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Das Vermächtnis der Eistatzen, Band 3: Eisrebellen

Das Vermächtnis der Eistatzen, Band 3: Eisrebellen

Kathryn Lasky

 

Verlag Ravensburger Buchverlag, 2020

ISBN 9783473479894 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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12,99 EUR

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Das Vermächtnis der Eistatzen, Band 3: Eisrebellen


 

„Ach, und aufgepasst, ich weiß noch einen Witz für euch! Warum überquert ein Papageitaucher die Eisengen?“, gackerte ein merkwürdiger Vogel von einer hohen Klippe herunter, als die vier Bärenjungen aus den Eisengen herausschwammen. Es war ein ziemlich unförmiger Vogel mit einem klobigen orangen Schnabel. Stellan und seine drei Gefährten schwammen nun schon fast einen ganzen Mond lang gegen die widrigen Winde und Strömungen an. Allen war der Abschied von Svern schwergefallen. Besonders Jytte, die immer tausend Fragen an ihn hatte. Und Svern antwortete ihr geduldig. Er erzählte über sein Leben als Milchjunges; wie er Svenna, die Mama von Jytte und Stellan, kennengelernt hatte; über die Waffen, mit denen sie trainierten. Nur ein Thema war tabu – Sverns Zeit im Schwarzeisbunker, der Folterkammer der Meuchlerbären. Darüber sprach er nie.

Stellan, Jyttes großer Bruder, fragte nicht halb so viel, und manchmal tadelte er Jytte wegen ihrer vielen Fragen. Aber Stellan hatte auch gut reden. Er war ein Rätsler, ein Geistleser. Er musste nicht so viel fragen. Er konnte sehen, was in den Köpfen anderer Geschöpfe vorging, fing ihre Gedanken im Flug auf. Stellan hatte Jytte auch eingeschärft, niemals über den Schwarzeisbunker zu reden.

„Letzter Witz“, rief Stellan dem Papageitaucher zu. „Der muss aber gut sein!“

„Hör bloß auf, Stellan, sonst werden wir die nie los“, knurrte Jytte. Svern hatte sie vor diesen lästigen Vögeln und ihren albernen Witzen gewarnt. Und Witze waren wirklich das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Sie mussten so schnell wie möglich den Schlüssel abliefern, den Stellan in einem Beutel um seinen Hals trug. Es war die einzige Möglichkeit, die Uhr anzuhalten und ihre Mutter zu retten.

Der Kummer überrollte Jytte wie eine Meereswoge, als sie an ihre Mutter dachte. Ob Svenna sie überhaupt wiedererkennen würde? Ein grässlicher Gedanke, von der eigenen Mutter nicht wiedererkannt zu werden! Svenna war in der Eisuhr gefangen, das wussten sie inzwischen. Aber lebte sie noch? Jytte würde nie vergessen, wie sie sich als kleine Milchjunge von ihrer Mutter verabschieden und in Taakas Höhle zurückbleiben mussten. Sie kniff die Augen zu und versuchte, die schrecklichen Bilder abzuschütteln, während die verfluchten Papageitaucher immer weiterkrakeelten.

Der Witzerzähler ließ sich nicht im Mindesten beirren. „Warum überquert ein Papageitaucher die Eisengen? Na, weil … weil … oh, jetzt hab ich die Pointe vergessen.“

„Ich nicht“, krächzte ein zweiter Papageitaucher, der etwas kleiner war. „Da hast du deine Pointe!“ Er rammte den anderen mit seinem dicken Kopf, sodass er durch die Luft wirbelte und in die Rinne stürzte.

Die Bären hörten auf zu schwimmen.

„Großer Ursus, hoffentlich ist er nicht verletzt“, keuchte Stellan.

Die vier Jungen suchten die Wasserfläche ab. Kaum eine Sekunde später schnellte der Papageitaucher wieder hoch. Die Bären blinzelten verblüfft. Im Schnabel des Vogels zappelte ein gutes Dutzend kleiner Fische, schön nebeneinander aufgereiht. Es waren Kapelane oder Lodden, soweit Stellan es beurteilen konnte.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte er den Papageitaucher.

„Also, passma auf …“, fing der Vogel an, aber sobald er den Schnabel öffnete, fielen die Fische natürlich heraus.

„Oh, Stellan, schau nur, was du gemacht hast! Jetzt hat der arme Vogel alle Fische verloren“, rief Froya.

„Ach, keine Angst, Madam.“ Der Vogel tauchte wieder unter und war blitzschnell mit neuen Fischen zurück.

Der zweite Papageitaucher flog jetzt auch herunter. „Dampling, du Dummkopf! Bist du schon wieder drauf reingefallen?“ Er drehte seinen Kopf zu den Bärenjungen, obwohl er gar keinen Hals hatte. „Gut, was?“

„Nicht sprechen!“, warnte Stellan den anderen Papageitaucher, ein Weibchen. „Nicht mit vollem Mund. Sonst verlierst du sie wieder.“

Dampling, so nannte sie sich offenbar, war jedoch damit beschäftigt, die Fische hinunterzuschlingen. Als sie den letzten geschluckt hatte, rülpste sie. „So, das war’s. Der letzte. Nummer vierzig.“

„Vierzig?“, sagte Froya. „Ich habe höchstens zehn in deinem Schnabel gesehen.“

„Vierzig ist ihre Lieblingszahl“, erklärte das Männchen.

„Aber letzte Woche war zweiundzwanzig meine Lieblingszahl. Ich mag Zweien.“

„Jaja, Zweien mögen wir“, quakte das Männchen.

„Oh, Dampster“, kicherte Dampling. „Du bist mir vielleicht einer!“

„Sind das eure Namen?“, fragte Drei. „Dampling und Dampster?“

Der Dampster, bitte“, sagte das Männchen stolz und plusterte sein Brustgefieder auf.

„Er meint, das klingt irgendwie wichtiger“, erklärte Dampling.

„Seid ihr Geschwister?“

„Ja, und wir sind zwei“, sagte Dampster. „Weiter können wir nicht zählen. Was nicht heißt, dass wir keine Zahlen mögen.“ Er hielt einen Augenblick inne. „Ich persönlich habe eine Schwäche für die Acht.“

Jytte schwirrte der Kopf. Nichts wie weg hier! „Kommt schon“, sagte sie zu den drei anderen Bären. „Wir müssen weiter.“

Ihr Ziel war Ga’Hoole, oder vielmehr die Insel Hoole, wo der Große Baum stand. Von diesem gewaltigen Baum stieg jede Nacht eine Abordnung Eulenkrieger auf, um edle Taten zu vollbringen.

Die Bären sagten den Papageitauchern Lebwohl und schwammen weiter. Stellan trug den Robbenlederbeutel mit dem Schlüssel um seinen Hals. Als sie aus den Eisengen ins Hoolemeer hinausglitten, erfasste sie die günstige Strömung, von der Svern gesprochen hatte, und trug sie zur Insel Hoole. Stellan wurde immer aufgeregter, je näher sie der Insel kamen. Würden die Eulen ihnen überhaupt glauben, dass sie den legendären Schlüssel gefunden hatten? Vielleicht konnten sie sich nicht vorstellen, dass vier so junge Bären in den Bau des Immerfrosts eingedrungen waren und die Unbesiegbaren besiegt hatten. Die Untoten.

Seufzend drehte er sich zu Jytte um. „Hör mal, Jytte, ich glaube, von den Hägsdämonen und Drachenwalrössern erzählen wir lieber nichts.“

„Warum nicht, Stellan? Wir haben sie doch besiegt!“

„Na, du weißt schon, die Eulen sind sehr zurückhaltende Geschöpfe. Wenn wir zu viel erzählen, halten sie uns noch für Angeber.“

„Oder Schlimmeres“, stimmte Drei düster zu.

„Schlimmeres?“ Jytte drehte sich zu Drei um. Er war der Kleinste von ihnen und konnte beim Schwimmen kaum den Kopf über die Wellenkämme halten.

„Ja, vielleicht denken sie, dass wir … also … dass wir alles nur erfunden haben.“

„Dass wir lügen?“ Froya sah ihn entsetzt an. „Ist das dein Ernst?“

„Ja, schon“, gab Drei zu. „Erwachsene glauben doch oft nicht, was die Jungen sagen.“

Jytte war den Tränen nahe, als sie das hörte. Das konnte doch nicht sein! Nach allem, was sie durchgemacht hatten, würde man ihnen nicht glauben? Nein, unmöglich. Sie zermalmte den Gedanken mit ihren Kiefern wie einen Robbenknochen, an dessen köstliches Mark sie herankommen wollte. Wartet nur, ihr hochnäsigen Eulen! Euch werd ich’s zeigen!, dachte sie grimmig.

Zu den anderen sagte sie: „Der Große Baum müsste jetzt bald in Sicht kommen.“ Sie streckte den Kopf aus dem kabbeligen Wasser und suchte den Horizont ab. „Urskadamus!“, knurrte sie, als plötzlich dichter Nebel hereindrängte und den Horizont trübte. Es war, als fiele der finstere, sonnenlose Himmel auf sie herunter und hüllte sie in eine blinde Welt zwischen Himmel und Meer. Zudem bäumten sich die Wellen jetzt noch viel höher auf.

„Volle Ladung“, prustete Drei und fing an, zu würgen und zu spucken.

„Alles gut?“, fragte Jytte, erhielt aber keine Antwort. Drei war viel kleiner als sie, und die Wellen wurden immer höher.

„Drei! DREI! Stellan, ich glaube, Drei braucht Hilfe!“, rief Jytte im aufgepeitschten Wasser. Irgendwo in der Nähe ertönte wildes Platschen. Ohne zu zögern, tauchte sie unter. Dann streckte sie ihre Pfote aus, bekam ein Fellbüschel zu fassen und zerrte den schlaffen Körper hoch, der daran hing.

„Urskadamus! Atmet er?“, keuchte Stellan und schwamm hastig an ihre Seite.

Jytte konnte es nicht fassen. Ihr Bruder fluchte! Das kam normalerweise nie vor. Meistens schimpfte er mit Jytte, wenn sie den Namen des Großen Ursus entweihte.

„Ja, er atmet. Hat gerade alles rausgewürgt – und voll auf mich drauf.“ Jytte verzog das Gesicht.

„Tut mir leid, Jytte“, keuchte Drei, der so tat, als sei nichts gewesen. „Ich glaube, an der letzten Robbe, die wir vor unserem Aufbruch verputzt haben, muss irgendwas faul gewesen sein.“

Stellan starrte seine Schwester an. Ihr Kopf und ihre Schulter waren mit Dreis Erbrochenem bedeckt.

„War wohl keine so gute Idee, diese schöne fette Milz mit Salzwasser runterzuspülen“, fügte Drei hinzu. Robbenmilz war sein Lieblingsfleisch.

„Na gut“, lachte Jytte, „aber dann reitest du jetzt besser auf meiner Schulter, damit du nicht noch mehr Salzwasser schluckst.“ Sie hielt an und ließ Drei auf ihren Rücken klettern.

Kurze Zeit später hörten sie ein Flattern über ihren Köpfen. Zuerst waren im Nebel nur zwei große schwarze Punkte zu erkennen, fast wie zwei Augen, die sich gespenstisch vor dem einförmigen Grau abzeichneten.

„Da bin ich“, sagte eine Stimme klar und deutlich. „Ganz zu euren...