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Bianca Extra Band 79

Bianca Extra Band 79

Marie Ferrarella, Cindy Kirk, Teresa Southwick, Christy Jeffries

 

Verlag CORA Verlag, 2020

ISBN 9783733748050 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR

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Bianca Extra Band 79


 

1. KAPITEL

Melanie McAdams genoss nichts mehr, als sich mit den Problemen anderer Menschen beschäftigen zu können. Denn nur das erlaubte ihr, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Gutes zu tun und gleichzeitig kurzzeitig vergessen zu können, dass ihr Leben jeden Sinn verloren hatte, ohne Hoffnung auf Besserung. Die Bedford Rescue Mission, für die sie tätig war, nahm als Notunterkunft ausschließlich alleinstehende Mütter mit ihren Kindern auf und gab ihnen ein Dach über dem Kopf – so lange, wie es eben nötig war.

Inzwischen half Melanie hier schon seit fast drei Jahren aus. Zunächst nur, wenn es ihr eigentlicher Beruf als Grundschullehrerin zuließ. Doch als vor einiger Zeit ihre ganze Welt zusammengebrochen war, hatte sie sich von ihrer Schuldirektorin beurlauben lassen, um ihre ehrenamtliche Tätigkeit in Vollzeit auszuüben.

Heute war allerdings einer dieser Tage, an denen sie machen konnte, was sie wollte – sie kam nicht gegen die düsteren Erinnerungen an, die ihr immer wieder durch den Kopf spukten.

Genau heute war es neun Monate her, dass der schwarze Wagen direkt vor ihrem Haus gehalten hatte … dem Haus, in dem sie mit Jeremy hatte leben wollen. Sie hatte die Eingangstür geöffnet, und draußen stand Oberleutnant John Walters, zusammen mit einem Militärgeistlichen. Die beiden waren gekommen, um ihr mit ernster Miene die schrecklichste Nachricht zu überbringen, die sie je erhalten hatte: Jeremy Williams, ihre Jugendliebe und ihr Verlobter, der ihr alles bedeutet hatte, würde nie mehr zu ihr zurückkommen. Nur sein lebloser Körper sollte noch in seine Heimatstadt Bedford überführt werden.

Die Erinnerung an diesen Tag ließ Melanie nicht mehr los. Sie zitterte, und immer wieder rutschten die Kinderbücher, die sie in einem der Aufenthaltsräume auf einem Beistelltisch stapeln wollte, auf den Boden.

Vier Tage, dachte sie. Jeremy hätte nur noch vier Tage durchhalten müssen, dann wäre er für immer in Sicherheit gewesen. Dann hätte er nämlich seinen Militärdienst beendet und wäre zu ihr zurückgekehrt – um sie zu heiraten.

Aber dazu war es nicht gekommen, und würde es auch nicht mehr kommen. Denn jetzt lag Jeremy in einem kühlen Grab, und nicht in ihrem warmen Bett.

„Alles okay, Miss Melody?“, erkundigte sich eine hohe Kinderstimme.

Melanie versuchte, sich so gut es ging zusammenzureißen, als sie sich zu dem kleinen grünäugigen Mädchen umdrehte, das ihr die Frage gestellt hatte: April O’Neill war eine hübsche, aufgeweckte Fünfjährige, die mit ihrem siebenjährigen Bruder Jimmy und ihrer Mutter Brenda inzwischen seit über einem Monat in der Unterkunft wohnte. Davor hatten sie in einer nahe gelegenen Stadt auf der Straße gelebt – wie lange genau, das hatte die Mutter nicht verraten wollen.

Als das Mädchen sie anfangs fälschlicherweise Melody genannt hatte, hatte Melanie noch versucht, sie aufzuklären. Mit der Zeit hatte sie sich aber daran gewöhnt. Die kleine Familie, die schon so viel hatte durchmachen müssen, war ihr schnell ans Herz gewachsen. Brenda war verwitwet und hatte dazu noch ihren Job verloren. Nachdem sie zwei Monate mit der Miete im Rückstand gewesen war, hatte der Vermieter sie und die Kinder einfach vor die Tür gesetzt.

Die kleine Familie hatte lange auf der Straße gelebt … bis sich irgendwann ein Polizist erbarmt und sie im Streifenwagen zur Notunterkunft für alleinerziehende Mütter gebracht hatte.

Jetzt zwang Melanie sich zu einem Lächeln und blickte das Mädchen an. „Ja, mit mir ist alles okay, meine Süße.“

Die Antwort schien April nicht zu überzeugen. Sie runzelte die Stirn. „Aber da läuft Wasser aus deinen Augen. Genau wie bei Mama, wenn sie gerade wieder an etwas Trauriges denkt. Zum Beispiel an Dad.“

„Ach, das liegt nur am Staub“, erwiderte Melanie schnell. „Ich habe eine Hausstauballergie, und wenn zu viel Staub in der Luft ist, dann läuft mir schon mal … Wasser aus den Augen“, schloss sie mit Aprils Worten und in der Hoffnung, die Erklärung würde das Mädchen befriedigen.

„Ach so. Aber dagegen gibt es doch Medizin“, sagte das Mädchen. „Das weiß ich schon.“

Melanie lächelte und legte der Kleinen einen Arm um die schmalen Schultern, um sie kurz an sich zu drücken. „Gute Idee, das muss ich mal ausprobieren“, versprach sie. „Aber verrate mir doch mal, was du eigentlich von mir wolltest.“

Jetzt wirkte April sogar noch ernster. „Mama meint, dass Jimmy wieder krank ist.“

Melanie überschlug ein paar Daten in ihrem Kopf. Dann war der Junge in den letzten sechs Wochen ja schon dreimal krank gewesen! Das Leben auf der Straße hatte ihn wahrscheinlich ganz schön geschwächt. „Hat er wieder das Gleiche wie vorher?“, erkundigte sie sich.

April nickte, dass die blonden Haare nur so wippten. „Er niest und hustet die ganze Zeit. Mama sagt, dass er lieber nicht mit den anderen Kindern spielen soll, sonst stecken sie sich noch an.“

„Das ist richtig“, stimmte Melanie zu.

Gemeinsam gingen die beiden den Flur hinunter zu den Schlafräumen, in denen sowohl die Frauen als auch ihre Kinder untergebracht waren. April schob ihre kleine Hand in Melanies und drückte sie fest. „Ich glaube, Jimmy muss mal zum Arzt“, urteilte sie und schaute Melanie tief in die Augen.

„Das ist eine noch bessere Idee“, erwiderte diese leise.

„Wir haben aber kein Geld, und Jimmy fühlt sich zu schwach, um zum Krankenhaus rüberzugehen. Außerdem mag Mama nicht gern fragen, ob sie etwas ohne Geld bekommen kann“, schloss April mit ernster Stimme.

Melanie nickte. „Deine Mama ist eine stolze Frau“, sagte sie. „Aber manchmal muss man seinen Stolz auch vergessen. Nämlich dann, wenn man einem geliebten Menschen helfen will.“

April betrachtete sie wissend. „Jimmy zum Beispiel?“

„Ganz genau.“

Das Mädchen bog um die Ecke und drückte eine große Tür auf. Dahinter lag einer der drei Schlafsäle, in dem sie so viele Familien untergebracht hatten, wie sie konnten, ohne dabei gegen die Brandschutzauflagen zu verstoßen. Im Moment hielt sich kaum ein Bewohner im Raum auf – mit Ausnahme einer kleinen dunkelhaarigen Frau, die in der hintersten Ecke auf einer Bettkante saß. Gegen sie gelehnt saß ein zerbrechlich wirkender rothaariger Junge im Bett, der ununterbrochen hustete. Der Husten wurde immer schlimmer und klang so, als wäre er ohne fremde Hilfe nicht mehr zu stoppen.

Weil erfahrungsgemäß manchmal schon ein Glas Wasser half, wollte Melanie es erst mal damit versuchen. „April, läufst du schnell in die Küche und fragst Theresa, ob sie dir ein Glas Wasser für deinen Bruder gibt?“

Sofort rannte die Kleine los.

Kaum hatte sie den Raum verlassen, wandte Melanie sich Jimmys Mutter zu. „Wir sollten ihn wirklich von einem Arzt untersuchen lassen“, schlug sie vorsichtig vor.

Brenda O’Neill hob den Kopf. Sie wirkte viel älter, als sie eigentlich war, dazu unendlich müde und erschöpft. „Danke, aber wir kommen schon zurecht. Er hat diesen Husten ja nicht zum ersten Mal“, erwiderte sie. „Er kommt und geht, das ist bei manchen Kindern eben so.“

„Das kann sein“, begann Melanie. „Trotzdem wäre es besser, wenn Jimmy sich mal richtig auskurieren könnte.“ Sie hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: „Mir ist schon klar, dass ihr euch das im Moment nicht leisten könnt, aber ich bezahle das gern.“

Sofort verschloss sich Brendas Miene. „Ach was, das wird schon wieder“, sagte sie. „Kinder in dem Alter haben doch ständig irgendwas.“

Melanie seufzte. Ohne das Einverständnis seiner Mutter konnte sie den Jungen schlecht in das hochmoderne Krankenhaus bringen, das nur wenige Kilometer von der Unterkunft entfernt lag.

In diesem Moment kam April wieder ins Zimmer. „Hier, ich habe Wasser geholt“, rief das Mädchen. „Und Theresa ist gleich mitgekommen.“

Theresa Manetti, die freiwillig in der Küche aushalf, reichte Jimmy das Glas. „Hier, trink einen Schluck. Vielleicht wird es dann besser.“ Sie lächelte dem Jungen zu. „Wenn nicht, habe ich noch etwas in der Hinterhand.“

Brenda blickte die ältere Frau skeptisch an. „Die Diskussion habe ich eben schon mit der Dame hier geführt.“ Sie wies auf Melanie. „Einen Arzt können wir uns nicht leisten, und in ein paar Tagen geht es Jimmy bestimmt wieder besser.“

„Das ist gut möglich“, gab Theresa zurück und berührte kurz Brendas Schulter. „Aber Dr. Mitch kann ihn sich ja trotzdem mal ansehen, wenn Sie einverstanden sind.“

Melanie runzelte die Stirn. „Dr. Mitch?“ Den Namen hatte sie noch nie gehört. Wollte Theresa jetzt etwa ihren Hausarzt rufen?

„Ja, sorry, meine Freundin Maizie nennt ihn immer so“, erwiderte Theresa. „Eigentlich heißt er Dr. Mitchell Stewart, und arbeitet als Chirurg am Bedford Memorial Hospital … also gar nicht weit von hier“, fügte sie als Erklärung für Brenda hinzu. „In den letzten Jahren hat er sich eine gute Position erarbeitet, und jetzt will er etwas für die Allgemeinheit tun, habe ich gehört. Und als ich Polly davon erzählt habe, hat sie ihn sofort angerufen und darum gebeten, doch für ein paar Stunden hier vorbeizuschauen.“

Polly French war die Leiterin der Notunterkunft.

Brenda wirkte immer noch misstrauisch. „Danke, aber wir brauchen keine Gefälligkeiten.“

„Eigentlich würden Sie dem Arzt damit ja einen Gefallen tun“, meinte Theresa. „Wenn er sich unbedingt nützlich machen will, dann lassen...