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Die griechische Frühzeit - 2000 bis 500 v. Chr.

Die griechische Frühzeit - 2000 bis 500 v. Chr.

Karl-Wilhelm Welwei

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2019

ISBN 9783406736520 , 130 Seiten

3. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,49 EUR

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Die griechische Frühzeit - 2000 bis 500 v. Chr.


 

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur
der minoisch-mykenischen Zeit


Die Bedeutung der Ausstrahlungskraft der minoischen Kultur für die Entwicklung auf dem griechischen Festland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf Kreta war die erste Hochkultur Europas entstanden, nachdem im späten dritten Jahrtausend auf der Insel sich mehrere Siedlungen zu zentralen Stätten des Handwerks und Handels entwickelt und sich an diesen Orten wirtschaftlich dominierende Oberschichten gebildet hatten. Verschiedene Repräsentanten dieser Gruppen konnten aufgrund ihres ökonomischen Vorrangs und ihres hierdurch mitbedingten hohen sozialen Status mehr oder weniger dauerhaft Leitungsfunktionen ausüben und des Weiteren in diesem Rahmen offenbar durch Kumulierung größerer Ressourcen ihre Rivalen in der Konkurrenz um Einfluss und Macht überflügeln. Vermutlich sind Herrschaftsformen lokaler Eliten durch monarchische Machtstrukturen abgelöst worden, die eine wesentliche Voraussetzung für die Errichtung der sogenannten Älteren Paläste waren. Jedenfalls entstanden in dem insularen Kulturraum Kretas mehrere Zentren, zwischen denen mannigfache wirtschaftliche, gesellschaftliche und «politische» Wechselbeziehungen den Austausch von Gütern, Gedanken und Innovationen beschleunigten. Diese auf regionaler Ebene sich entwickelnden Wechselbeziehungen bewirkten mehr und mehr auch eine Intensivierung der Herrschaft über «Untertanen» mit neuen Möglichkeiten der Kontrolle und Verteilung handwerklicher und agrarischer Güter und Produkte, während auch die Entwicklung der Kunst in diesem Kontext mächtige Impulse erhielt und ein mehr oder weniger kontinuierlicher Informationsfluss aus den Monarchien des Vorderen Orients den Prozess noch verstärkte, indem die minoischen Palastzentren sich an orientalischen Beispielen orientierten.

Die skizzierte Entwicklung wurde durch seismisch bedingte Zerstörungen (Erdbeben und Vulkanausbrüche) im Bereich der Älteren Paläste um 1700 nicht dauerhaft unterbrochen. An den verwüsteten Plätzen wurden neue Residenzen errichtet, die wiederum nach erneuten tektonischen Katastrophen um 1600 noch prachtvoller gestaltet wurden. Die Ausstrahlungskraft der minoischen Palastkultur manifestiert sich im griechischen Mutterland nicht nur in den Funden wertvoller Produkte des minoischen Kunsthandwerks, sondern auch in der Entstehung festländischer Machtzentren. An erster Stelle ist hier der Herrensitz in Mykene zu nennen, nach dem seit der Aufdeckung der berühmten dortigen Schachtgräber konventionell die gesamte helladische Kultur der Späten Bronzezeit benannt wird. Der Aufstieg jener «Schachtgräberdynastie» zeichnete sich aufgrund der Grabfunde in dem sogenannten Gräberrund B außerhalb des Löwentores bereits im späten 17. Jahrhundert ab. Der stupende Reichtum in diesen Gräbern sowie vor allem in den Schachtgräbern des von Heinrich Schliemann aufgedeckten Steinkreises A deutet auf eine Einbindung des Herrschersitzes in das minoische Handelsnetz hin. Zudem lassen Kuppelgräber in Messenien aus der Zeit um und nach 1600 darauf schließen, dass sich dort Herrschaftsformen und Abhängigkeitsverhältnisse ähnlichen Typs wie in Mykene entwickelten, wenn auch die Macht jener messenischen Herren nicht mit dem Potential der mykenischen Schachtgräberdynastie konkurrieren konnte, die in der Folgezeit in der Argolis zur stärksten politischen Kraft wurde. Ob es dieser Dynastie gelang, von ihrer Burg aus die gesamte Argolis wirtschaftlich und politisch zu durchdringen, bleibt indes eine offene Frage. In der späten Bronzezeit entstanden nicht nur in Mykene, sondern auch in Tiryns und Midea (zwischen Mykene und Tiryns) gewaltige Befestigungen, die schwerlich lediglich Zweitresidenzen oder Stützpunkte der damaligen Herren von Mykene waren oder von Dynasten erbaut wurden, die sich in einem strikten Abhängigkeitsverhältnis von Mykene befanden. Tontäfelchen mit Linear-B-Texten und der Fund einer Tonplombe mit Linear-B-Zeichen lassen vermuten, dass «Herren» von Tiryns und Midea trotz ihrer Nähe zu Mykene ein eigenes Kontrollsystem für ihre Ressourcen zu organisieren vermochten. Ein «Großkönigtum» über ganz Griechenland haben die Herren von Mykene auch in der Zeit ihrer stärksten Machtdemonstration durch den Ausbau ihrer Palastburg im späten 13. Jahrhundert wohl nicht errichtet. Hierzu fehlten ihnen offenbar die logistischen Möglichkeiten zur Organisation großflächiger Herrschaft. Die Herrscher des Palastes von Pylos in der westlichen Peloponnes waren nach dem Befund der dortigen Linear-B-Tafeln den Dynasten von Mykene nicht in irgendeiner Form zu Leistungen verpflichtet. In der Blütezeit der mykenischen Palastherrschaften bestand in Griechenland offensichtlich eine Koexistenz einer Reihe von Dynastien, zwischen denen freilich ein labiles Gleichgewicht bestanden haben kann, während innerhalb der mykenischen Kernlandschaften in der Argolis sowie in Messenien, Attika und Boiotien allerdings ein Machtgefälle zwischen großen Residenzen und kleineren «Fürstensitzen» in ihrer näheren und weiteren Umgebung zu vermuten ist. Die Struktur des politischen Kraftfeldes der mykenischen Welt mit mehreren Machtzentren ist wohl primär mit den Entstehungsbedingungen jener Herrschaftssysteme zu erklären. Als etwa nach 1700 durch minoischen Einfluss die materielle Kultur in Griechenland ein höheres Niveau erreichte und Handel und Verkehr sich ausweiteten, boten sich für Personen von höherem gesellschaftlichen Rang in den noch kleinen Gemeinschaften in jenen Landschaftskammern, die zu Kerngebieten der mykenischen Welt werden sollten, neue Möglichkeiten zur Gewinnung von Ressourcen, mit denen sie Einfluss und Macht in ihrem jeweils lokalen Rahmen zu steigern und hierdurch ihre Gefolgschaften zu vermehren vermochten. Auf diese Weise bildeten sich neue Formen personengebundener Herrschaft heraus, aber es entstand auch ähnlich wie im minoischen Kreta ein zunehmender Konkurrenzdruck in der Rivalität mit anderen aufstrebenden Siedlungen und deren dominierenden Häusern. Infolgedessen wurden Prozesse der sozialen Differenzierung und Machtkonzentration zweifellos beschleunigt. Vorreiter dieser Entwicklung waren Gefolgsherren in Messenien und in der Argolis, und zwar vor allem die Repräsentanten der «Schachtgräberdynastie» in Mykene. Relativ rasch entstand aber auch in anderen Regionen eine neue soziale Hierarchie, wie etwa die Entdeckung einer protomykenischen Burg auf dem Kiapha Thiti im oberen Varital in Attika zeigt, die bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts durch einen Erdrutsch zerstört wurde.

Abb. 1: Mykene; Gräberrund (Steinkreis) A innerhalb der Befestigung

Insgesamt gesehen, ist die Entwicklung bis zum frühen 14. Jahrhundert durch die Herausbildung mehrerer Herrschaftszentren von unterschiedlicher Bedeutung gekennzeichnet. Die eigentliche «Palastzeit» beginnt freilich erst nach dem Niedergang der minoischen Systeme auf Kreta. Dort zeichnete sich nach erneuten Naturkatastrophen, die vermutlich ebenfalls durch Erdbeben bedingt waren, um 1450 eine Wende ab. Vielfach wurde als Ursache der Zerstörungen auch ein verheerender Vulkanausbruch auf der Insel Thera (Santorin) angenommen, dessen Datierung und Folgen aber in der neueren Forschung umstritten sind. Die geflutete Caldera des dortigen Vulkans entstand schon in vorminoischer Zeit, während die Fernwirkungen des Ausbruchs in einer frühen Phase der spätminoischen Zeit (um 1640 oder zwischen 1627 und 1600?) schwer zu beurteilen sind, wenn auch ein Siedlungsabbruch in Santorin nicht zu bestreiten ist. Jedenfalls wurden um 1450 auf Kreta mehrere bedeutende Paläste und Orte wie Mallia, Tylissos, Phaistos und Hagia Triada sowie Wohnviertel in Knossos zerstört. Der Palast von Knossos blieb aber offenbar weitgehend unversehrt. Die Folge war eine Hegemonie der dortigen Dynastie über weite Teile Kretas. Um 1375 ging aber die Herrschaft in Knossos allem Anschein nach auf neue Machthaber aus dem mykenischen Griechenland über. Sie führten das dort bestehende Wirtschafts- und Verwaltungssystem weiter, dessen Schrift nach dem Duktus ihrer Zeichen seit A. J. Evans, dem Ausgräber von Knossos, als Linear A bezeichnet wird und die für uns noch nicht verständliche Sprache der Minoer wiedergibt. Aus dieser Schrift, die in Kreta an über 25 Fundorten belegt ist, wurde nach dem Machtwechsel in Knossos für die Bedürfnisse der neuen Herrscher die Linear-B-Schrift entwickelt, die in der Folgezeit auch von Palastverwaltungen auf dem griechischen Festland übernommen wurde.

Zum Verständnis der Bedeutung der mykenischen Zeit als wichtige Vorstufe der Formierung des historischen Griechentums ist es freilich erforderlich, den Blick auszuweiten auf ein mögliches Gesamtbild des Späthelladikums, das keineswegs nur durch Paläste ...