Suchen und Finden

Titel

Autor

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Dann eben ohne Titel... Wir konnten uns mal wieder nicht einigen - Zwei Schwestern, eine Geschichte

Dann eben ohne Titel... Wir konnten uns mal wieder nicht einigen - Zwei Schwestern, eine Geschichte

Anja Kling, Gerit Kling, Peter Käfferlein, Olaf Köhne

 

Verlag Ariston, 2020

ISBN 9783641255916 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

15,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Dann eben ohne Titel... Wir konnten uns mal wieder nicht einigen - Zwei Schwestern, eine Geschichte


 

1

Wer ist eigentlich wer?

GERIT

Als wir Kinder waren, sahen wir völlig unterschiedlich aus. Anja hatte lange, wunderschöne, dunkelblonde Haare, und ich war eher noch dunkler als heute.

ANJA

Und du hattest immer so eine Powermähne. Dickes, aber eher kurzes Haar.

GERIT

Das waren die Achtziger. Und ich hatte in der Jugend ein ganz rundes Gesicht. Alles an mir war rund. Augen rund, Gesicht rund, alles rund.

ANJA

Das hast du dir immer eingebildet. Ein bisschen Babyspeck vielleicht. Aber den hatte ich auch.

GERIT

Nein, Anja, ich war ein ganz anderer Typ als du. Damals sahen wir uns überhaupt nicht ähnlich. Es gibt Beweisfotos, erst neulich fielen mir wieder welche in die Hände. Da dachte ich: Ist ja irre, wie verschieden wir waren.

Anja und Gerit Kling mit ihrer Mutter Margarita

GERIT

Solange ich mich zurückerinnern kann, waren wir unglaublich eng verbunden und versuchten, so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. Kein Blatt passte zwischen uns. Ich kam am 21. April 1965 im thüringischen Altenburg in der tiefsten DDR zur Welt. Zur selben Zeit kämpfte der Regimekritiker Biermann mit der Tragik seines Auftrittsverbots, die Scorpions gründeten ihre Band, und die Antibabypille kam in der DDR auf den Markt. Anja wurde fünf Jahre nach mir, am 22. März 1970, geboren. In der Rolle der großen Schwester fühlte ich mich von Anfang an pudelwohl. Den Hauptteil unserer Kindheit und Jugend verbrachten wir in Wilhelmshorst, einer kleinen Gemeinde sieben Kilometer südlich von Potsdam gelegen, mit heute etwas mehr als 3000 Einwohnern. Der Westen – das immer leuchtende und glamouröse Westberlin – befand sich in greifbarer Nähe, war für uns aber unerreichbar. Nach Wilhelmshorst zogen wir, als ich zehn und Anja gerade fünf Jahre alt war. Das Haus, das meine Eltern gegen unsere Drei-Zimmer-Neubauwohnung in Potsdam tauschen konnten, war ein kleines Holzhaus. Viereinhalb Zimmer, Küche und Minibad mit kohlebetriebener Zentralheizung. Anja und ich bekamen ein gemeinsames Zimmer und waren glücklich, dass ab sofort niemand mehr unter uns wohnte, der mit dem Besen gegen die Decke donnerte, wenn wir mal wieder angeblich zu laut über den Flur rannten. Zu dem Haus gehörte auch ein riesiger Garten, und ringsherum war viel Wald. »Garten« ist eigentlich untertrieben, es war eine Art Park, mit großen Tannen und Kastanienbäumen, Wiesen und Blumenbeeten. Es gab dort seltene Vögel, wie zum Beispiel den Pirol, der durch sein gelbes Gefieder auffällt und den man nicht oft zu Gesicht bekommt. Gleich in unserem ersten Jahr in Wilhelmshorst fanden wir ein kleines, junges Pirolvögelchen, das aus dem Nest gefallen war. Anja und ich zogen es groß, jagten einen Sommer lang mit Fliegenklatschen jedem Käfer hinterher, um unser Pflegekind zu ernähren, und schafften es tatsächlich, es in nächtelangen Aktionen seinen Vogeleltern wieder zuzuführen. Schnappi nannten wir unseren Pirol.

Anja und ich, wir waren wie ein Kiek und ein Ei – in der Kindheit, während der ganzen Schulzeit und auch später, als wir studierten und eigene Wege gingen. Was keine Selbstverständlichkeit ist, denn immerhin trennten uns fünf Jahre – ein Altersunterschied, der bei anderen Geschwistern ganze Welten bedeutet, gerade wenn die eine in die Pubertät kommt, während die andere noch Kind ist. Bei uns war das irgendwie nicht der Fall. Für mich war es selbstverständlich, dass ich Anja überallhin mitschleppte. Als ich älter wurde, nahm ich sie mit zu Einladungen, auf Partys, ja sogar in die Disco. Wozu ich sie ein bisschen überreden musste, weil ihr das nicht ganz geheuer war. Ich aber war einfach nur glücklich, wenn wir zusammen waren. Anja wiederum stand mir bei, wenn ich Probleme mit dem Lernen oder in der Schule hatte. Unser Vater sagt immer, wir hätten uns als Schwestern perfekt ergänzt. Den Jungs, die mit mir ausgehen wollten, passte es gar nicht, dass ich stets Anja im Schlepptau hatte. Was ich ignorierte. Manchmal bekam ich »Beschwerdebriefe« von Verehrern, da stand in etwa:

»Wenn Du Deine kleine Schwester noch mal mitbringst, kannst Du selbst auch gleich zu Hause bleiben.« Woraufhin ich dachte: Nix da, jetzt erst recht. Also, wir waren immer sehr verbunden miteinander. Was die eine als Schwäche hatte, war die Stärke der anderen. So hat sich alles ausgeglichen. Davon profitieren wir beide bis heute. Natürlich änderte sich vieles, als wir älter wurden und später sogar denselben Beruf ausübten. Es gab Phasen der Entfremdung, auf die jedoch immer wieder eine Annährung folgte. Das würde jedem Pärchen so gehen, ob es nun Geschwister sind oder Mann und Frau, die im selben Umfeld arbeiten, zumal, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Wir schafften es aber jedes Mal, den Ausgleich zu finden. Aus schwierigen Situationen sind wir als Schwestern letztlich immer gestärkt herausgekommen. Auch wenn wir miteinander Stress hatten – am Ende hielten wir zusammen und haben uns nie verloren.

Was uns heute selbst am meisten amüsiert, ist der Umstand, dass wir ganz oft verwechselt werden. Und je älter wir werden, desto öfter passiert uns das. Früher sahen wir, wie gesagt, sicherlich noch unterschiedlicher aus. Mit den Jahren sind wir uns optisch ähnlicher geworden. Und heute ist es, wenn wir uns entsprechend zurechtmachen, frappierend, wie gleich wir aussehen können, wenn wir wollen. Auch unsere Stimmen und Stimmlagen ähneln sich ja, was Außenstehenden auffällt, wenn sie beobachten, wie wir reden, artikulieren, gestikulieren und erzählen.

Neulich war ich mit der Familie, meinem Mann und meinem Sohn, in einem Restaurant essen. Die ganze Zeit über merkte ich schon, dass die Gäste an einem der anderen Tische zu uns herüberschauten. Nach so vielen Jahren in der Öffentlichkeit spürt man schnell, wenn man von anderen erkannt wird. Die Leute fingen an zu tuscheln. Guckten wieder zu mir, flüsterten weiter, schauten ganz schnell wieder fort. Irgendwann hatten wir unser Essen beendet, zahlten und wollten das Lokal verlassen. In dem Moment sprachen die Leute vom Nachbartisch mich an.

»Sagen Sie mal, Sie sind doch die Anja Kling, oder?«

»Nee. Ich bin die Schwester«, sagte ich.

»Ha!«, sagte die eine Frau, starrte mich noch mal intensiv an. »Dann wären Sie ja die Gerit Kling. Na, das wüsste ich aber!«

Da diskutieren die Leute doch tatsächlich mit dir über deine Identität …

ANJA

So etwas Ähnliches ist mir auch kürzlich passiert. Ich war beim Blumenkaufen, und vor dem Laden steht immer eine Frau und bietet frischen Spargel und Erdbeeren an. Ich ging zu ihr. Sie schaute mich an, drehte den Kopf nach links, nach rechts, begutachtete mich von oben bis unten.

Schließlich sagte sie ganz überschwänglich und freudig erregt: »Hallo!«

Ich: »Ja, hallo.«

Sie: »Das ist sie doch!« Mit verschwörerischem Blick.

Ich: »Wie bitte?«

Sie: »Das ist sie doch! Jaaa, das ist sie doch. Die Gerit, ne?«

Ich: »Nee, nee.« Ganz freundlich. »Das bin ich nicht.«

Sie: »Ha, doch, doch.«

Ich: »Nee, nee, wirklich nicht.«

Sie: »Jetzt verarscht sie mich aber! Ich seh das doch.«

Ich: »Nein, Sie irren sich.«

Jetzt ein ratloser Blick. Sie dachte wohl: Und wer ist dann die hier? Muss irgendeine Unbekannte sein, kein Promi, schade. Und sagte, plötzlich ziemlich unfreundlich: »Aaah … Ach so. Na, was woll’n Se denn?«

Diese Verwechslungen sind schon erstaunlich. Man erkennt sicherlich denselben Stall, aber ich finde, wir sehen uns weiß Gott nicht so ähnlich, dass man uns nicht auseinanderhalten könnte. Am ehesten gleichen wir uns im Habitus, in der Gestik, im Sprechen. Als Gerit und ich einmal zusammen drehten, kam die Tonmeisterin entnervt zu uns und beschwerte sich, dass das so nicht ginge. Sie müsse uns sehen können, sonst wisse sie nicht, bei wem gerade die Tonangel sei. Es kam sogar schon vor, dass ich im Tonstudio Sprachaufnahmen für Gerit machte, und kein Mensch hörte einen Unterschied. Meine Schwester sollte ein paar Takes für eine TV-Serie nachsynchronisieren, war aber zeitlich verhindert. Also sprang ich ein. Und mir selbst ist einmal passiert, dass ich auf unserem Anrufbeantworter eine Nachricht für meinen Mann hinterließ – »Schatz, ich komme heute ein bisschen später« –, und als ich nach Hause kam und den AB abhörte, dachte ich: Nanu, wieso teilt mir Gerit denn mit, dass sie später kommt?

Seit ein paar Jahren pflegen wir eine lieb gewonnene Familientradition: Zu besonderen Anlässen wie runden Geburtstagen oder zu Hochzeiten produzieren wir Überraschungsfilme für den Jubilar oder Feiernden. Alles in Eigenregie geschrieben, gedreht und geschnitten, unter höchster Geheimhaltungsstufe, damit die Überraschung klappt. Das Witzige daran ist, dass wir uns in den Filmen gegenseitig spielen und die Macken der anderen persiflieren. Alles total überzogen, auch ein bisschen böse, da müssen aber alle durch. Soll ja lustig sein. In den Filmen, die wir für unsere Eltern drehten, spielte ich Gerit und unseren Vater, Gerit mich und unsere Mutter. Unsere Kinder spielten sich selbst. Die Szenen fanden immer im elterlichen Schlafzimmer statt. Meine Mutter (Gerit) und mein Vater (ich) gehen ins Bett, wir beginnen ein Gespräch, das Licht geht noch einmal an, und dann werden Themen wie Technikverständnis, Sprachkenntnisse, Trinklaunen oder Filmangebote der Töchter diskutiert.

Geburtstagsvideo für die Eltern: Anja...