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Hier und Jetzt - Mein Bild von einer besseren Zukunft

Hier und Jetzt - Mein Bild von einer besseren Zukunft

Peter Maffay

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2020

ISBN 9783732586493 , 251 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Hier und Jetzt - Mein Bild von einer besseren Zukunft


 

DER DIETLHOFER BACH


Wasser ist Leben


AUS TUTZING, also von Norden kommend, erreichen Sie das Gut Dietlhofen über die Bundesstraße 2 und biegen dort links in den Weg ein, der den Namen des Gutes trägt: »Dietlhofen«. Nachdem Sie den Eingang passiert haben, werden Ihnen linker Hand die Bisons und gleich gegenüber der Fischteich auffallen. Nun fahren Sie über eine Brücke. Unter ihr fließt unser Bach.

Nichts im Leben und nichts auf dem Gut funktioniert ohne genügend Wasser. Unsere Lebensader ist der Dietlhofer Bach. Er entspringt ungefähr eineinhalb Kilometer entfernt im etwas höher gelegenen Wald, schlängelt sich durch Wiesen und Felder hinunter zum Gut und versorgt dort unseren Weiher mit frischem Wasser.

Der Weiher diente früher als Löschteich. Wenn es brannte, nahm die Feuerwehr aus diesem Vorrat das Löschwasser. Sie rollte Schläuche aus und setzte eine Tauchpumpe ein. Das braucht man heute nicht mehr unbedingt, weil an mehreren Stellen auf dem Gut Hydranten vorhanden sind. Trotzdem ist unser Weiher nach wie vor als Löschteich deklariert und muss entsprechend behördlicher Vorgaben instand gehalten werden. Insbesondere darf er nicht verschlammen. Das würden wir aber ohnehin nicht zulassen.

Das frische Quellwasser aus dem Bach ermöglicht es uns, Fische zu halten. Eine Wasserfontäne in der Mitte des Teiches sorgt dafür, dass permanent Sauerstoff zugeführt wird, den Karpfen und Forellen brauchen, um zu überleben. Wir haben Bänke am Ufer aufgestellt, weil der Teich ein super schöner Ort ist, um sich auszuruhen, die Gedanken schweifen und die Seele baumeln zu lassen. Spaziergänger und Gäste sind herzlich eingeladen, Platz zu nehmen und zu verweilen.

Manchmal führt unser Bach viel Wasser, manchmal sehr wenig, denn der Waldboden, aus dem er entspringt, verhält sich wie ein Schwamm: Die Niederschläge, also Regen und Schnee, werden vom Boden aufgenommen, gefiltert, gespeichert und wieder freigegeben, sobald die Erde gesättigt ist. In niederschlagsarmen Sommern verwandelt sich der Bach in ein leise gluckerndes Rinnsal, wenn aber im Frühjahr die Schneeschmelze einsetzt oder es zu wolkenbruchartigen Regenfällen kommt, tritt er zuweilen sogar über seine Ufer. Er kann schnell und reißend sein und bis zu eineinhalb Meter tief werden.

Da links neben dem Bach ein fruchtbarer Acker liegt, den wir heute zum Anbau von Bio-Gemüse nutzen, hat man vor vielen Jahren ein kleines Wehr errichtet, also eine Sperre, die dazu dient, den Wasserstand des Baches zu regulieren, um Überschwemmungen zu vermeiden. Das abwärtsfließende Wasser wird gestaut und kontrolliert abgelassen.

Gerade im Frühjahr, wenn die Saat ausgebracht ist oder die Setzlinge im Boden stecken, wäre eine Überflutung des Ackers wirklich tragisch. Dann wäre nicht nur die ganze Mühe umsonst gewesen, sondern die Chance auf eine Ernte für das ganze Jahr vertan. Denn in der Landwirtschaft hat alles seine Zeit. Es gibt einen Monat, um zu säen, Phasen des Wachstums und eine kurze Zeitspanne für die Ernte. Man kann diesen Rhythmus nicht verändern oder gar umkehren. Was vorbei ist, ist vorbei. Wenn junge Pflanzen verdursten oder ersaufen, muss der Landwirt bis ins nächste Jahr warten, um neue zu setzen. Deshalb ist unser kleines Absperrwerk nicht nur ein Eldorado für die Fische im unteren Bachlauf, weil das herabfallende Wasser sie mit viel Sauerstoff versorgt, sondern vor allem die Lebensversicherung für das junge Gemüse.

Außerdem hat das kleine Wehr einen großen Erholungswert. Viele Menschen schauen gern dem Mini-Wasserfall zu und lauschen dem Rauschen des Wassers. Ich beobachte dort immer wieder Personen, die, die Arme auf die Holzbrüstung gestützt, den Blick minutenlang regungslos auf das fallende Wasser richten. Das entspannt die vielbeschäftigten Augen, die von früh bis spät Eindrücke verarbeiten und bis zu 24 Bilder pro Sekunde auswerten müssen. Wenn Gut Dietlhofen ein beschilderter Gesundheits-Parcours wäre, würden wir vielleicht am Wehr eine Tafel aufstellen lassen mit der Aufschrift: »Augenweide. Auszeit für Ihre Augen, Entspannung für die Sehnerven.«

Die Augen sind unser wichtigstes Sinnesorgan. Nicht umsonst sagt man bei Dingen, die einem besonders viel bedeuten: »Ich hüte sie wie meinen Augapfel.« Ein bisschen Erholung kann jeder von uns auch zuhause oder im Büro finden. Dazu reicht es, sich für einige Zeit ein wunderschönes Bild von einem See, dem Meer, dem Himmel oder einem Fluss vor sein inneres Auge zu holen.

Wenn ich unterwegs bin und zum Beispiel am Flughafen einen Moment – oder besser gesagt einen Augenblick – entspannen möchte, stelle ich mich in Gedanken ans Wasser, entweder auf Gut Dietlhofen oder am Starnberger See.

Früher war ich krankhaft rastlos. Wenn man zu viel im Kopf hat und dadurch schlaflos wird, führt das zur Zerstörung des inneren Gleichgewichts. Das ist enorm gefährlich und kann in einem Burn-out enden. Das habe ich vor ungefähr vier Jahren selbst schon erlebt. Es dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Bei mir half Autosuggestion. Ich habe mich intensiv mit den Ursachen auseinandergesetzt. Denn nur, wenn man weiß, wann und wodurch die Orientierung abhandengekommen ist, kann man sich ganz langsam aus diesem Tal wieder herausarbeiten. Für mich war diese schlimme Phase ein unüberhörbares Alarmsignal, es mit der Arbeit nicht zu übertreiben.

Das war eine heftige Erfahrung, aber jetzt ist es vorbei. Mir geht es gut. Wenn mich heute etwas bedrückt und ich nicht einschlafen kann, versuche ich immer, an schöne Erlebnisse, Farben, Formen zu denken oder an fließendes Wasser.

Unser Bach speist auch den Dietlhofer See, dessen schmalste Stelle im Norden an das Gut heranreicht. Der See, rund 600 Meter lang und 200 Meter breit, ist für hiesige Verhältnisse eher klein, aber immerhin knapp 18 Meter tief! Daher wäre unser Bach allein mit der Aufgabe überfordert, ihn ständig mit frischem Wasser zu versorgen, und glücklicherweise stehen ihm dabei einige unterirdische Quellen helfend zur Seite.

Im Winter kann man den See am besten mit dem Titel eines alten Volksliedes beschreiben: »Still ruht der See«; im Sommer hingegen geht es dort laut und fröhlich zu, und wir können das Stimmengewirr der Kinder, die im Wasser toben oder am Strand spielen, bis zum Gut hinauf hören.

Menschen fühlen sich von jeher zum Wasser hingezogen, zu Seen und Flüssen und zum Meer. Sie haben schon immer dort gesiedelt, wo es Wasser gibt, also entlang der großen Ströme, in Deutschland zum Beispiel am Rhein, an der Donau, der Weser, der Ruhr oder der Elbe oder aber am Meer, mit dem Ziel, einen Hafen zu bauen wie beispielsweise in Hamburg, Lübeck, Kiel, Wismar oder Rostock.

Wasser ist Leben. Wir kommen aus dem Wasser, alles Leben kommt aus dem Wasser. Das unterscheidet die Erde von anderen Planeten. 71 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Wasser führt uns an unseren Ursprung zurück. Ich vermute, dass die Menschen das spüren, ohne sich dessen ständig bewusst zu sein. Wasser entsteht nicht neu und verschwindet auch nicht einfach irgendwo. Seit Urzeiten ist ein und dasselbe Wasser auf unserem Planeten in allen möglichen Kreisläufen unterwegs.

Durch die heißen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre ist das Absinken des Grundwasserspiegels stärker in unser Bewusstsein gelangt. Dabei ist das Phänomen nicht neu. Schon im Jahr 2012 titelte eine Zeitung: »Sinkende Grundwasserspiegel gefährden die Welt«. Damals standen Länder wie Indien, China und die USA im Fokus der Berichterstattung, heute ist das Problem auch in Westeuropa angekommen. Moore und Feuchtgebiete trocknen aus, Wälder sterben ab, und die Ackerwirtschaft wird erheblich erschwert. Unser Trinkwasser könnte teurer werden.

Ich beobachte das ganze Jahr über den Starnberger See, weil wir in Tutzing an dessen Ufer wohnen. Manchmal fotografiere ich ihn vom Wohnzimmerfenster aus, um den Augenblick festzuhalten. Der See ist in meinem Leben stets präsent.

Morgens drehe ich am See eine Runde mit dem Rad, im Sommer springe ich danach kurz ins Wasser, um mich zu erfrischen. Abends, wenn der Tag gelaufen ist und die Sonne untergeht, kehrt eine magische Ruhe ein. Wir sitzen dann gelegentlich in einem nahegelegenen Strandcafé, das auf Stelzen in den See gebaut wurde, genießen ein Glas Wein und lassen den Tag Revue passieren. Die Gedanken ordnen sich, und wir fahren einen Gang herunter.

Hendrikje, meine Lebensgefährtin, und ich haben ein kleines, uraltes Elektroboot, mit dem wir am Wochenende gern auf den See hinausfahren. Auf dem Boot sind wir beide Kapitäne, was dazu führt, dass wir uns zunächst über den Kurs verständigen müssen. Unsere Möglichkeiten sind allerdings schon deshalb begrenzt, weil der Akku nicht besonders lange hält. Wir könnten zwar mit unserem Bötchen ganz langsam von Tutzing nach Starnberg oder Seeshaupt tuckern, aber nicht mehr zurück. Das müssen wir stets im Auge behalten, sonst wären wir schlimmstenfalls gezwungen, nach Hause zu schwimmen.

Also machen wir die Leinen nicht los, um irgendwohin zu fahren, sondern einfach nur, um loszufahren. Unser Weg ist das Ziel. Das empfinde ich als ungemein wohltuend.

Die Farbe des Wassers wechselt, je weiter wir hinausfahren, und die leichten Wellen, die gegen den Bug schlagen, haben auf dem See einen anderen Klang als in Ufernähe. Alle Geräusche verstummen nach und nach bis auf das leise Surren des betagten Elektromotors. Wollen wir schweigen und die Natur genießen oder die Muße nutzen, um ein gutes Gespräch zu führen? Beides ist wohltuend, vor allem, wenn das Handy ausgeschaltet ist und ausgeschaltet bleibt. Wir nehmen es nur für den Fall mit, dass wir in...