts Maul, Schlampe!«, brüllte ein Mann. »Ich werde dich umbringen. Halts Maul, hab' ich gesagt!«

Mit jedem Schritt wurden die Stimmen lauter..., deutlicher. Ein Baby schrie. Irgendetwas wurde an die Wand geworfen. Möbel gingen zu Bruch. Danach war außer dem klatschenden Geräusch von Schlägen und dem leisen Wimmern einer Frau sekundenlang nichts zu hören.

Dann wieder: »Du mieses Luder. Ich werde dir in deinen beschissenen Kopf schießen.«

»Tu mir nicht weh«, flehte sie.

Die Stammgäste dieser Etablissements gehörten zu den Gestrandeten des Big Apple. Der tägliche Kampf ums nackte Überleben hatte sie hart gemacht. Beim geringsten Anlass blitzten Messer oder flogen Fäuste.

Erneut erklang das Geräusch von Schlägen, begleitet von einem bitteren, brutalen Lachen.

Der Flur kam Megan so endlos vor wie ein langer Güterzug. Einige der schmuddeligen Deckenlampen funktionierten noch. Ihr gelblicher Schein warf formlose Schatten auf die verschimmelte Tapete.

»Du sollst dein Maul halten, du Miststück«, hallte es von neuem durch den Gang. 

»Hilfe! Hört mich denn keiner?«, stöhnte die Frau in dem letzten Zimmer.

Meter für Meter näherte sich Megan dem Eingang. Ihr Atem ging schnell und flach. Das rissige Linoleum knarrte.

Vor der Tür verharrte sie einen Augenblick. Die Waffe hielt sie schussbereit mit beiden Händen umschlungen.

»Verdammt, halt endlich dein Maul!«, dröhnte es aus dem Zimmer. »Zur Hölle mit dir! Hör mir gefälligst zu! Ich werde dich umbringen!«

Megan versetzte der Tür mit aller Kraft einen Tritt. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer oder was sie dahinter erwartete, rammte sie den Zugang auf. Um solche Kleinigkeiten konnte sie sich immer noch kümmern, wenn sie drinnen war.

»Polizei! Lassen Sie die Waffe fallen!«, rief sie mit fester Stimme.

Eigentlich war Megan Turner nicht die Frau, der man auf den ersten Blick zutraute, für den robusten Job eines New-York-City-Polizisten geschaffen zu sein.

Sie war Anfang Zwanzig, mittelgroß, schlank, eine gutaussehende Frau, nach der man sich auf der Straße zweimal umsah. Ihr brünettes Haar war kurz frisiert, nach praktischen Gesichtspunkten gestylt, nicht nach dem Diktat der Mode. Früher hatte sie mal lange Haare gehabt, aber die verfilzten unter der Schirmmütze. Das Auskämmen nach Feierabend war jedes Mal eine einzige Tortur gewesen. Megan brachte es sogar fertig, ungeschminkt und in der tristen Polizeiuniform attraktiv auszusehen.

»Bleib, wo du bist, Bulle, oder ich puste der Schlampe das Gehirn aus dem Schädel.« Der Kerl in dem Zimmer war höchstens Ende Dreißig, hatte blondes, dichtes Haar und ungepflegte Bartstoppeln.

Zudem war er fast einsneunzig groß und kräftig, sehr kräftig. Die Muskelberge, die sein ärmelloses Shirt offenbarte, hätten sogar jemanden vom Kaliber eines Arnold Schwarzeneggers ins Grübeln gebracht.

Offensichtlich war er der Zuhälter der Blondine, die sich in seinem Würgegriff krümmte. Das zerrissene Kleid schlotterte lose an ihrem schlanken Körper, die langen Strähnen klebten an ihrem verschwitzten Gesicht.

Der Kraftprotz schien nicht sonderlich beeindruckt von der Waffe zu sein, die Megan auf ihn gerichtet hielt.

»Helfen Sie mir, Officer!«, flehte die junge Frau, die er wie einen Schild vor sich gepresst hielt, mit tränenerstickter Stimme.

Mit der anderen Hand presste der Mann den Lauf einer schweren Automatic gegen ihre rechte Wange.

»Sofort loslassen... lassen Sie die Frau los.« Megan wunderte sich über den ruhigen Klang ihrer Stimme. Innerlich war sie aufgewühlt.

Der Geruch von Desinfektionsmittel und Schweiß lag in der Luft. Das kleine Kabuff war vollgepfropft mit schäbigen Möbeln und Ramsch aus Billigläden.

»Ich möchte nicht, dass jemand verletzt wird. Ich werde nicht schießen«, versuchte Megan den Zuhälter zu beruhigen.

Ihr blieb auch keine andere Wahl. Laut Dienstvorschriften war der Geiselnehmer in so einem Fall durch einen gezielten Schuss außer Gefecht zu setzen. Das war leichter gesagt als getan. Die schöne Blondine zappelte wie verrückt in seinem Arm. Die Wahrscheinlichkeit, sie statt des Typen zu treffen, war viel zu groß.

»Bleib, wo du bist, du Scheißbulle«, knurrte er drohend. »Komm bloß keinen Schritt näher, sonst ist sie tot«,

Seine glühenden Augen verrieten der Polizistin, dass er es hundertprozentig ernst meinte.

»Ganz ruhig.« Megan flüsterte fast. »Lassen Sie sie los.«

»Dich leg ich um«, kreischte der Hüne mit überschnappender Stimme. Anscheinend gingen ihm die Nerven vollends durch.

Er schleuderte die Blondine beiseite. Sie behinderte ihn jetzt nur. Blitzschnell riss er die Automatic herum und zielte auf Megan.

Die war einen Augenblick lang wie betäubt, dann drückte sie ab. Ihre 38er machte in dem kleinen Raum einen ohrenbetäubenden Lärm. Scharfer, beißender Rauch nach versenktem Pulver stieg ihr in die Nase.

Ein zweites Mal erfüllte das Brüllen der Polizeipistole den winzigen Raum.

Beide Kugeln schleuderten den Mann mit Wucht nach hinten. Ein Tisch mit schmutzigen Gläsern fiel um, scheppernd rollten leere Bierdosen über die Holzdielen. Der Zuhälter landete hart auf dem Bett und rührte sich nicht mehr.

Die plötzlich eingetretene Stille war bedrückend. Misstrauisch näherte sich Megan dem Bett. Es sah nicht so aus, als würde der Typ noch zu einem Problem, aber sie musste höllisch aufpassen. Man konnte nie vorsichtig genug sein.

Sie ging um das Bett herum - jederzeit bereit, auch die restlichen Patronen ihres Revolvers in den Körper des Ganoven zu versenken, falls der sich nur verstellte.

Als Megan die Bewegung wahrnahm, war es bereits zu spät zum Reagieren. Die Blondine schnellte auf der anderen Bettseite hoch.

Während sich Megans ganze Aufmerksamkeit auf den Kerl richtete, zog die Unbekannte heimlich eine leichte Automatic hervor. Sie riss die verchromte Waffe hoch, so dass sie kurz in dem Licht der verdreckten Deckenfunzel aufblitzte. In aller Ruhe drückte sie ab.

PÄNG -

»Scheißdreck!«, fluchte Megan. Sie war tot.

 

Es war, als habe der Regisseur beim Film Cut! gerufen. Lichter flammten auf. Eine Seitentür wurde aufgerissen, und vier junge Männer kamen herein. Sie machten sich daran, das Zimmer wieder herzurichten.

»In Ordnung, der nächste bitte«, knurrte Hank Logan missmutig mit säuerlicher Stimme.

Der erschossene Zuhälter hüpfte putzmunter vom Bett und gab der Blondine einen Kuss.

Arm in Arm schlenderten sie an Megan vorbei. Sie verließen das Zimmer, um sich auf ihren nächsten Auftritt vorzubereiten. Im Vorbeigehen warf der Mann der Polizeianwärterin einen amüsierten Blick zu.

Megan haderte immer noch mit ihrer Unvorsichtigkeit.

»Sie haben den Geiselnehmer umgebracht, aber Sie sind auch tot«, mit bitterem Lächeln kommentierte Logan ihre verkorkste Befreiungsaktion.

Er nahm einen Schreibblock, kritzelte eine Notiz hinter Megans Namen und nuschelte: »Da draußen brauchen Sie Augen im Hinterkopf!«

Seit 43 Jahren bildete Logan die Kadetten der Polizeiakademie des Staates New York aus. Er tüftelte diese praxisbezogenen Tests aus. Es machte ihm Spaß, wenn die Grünschnäbel auf seine kleinen Tricks und Fallen prompt hereinfielen.

 

*

 

Es ist kein Traum, es ist Wirklichkeit, sagte sich Megan immer wieder. Trotzdem, sie konnte einfach nicht glauben, dass sie es heute wirklich geschafft hatte.

Sie war eine der letzten im Umkleideraum der Kadettenschule. Im Flur hörte man rasche Schritte, die sich entfernten. Einige Nachzügler beeilten sich, in den Hof zu kommen, wo heute ihre Vereidigung stattfand.

Langsam und sehr bedächtig knöpfte Megan die Uniformbluse zu. Mit jedem Knopf verschwand ihr weißer Baumwoll-BH etwas mehr. Feierlich setzte sie die Schirmmütze auf und betrachtete ihr Konterfei im großen Wandspiegel.

Es gab nur wenige Dinge in der Welt, von denen sie wirklich überzeugt war. Eines davon war die Gerechtigkeit, die ein Polizist verkörperte. Das mochte zwar altmodisch klingen, aber es war ihre ehrliche Meinung.

Darum hatte sie auch schon immer Polizistin werden wollen. Sie hatte weder Mühen noch Strapazen gescheut, um dieses Ziel zu erreichen.

Sie besaß ein großes Maß an Risikobereitschaft, Autorität und Verantwortungsbewusstsein. Dank dieser Tugenden erwarb sie sich schnell den Respekt ihrer anfänglich spottenden männlichen Kollegen.

Ein Lächeln huschte über Megans Gesicht. Heute hatte sie es geschafft.

 

Dutzende von Kadetten traten zur Vereidigung an. Sie standen in Reih und Glied auf dem Ausbildungshof. Eine nervöse Stille entstand, als...