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Gilde der Jäger - Engelskrieg

Gilde der Jäger - Engelskrieg

Nalini Singh

 

Verlag LYX, 2020

ISBN 9783736312326 , 681 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Gilde der Jäger - Engelskrieg


 

4


Raphael erwachte mit dem Gesicht auf heißer Erde, so heiß, dass sie leuchtete. Er war zu früh aufgewacht, sein neues Herz noch nicht ganz bereit. Es war bei der ungeheuren Energieentladung zerbrochen, erkannte er jetzt, und das winzige menschliche Herz darin lag frei. Dieses kleine Herz war unter dem Druck explodiert.

Teile davon schwammen in seinem Blut, gelangten durch die Blutbahn in sein gesamtes System. Ein Blutsystem, in dem es jetzt kein Wildfeuer mehr zu geben schien und auch keine goldenen Blitze. Ohne auch nur einen Gedanken an diesen Verlust zu verschwenden, ohne die qualvollen Schmerzen in seiner Brust zu beachten, schlug er die Augen auf und sah in ein Augenpaar aus flüssigem Silber.

Ein Augenpaar, dessen Blick er eine Ewigkeit standhielt.

Elena reagierte nicht, und das Silber ihrer Augen schien umwölkt, verschwommen. Dann schlossen sich die Lider.

Benommen, sie war benommen! Raphael versuchte, sich zu beruhigen. Natürlich war sie noch nicht ganz da, sie wachte doch eben erst aus einem tiefen Schlaf auf. Sie war zu früh aus diesem Kokon gerissen worden, der sie verzehrte, während er sie gleichzeitig neu schuf. Natürlich brauchte sie Zeit, um ganz wach zu werden.

Um sie herum glühte die Welt, goldenes Feuer knisterte, eine Hülle aus purer Energie.

Er hatte sie zuletzt in einem Traum gesehen, den sie beide geträumt hatten, während sie mit der heimtückischen Kraft der Kaskade um Elenas Verstand, ihre Erinnerungen, ihr ganzes Ich rangen. Zum Schluss war ihnen keine andere Wahl geblieben als das hier, Raphael hatte die rohe Kraft freisetzen müssen, es war nicht anders gegangen. Nur so ließ sich der Prozess der Verpuppung vielleicht endlich aufhalten, um Elena den Machenschaften der Kaskade entreißen zu können.

Raphael hatte seine Energie, seine Kraft, in den Boden gejagt, aber jetzt wirbelte sie in der Luft um ihn und Elena herum, als wäre so viel davon vorhanden, dass selbst die Erde sie nicht aufzunehmen vermochte.

All das war Raphael egal. Er hatte nur Augen für seine Jägerin.

Ihre Wimpern, wie zwei kleine Fächer, warfen Schatten auf ihre Haut, ihre Lippen waren weich, alles sah fast so aus, als schliefe sie friedlich neben ihrem Erzengel im gemeinsamen Bett. Aber seine Elena lag selbst im Schlaf nie so ruhig, so reglos da wie jetzt. Nie hatte sie diese Gelassenheit ausgestrahlt.

Vielleicht … vielleicht war Raphaels Alptraum ja schon wahr geworden, vielleicht war das Schlimmste bereits eingetreten und der Kokon hatte seinen Zweck erfüllt und ein Wesen mit Elenas Gesicht erschaffen, das weder ihre Seele barg noch ihre Erinnerungen. Ein Wesen ohne ihr Lachen und ihren Esprit.

Raphaels Nägel bohrten sich in die heiße, steinige Erde.

Er musste sich zwingen, ganz genau hinzusehen, die ganze Gestalt neben sich wahrzunehmen. Der Kokon war zu klein gewesen, das hatte selbst Raphael auf den ersten Blick erkennen können. Die Hülle hatte weder dem starken, geschmeidigen Körper seiner Jägerin ausreichend Platz geboten noch den Flügeln der Kriegerin, die seine Gefährtin geworden war.

Die Explosion hatte den Kokon bersten lassen, die Einzelteile lagen jetzt weit verstreut überall um sie herum. An den Seiten, die bei dem unversehrten Kokon nach innen gekehrt gewesen waren, wirbelte Wildfeuer, weiß und golden, mit blauen Einsprengseln. Langsam drängte sich noch ein schillernder Schatten in die Farbmischung, der sein Kolorit ständig zu ändern schien, einmal war er so schwarz wie der Himmel um Mitternacht, dann wieder so grau wie das Licht kurz vor Sonnenaufgang. Elenas Haut leuchtete heller als das Wildfeuer, wirkte wie von innen beleuchtet. Die Kaskade hatte sie in eine Art Brennstoffbehälter verwandeln wollen, als Reserve für Raphael, wenn er in den am Horizont sich schleichend nähernden Krieg zog. Ein seelenloses Kraftreservoir hatte die Kaskade aus seiner Elena machen wollen.

Als würde er seine Gefährtin gegen Kraft eintauschen wollen.

Als wäre er ohne sie überhaupt noch am Leben.

Als hätte er für sie nicht alles aufgegeben, auch die Ewigkeit.

Diesen schrecklichen, von ihm auf keinen Fall gewünschten Prozess hatte Raphael aufhalten können. Allerdings hatte er das tun müssen, solange der Kokon noch relativ klein gewesen war. Anders hätte sich Elena als Person mit ihren Erinnerungen und allem, was sie ausmachte, nicht retten lassen. Elenas Körper hatte nicht wachsen können, dazu hatte die Zeit nicht gereicht. Jetzt wirkte er klein und missgestaltet. Seine Liebste war schwer verletzt, und er trug dafür die Verantwortung.

Raphael krallte seine Finger in die Erde, ballte die Hand zur Faust. In seinen Augen brannte es.

Er kniff sie einen Moment lang fest zusammen. Als er sie wieder aufschlug, hatten sich seine Pupillen an das durchdringende goldene Licht gewöhnt, in das alles getaucht war, und er sah Elena genauer vor sich. Warum waren ihre Knie …?

Raphael hielt die Luft an.

Er hatte sich geirrt, sie war gar nicht missgestaltet. Sie war nicht so schwer verletzt, dass sie mit über Jahrhunderte andauernden Schmerzen rechnen musste. Sie war heil, war ganz. Sie musste es an irgendeinem Punkt geschafft haben, die Knie an die Brust zu ziehen und sich zusammenzurollen. Wie ein Kind im Mutterleib, nur dass Elena kein Kind war.

Er sah zu, wie sie sich seufzend anschickte, sich aus dieser Haltung zu lösen, sich sozusagen aufzurollen, sich zu strecken wie ein Schmetterling, der aus der zu klein gewordenen Puppe schlüpfen will. Das schien diesem Körper jedoch unmöglich, dabei sah er doch zu und hatte alles ganz genau vor Augen … Endlich begriff Raphael, dass Elenas Leib einen Tausch vorgenommen, sich auf einen Handel eingelassen hatte.

Elena war ganz, doch sie hatte dafür einen hohen Preis gezahlt.

Ihre Beine waren lang wie immer, die Beine seiner hochgewachsenen Jägerin, die ihm so gern die Hand in den Nacken legte, um seinen Kopf zu sich herunterzuziehen und ihn zu küssen. Ihre Arme hatten genau die richtige Länge, um Messer zu werfen, eine Armbrust abzufeuern und sich im Training mit ihm in all ihren Kampfkünsten zu messen, wie sie es so gern tat, kunstfertig, geschickt und immer voller Humor. Ihr Gesicht war wieder ein bisschen runder geworden, auch wenn sich die Wangenknochen immer noch allzu deutlich unter der Haut abzeichneten.

Aber der Preis für diese Ganzheit! Von den Schultern abwärts war Elena unsäglich dünn. Schlüsselbeine und Rippen traten überdeutlich hervor, der ganze Brustkorb zeichnete sich viel zu deutlich ab. Von dünn konnte man hier nicht mehr sprechen, der Ausdruck traf es nicht annähernd. Ausgemergelt – Elena wirkte ausgemergelt, die Knochen wurden praktisch nur noch von Bändern und Sehnen zusammengehalten, darüber lag eine dünne, durchscheinende Schicht Haut. Diese Haut leuchtete weiterhin von innen heraus, wodurch seine Jägerin, die doch hart wie Stahl sein konnte, wie ein durchsichtiges Wesen von weit her wirkte, das aus seiner Welt gefallen war, ohne dafür überhaupt bereit gewesen zu sein.

Wie wütend würde sie sein, wenn sie das feststellte. Aber nur solch ein schrecklich zerbrechlicher Körper, der praktisch lediglich aus Knochen, Sehnen, Bändern und einem inneren Licht bestand, hatte in den kleinen Kokon gepasst, ohne etwas von sich aufgeben zu müssen.

Elena hatte die richtige Entscheidung getroffen. Fleisch ließ sich wieder aufbauen, ließ sich nähren, während das Nachwachsen ganzer Körperteile bei einem so jungen unsterblichen Wesen Äonen in Anspruch nehmen könnte. Denn eins stand fest: Die Elena, die da vor ihm lag, war keine Sterbliche mehr. Nicht mit diesen Augen aus flüssigem Silber.

Sterblich oder unsterblich, im Grunde war das Raphael egal. Was auch kommen mochte, sie würden es gemeinsam durchstehen, das hatten sie einander versprochen. Er sorgte sich um ihren physischen Körper genau genommen auch nur, weil er es kaum ertragen konnte, sie leiden zu sehen. Sie sollte keine Schmerzen haben müssen. Aber was eigentlich zählte, war die Frage, ob sie zu ihm zurückgekommen war. Ob das Herz seiner Elena noch bei ihnen war, die Seele seiner Elena, der Mut seiner Elena.

Raphael hatte ihr ein Stück seines Herzens gegeben. Aber nur, damit sie es zu ihrem eigenen machen konnte.

Angst kannte er im Grunde nur, wenn es um seine Liebste, seine Kriegerin ging. Er war Erzengel, eigentlich stand er über jeglicher Furcht. Trotzdem legte ihm ebendiese Furcht gerade ihre klammen Finger um den Hals. Er vermochte kaum zu atmen, als er sich nun zwang, sich Elenas Gesicht genauer anzusehen. Kurze Strähnen ihres fast weißen Haares lagen auf ihrer Wange. Feine Knochen zeigten sich unter ihrer durchsichtigen Haut, die das dunkle Gold seiner Elena trug. Darunter das Licht, dessen Glanz noch nicht verblichen war.

Als wäre ihr Blut flüssiges Gold, durch das Licht hindurchschien.

Sie schüttelte einmal kurz den Kopf und blinzelte, während sie die langen Beine ganz ausstreckte, wobei die letzten Reste des Kokons abfielen. Als sie jetzt die Augen öffnete und ihn ansah, war ihr Blick klar, reines Silber ohne einen Rest von menschlichem Grau darin. Vielleicht bedeutete dies ja, das Schlimmste war eingetreten und seine Elena war unsterblich geworden, hatte ihn jedoch dabei für immer verloren. Vielleicht war sie doch zu einem Behälter geworden, war nur noch Energie, ohne Seele, ohne Ich.

Ich würde lieber als Elena sterben, denn als Schatten zu leben.

Ohne nachzudenken und trotz der Schmerzen, die es ihm bereitete, wühlte Raphael mit der Hand in der heißen Erde, zog sie zur Faust geballt heraus,...