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Die Frage der Laienanalyse - Unterredungen mit einem Unparteiischen [Reclams Universal-Bibliothek]

Die Frage der Laienanalyse - Unterredungen mit einem Unparteiischen [Reclams Universal-Bibliothek]

Sigmund Freud, Lothar Bayer

 

Verlag Reclam Verlag, 2019

ISBN 9783159614397 , 156 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,49 EUR

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Die Frage der Laienanalyse - Unterredungen mit einem Unparteiischen [Reclams Universal-Bibliothek]


 

[9]I


Ob dies geschehen wird, wird von Personen abhängen, die nicht dazu verpflichtet sind, die Besonderheiten einer analytischen Behandlung zu kennen. Es ist unsere Aufgabe, diese Unparteiischen, die wir als derzeit noch unwissend annehmen wollen, darüber zu unterrichten. Wir bedauern, daß wir sie nicht zu Zuhörern einer solchen Behandlung machen können. Die »analytische Situation« verträgt keinen Dritten. Auch sind die einzelnen Behandlungsstunden sehr ungleichwertig, ein solch – unbefugter – Zuhörer, der in eine beliebige Sitzung geriete, würde zumeist keinen verwertbaren Eindruck gewinnen, er käme in Gefahr, nicht zu verstehen, was zwischen dem Analytiker und dem Patienten verhandelt wird, oder er würde sich langweilen. Er muß sich also wohl oder übel mit unserer Information begnügen, die wir möglichst vertrauenswürdig abfassen wollen.

Der Kranke möge also an Stimmungsschwankungen leiden, die er nicht beherrscht, oder an kleinmütiger Verzagtheit, durch die er seine Energie gelähmt fühlt, da er sich nichts Rechtes zutraut, oder an ängstlicher Befangenheit unter Fremden. Er mag ohne Verständnis wahrnehmen, daß ihm die Erledigung seiner Berufsarbeit Schwierigkeiten macht, aber auch jeder ernstere Entschluß und jede Unternehmung. Er hat eines Tages – unbekannt, woher – einen peinlichen Anfall von Angstgefühlen erlitten und kann seither nicht ohne Überwindung allein über die Straße gehen oder Eisenbahn fahren, hat beides vielleicht überhaupt aufgeben müssen. Oder, was sehr merkwürdig ist, seine Gedanken gehen ihre eigenen Wege und lassen sich [10]nicht von seinem Willen lenken. Sie verfolgen Probleme, die ihm sehr gleichgiltig sind, von denen er sich aber nicht losreißen kann. Es sind ihm auch höchst lächerliche Aufgaben auferlegt, wie die Anzahl der Fenster an den Häuserfronten zusammenzuzählen, und bei einfachen Verrichtungen, wie Briefe in ein Postfach werfen, oder eine Gasflamme abdrehen, gerät er einen Moment später in Zweifel, ob er es auch wirklich getan hat. Das ist vielleicht nur ärgerlich und lästig, aber der Zustand wird unerträglich, wenn er sich plötzlich der Idee nicht erwehren kann, daß er ein Kind unter die Räder eines Wagens gestoßen, einen Unbekannten von der Brücke ins Wasser geworfen hat, oder wenn er sich fragen muß, ob er nicht der Mörder ist, den die Polizei als den Urheber eines heute entdeckten Verbrechens sucht. Es ist ja offenbarer Unsinn, er weiß es selbst, er hat nie einem Menschen etwas Böses getan, aber wenn er wirklich der gesuchte Mörder wäre, könnte die Empfindung – das Schuldgefühl – nicht stärker sein.

Oder aber, unser Patient – sei es diesmal eine Patientin – leidet in anderer Weise und auf anderem Gebiet. Sie ist Klavierspielerin, aber ihre Finger verkrampfen sich und versagen den Dienst. Wenn sie daran denkt, in eine Gesellschaft zu gehen, stellt sich sofort ein natürliches Bedürfnis bei ihr ein, dessen Befriedigung mit der Geselligkeit unverträglich wäre. Sie hat also darauf verzichtet, Gesellschaften, Bälle, Theater, Konzerte zu besuchen. Wenn sie es am wenigsten brauchen kann, wird sie von heftigen Kopfschmerzen oder anderen Schmerzsensationen befallen. Eventuell muß sie jede Mahlzeit durch Erbrechen von sich geben, was auf die Dauer bedrohlich werden kann. Endlich ist es beklagenswert, daß sie keine Aufregungen verträgt, die sich im [11]Leben doch nicht vermeiden lassen. Sie verfällt bei solchen Anlässen in Ohnmachten, oft mit Muskelkrämpfen, die an unheimliche Krankheitszustände erinnern.

Noch andere Kranke fühlen sich gestört in einem besonderen Gebiet, auf dem das Gefühlsleben mit Ansprüchen an den Körper zusammentrifft. Als Männer finden sie sich unfähig, den zärtlichsten Regungen gegen das andere Geschlecht körperlichen Ausdruck zu geben, während ihnen vielleicht gegen wenig geliebte Objekte alle Reaktionen zu Gebote stehen. Oder ihre Sinnlichkeit bindet sie an Personen, die sie verachten, von denen sie frei werden möchten. Oder sie stellt ihnen Bedingungen, deren Erfüllung ihnen selbst widerlich ist. Als Frauen fühlen sie sich durch Angst und Ekel oder durch unbekannte Hemmnisse verhindert, den Anforderungen des Geschlechtslebens nachzukommen, oder wenn sie der Liebe nachgegeben haben, finden sie sich um den Genuß betrogen, den die Natur als Prämie auf solche Gefügigkeit gesetzt hat.

Alle diese Personen erkennen sich als krank und suchen Ärzte auf, von denen man ja die Beseitigung solcher nervösen Störungen erwartet. Die Ärzte führen auch die Kategorien, unter denen man diese Leiden unterbringt. Sie diagnostizieren sie je nach ihren Standpunkten mit verschiedenen Namen: Neurasthenie, Psychasthenie, Phobien, Zwangsneurose, Hysterie. Sie untersuchen die Organe, welche die Symptome geben: das Herz, den Magen, den Darm, die Genitalien und finden sie gesund. Sie raten zu Unterbrechungen der gewohnten Lebensweise, Erholungen, kräftigenden Prozeduren, tonisierenden Medikamenten, erzielen dadurch vorübergehende Erleichterungen – oder auch nichts. Endlich hören die Kranken, daß es [12]Personen gibt, die sich ganz speziell mit der Behandlung solcher Leiden beschäftigen und treten in die Analyse bei ihnen ein.

Unser Unparteiischer, den ich als gegenwärtig vorstelle, hat während der Auseinandersetzung über die Krankheitserscheinungen der Nervösen Zeichen von Ungeduld von sich gegeben. Nun wird er aufmerksam, gespannt, und äußert sich auch so: »Jetzt werden wir also erfahren, was der Analytiker mit dem Patienten vornimmt, dem der Arzt nicht helfen konnte.«

Es geht nichts anderes zwischen ihnen vor, als daß sie miteinander reden. Der Analytiker verwendet weder Instrumente, nicht einmal zur Untersuchung, noch verschreibt er Medikamente. Wenn es irgend möglich ist, läßt er den Kranken sogar in seiner Umgebung und in seinen Verhältnissen, während er ihn behandelt. Das ist natürlich keine Bedingung, kann auch nicht immer so durchgeführt werden. Der Analytiker bestellt den Patienten zu einer bestimmten Stunde des Tages, läßt ihn reden, hört ihn an, spricht dann zu ihm und läßt ihn zuhören.

Die Miene unseres Unparteiischen zeugt nun von unverkennbarer Erleichterung und Entspannung, verrät aber auch deutlich eine gewisse Geringschätzung. Es ist, als ob er denken würde: Weiter nichts als das? Worte, Worte und wiederum Worte, wie Prinz Hamlet sagt. Es geht ihm gewiß auch die Spottrede Mephistos durch den Sinn, wie bequem sich mit Worten wirtschaften läßt, Verse, die kein Deutscher je vergessen wird.

Er sagt auch: »Das ist also eine Art von Zauberei, Sie reden und blasen so seine Leiden weg.«

Ganz richtig, es wäre Zauberei, wenn es rascher wirken würde. Zum Zauber gehört unbedingt die Schnelligkeit, [13]man möchte sagen: Plötzlichkeit des Erfolges. Aber die analytischen Behandlungen brauchen Monate und selbst Jahre; ein so langsamer Zauber verliert den Charakter des Wunderbaren. Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle kundgeben, der Weg, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Worte können unsagbar wohltun und fürchterliche Verletzungen zufügen. Gewiß, zu allem Anfang war die Tat, das Wort kam später, es war unter manchen Verhältnissen ein kultureller Fortschritt, wenn sich die Tat zum Wort ermäßigte. Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.

Der Unparteiische setzt fort: »Nehmen wir an, daß der Patient nicht besser auf das Verständnis der analytischen Behandlung vorbereitet ist als ich, wie wollen Sie ihn an den Zauber des Wortes oder der Rede glauben machen, der ihn von seinen Leiden befreien soll?«

Man muß ihm natürlich eine Vorbereitung geben, und es findet sich ein einfacher Weg dazu. Man fordert ihn auf, mit seinem Analytiker ganz aufrichtig zu sein, nichts mit Absicht zurückzuhalten, was ihm in den Sinn kommt, in weiterer Folge sich über alle Abhaltungen hinwegzusetzen, die manche Gedanken oder Erinnerungen von der Mitteilung ausschließen möchten. Jeder Mensch weiß, daß es bei ihm solche Dinge gibt, die er anderen nur sehr ungern mitteilen würde, oder deren Mitteilung er überhaupt für ausgeschlossen hält. Es sind seine »Intimitäten«. Er ahnt auch, was einen großen Fortschritt in der psychologischen Selbsterkenntnis bedeutet, daß es andere Dinge gibt, die man sich selbst nicht eingestehen möchte, die man [14]gerne vor sich selbst verbirgt, die man darum kurz abbricht und aus seinem Denken verjagt, wenn sie doch auftauchen. Vielleicht bemerkt er selbst den Ansatz eines sehr merkwürdigen psychologischen Problems in der Situation, daß ein eigener Gedanke vor dem eigenen Selbst geheim gehalten werden soll. Das ist ja, als ob sein Selbst nicht mehr die Einheit wäre, für die er es immer hält, als ob es noch etwas anderes in ihm gäbe, was sich diesem Selbst entgegenstellen kann. Etwas wie ein Gegensatz zwischen dem Selbst und einem Seelenleben im weiteren Sinne mag sich ihm dunkel anzeigen. Wenn er nun die Forderung der Analyse, alles zu sagen, annimmt, wird er leicht der Erwartung zugänglich, daß ein Verkehr und Gedankenaustausch unter so ungewöhnlichen Voraussetzungen auch zu eigenartigen Wirkungen führen könnte.

»Ich verstehe«, sagt unser unparteiischer Zuhörer, »Sie nehmen...