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Küsse, die das Herz zum Schmelzen bringen

Küsse, die das Herz zum Schmelzen bringen

Susan Carlisle

 

Verlag CORA Verlag, 2020

ISBN 9783733729363 , 130 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR

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Küsse, die das Herz zum Schmelzen bringen


 

1. KAPITEL

Herzchirurgin Michelle Ross stieß die Tür zum Operationssaal 4 im Raleigh Medical Center in North Carolina schwungvoll mit der Hüfte auf.

Heute stand die Herzoperation von Mr. Martin an. Dieser Patient war genau der Typ Mensch, der ihr allergrößtes Mitgefühl erregte. Fast immer hatten solche Patienten kleine Kinder, die zu Hause warteten und hofften, dass es ihren Eltern wieder besser ging. Sie musste diesem Vater helfen. Sie musste sein Leben retten, damit er wieder bei seiner Familie sein konnte.

Sie blickte die Mitglieder ihres Teams kurz an und fragte knapp: „Alle bereit?“

Die Ärzte und Schwestern, die um Mr. Martin, einen Mann mittleren Alters, versammelt waren, hatten sich leise miteinander unterhalten. Jetzt verstummten sie. Wäre ein Skalpell versehentlich auf den Boden gefallen, hätte man das Echo gehört, so still war es im Raum.

Michelle bemerkte, dass alle es vermieden, ihr in die Augen zu sehen. Was ging hier vor? Normalerweise war ihr Team ohne Zögern bereit, mit der Operation zu beginnen. Nur aus Gewohnheit stellte sie jedes Mal dieselbe Frage.

Pannen waren in ihrem OP nicht erlaubt, Effizienz war ihr Motto. Ihre Patienten verdienten die allerbeste Behandlung, und die bekamen sie. Sie hatte jeden im Team sorgfältig ausgewählt, und alle wussten, was von ihnen erwartet wurde. Sie vertraute ihrem Team, also was war heute los?

Niemand wollte offenbar antworten. In diesem Fall, der ihre völlige Aufmerksamkeit erforderte, verringerte dies ihre Anspannung nicht gerade. Sie trat an ihren Platz am OP-Tisch. Dann fiel ihr Blick auf den jungen Arzt, der dem Anästhesisten assistieren sollte. „Wo ist Dr. Schwartz?“, fragte sie.

Die Augen des jungen Kollegen waren über dem Mundschutz sichtbar. Er blinzelte nervös. Dann sagte er: „Die Vertretung für Dr. Schwartz ist noch nicht da.“

Michelle Ross wollte gerade verärgert nachfragen, als jemand zur Tür hereinkam. Ein Mann mit breiten Schultern wandte ihr den Rücken zu. Dann drehte er sich um und blickte die Gruppe an. Seine orangefarben gestreifte Operationshaube fiel ihr sofort auf, denn sie passte überhaupt nicht in ihre geordnete und sterile Welt. Er trug den normalen blauen Kittel des Krankenhauses, aber was ebenfalls ihre Aufmerksamkeit erregte, waren die limonengrünen Clogs, die durch die sterilen Überziehschuhe an seinen Füßen schimmerten.

Wer war dieser Clown? Es fehlte nur noch die rote Pappnase. Als er näher kam, bemerkte Michelle, dass die Augen über seinem Mundschutz auffallend jadegrün waren.

Er blickte sie an, zwinkerte ihr zu. Das brachte sie für einen Moment aus dem Konzept.

Das war doch wohl nicht etwa der verspätete Vertretungs-Anästhesist?

„Hallo zusammen, ich bin Ty Smith, die Vertretung für den Kollegen Schwartz.“ Obwohl er einen Mundschutz trug, bemerkte sie, dass er lächelte und Augenkontakt mit jedem im Team suchte.

„Unser Patient ist bereit, und wir warten alle nur noch auf Sie“, sagte sie, um weitere Plaudereien zu unterbinden.

„Sie müssen Dr. Ross sein“, stellte er in lockerem Ton fest.

„Ja. Fangen wir an.“

Der Anästhesist zog den Stuhl an seinem Platz mit dem Fuß näher heran und setzte sich mit einer lässigen Bewegung. Dabei schien er keinen weiteren Gedanken mehr an sie zu verschwenden oder ein schlechtes Gewissen zu haben, dass alle im Team auf ihn hatten warten müssen.

Er blickte den Assistenzarzt an: „Gut gemacht.“

Der junge Mann, der bei Michelles Frage zuvor so nervös reagiert hatte, entspannte sich sichtbar.

Dr. Smith überprüfte die Narkosevorbereitungen und sah Michelle an. „Ich bin bereit, wenn Sie es auch sind, Doc.“

Wieder irritierten seine Augen Michelle. Sie erinnerten sie an grünen Rasen nach einem Frühlingsregen. „Dr. Ross, bitte“, wies sie ihn zurecht.

„Der Patient ist bereit, Dr. Ross.“ Michelle beschlich das Gefühl, dass er sich über sie lustig machte.

Mehrere Stunden später setzte sie die letzte Naht. Sie war erleichtert, dass die Operation komplikationslos verlaufen war. Ihr Patient hatte sehr wahrscheinlich noch ein langes Leben vor sich und würde seine Kinder aufwachsen sehen. Darauf war sie stolz.

Ihr Vater war an einem Herzinfarkt gestorben, als sie zwölf Jahre alt war. Sie waren gerade unterwegs gewesen, um neue Schulkleider für sie zu kaufen, und ihre Mutter und sie hatten sich nicht einigen können. Plötzlich hatte ihr Vater sich an die Brust gegriffen und war im Einkaufszentrum zu Boden gestürzt. Noch immer konnte Michelle die Rufe der umstehenden Passanten hören. „Schnell, holt einen Krankenwagen!“ Menschen liefen hektisch umher. Aber am deutlichsten war ihr in Erinnerung, wie sie verzweifelt schluchzte.

Bei der Beerdigung, als sie neben ihrer Mutter in der ersten Bank in der Kirche saß, hatte sie sich geschworen, dazu beizutragen, dass anderen Kindern möglichst erspart blieb, was sie selbst erleben musste. Sie hatte Medizin studiert und hart gearbeitet, um Herzchirurgin zu werden. Ihre persönliche Erfahrung lehrte sie, dass Humor bei dieser Arbeit nichts zu suchen hatte. Medizin war eine ernsthafte Angelegenheit.

Michelle wollte gerade die Operation abschließen, als ein leises Summen sie ablenkte. Es kam vom Kopfende des OP-Tisches. Während der Operation hatte sie den Neuen im Team nicht angesehen. Stattdessen hatte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Patienten gegolten, auch wenn ihr Assistent den ersten Schnitt gesetzt hatte.

Sie blickte zum Kopfende des Tisches. Smith schaute konzentriert auf einen Monitor. Die anderen Teammitglieder um den Tisch traten unruhig von einem Bein aufs andere. Michelle war der Meinung, dass ein Operationssaal kein Ort war, um Musik zu hören. Sie wollte nicht, dass irgendetwas die konzentrierte Atmosphäre störte. Es sollte möglichst still sein.

Eine frostige Anspannung breitete sich aus. Die verstohlenen Blicke ihrer Kollegen entgingen ihr nicht.

Der Neue schaute auf, und ihre Blicke trafen sich. Um seine Augen bildeten sich Lachfältchen. „Summen Sie doch einfach mit.“

Dieser Mann brachte Unruhe in ihren OP. Er musste ihr Team wieder verlassen. Dafür würde sie sorgen.

„Wie ist der Blutdruck?“, fragte sie kurz angebunden.

„Stabil.“

„Dann sind wir fertig. Der Patient kann jetzt auf die Intensivstation verlegt werden. Und hören Sie auf zu summen.“

„Jawohl, Ma’am.“

Er klang wie ein unartiger Schuljunge, den man gerade zurechtgewiesen hatte, weil er ein Mädchen an den Haaren gezogen hatte.

Ty rieb sich den Nacken, um seine verspannten Muskeln zu lockern, und verließ den OP. Er war müde, denn er war bis spät in der Nacht unterwegs gewesen. Am Stadtrand war ein Autounfall passiert. Er hatte mitgeholfen, und es hatte sehr lange gedauert, die Verletzten zu versorgen. Er kam nicht gern zu spät, aber ihm war keine Wahl geblieben. Da er als Erster an der Unfallstelle gewesen war, musste er helfen. Er nahm seine Pflicht als Arzt sehr ernst.

Es machte ihm nichts aus, immer wieder umzuziehen. Das hatte er schon sein ganzes Leben lang getan, und er war daran gewöhnt. Seine Eltern waren Möchtegernhippies gewesen und immerzu irgendwelchen Rockbands nachgereist. Joey, sein sechs Jahre jüngerer Bruder, hätte ständige medizinische Betreuung und ein solides Zuhause gebraucht, aber das widersprach dem Lebensstil seiner Eltern. Mal fragten sie irgendeinen obskuren Guru um Rat, ein andermal verabreichten sie Joey ein paar Heilkräuter. „Wenn wir in die Wüste ziehen, kann Joey besser atmen. Das Klima dort wird ihm guttun, er wird sich erholen.“ Sie hatten sich geirrt. Ein tödlicher Irrtum.

Seine Eltern behaupteten, es sei Schicksal gewesen. Ty sah das anders. Joey hätte weiterleben sollen, ihm ständig hinterherlaufen und ihm auf die Nerven gehen mit seiner neugierigen Fragerei. Als Ty am Boden saß, um ihn herum Gemurmel, Jammern und betäubender Räucherstäbchenrauch, hatte er beschlossen, dass er dieses Leben nicht mehr wollte.

Er konnte und wollte nicht akzeptieren, dass seine Eltern Joey nicht zu einem normalen Arzt gebracht hatten. Er hätte Joey nicht einfach sterben lassen. Und deswegen beschloss er, die Kommune zu verlassen, um bei seinen Großeltern zu leben.

Ty war intelligent und hatte in der Schule sehr gute Noten, deshalb entschied er sich, Medizin zu studieren. Wenn er anderen half, konnte er vielleicht ein wenig wiedergutmachen, was seinem kleinen Bruder passiert war. Gleich nach dem Studium bot ihm ein Freund einen Job an. Er besaß eine Firma, die Ärzte als Vertretung in Kliniken vermittelte. Er nahm den Job an. Als Vertretungsarzt arbeitete er immer dort, wo er gerade gebraucht wurde. Meistens blieb er nur ein paar Wochen an einem Ort. Er hatte sich an diesen Lebensstil gewöhnt. Und heute wollte er nur noch eines: zu seinem Apartment fahren und ins Bett fallen.

„Dr. …“

„Ty Smith.“ Er gab der Chirurgin die Hand.

Sie sah gut aus. Glänzende braune Haare, volle Lippen und ein ebenmäßiger Teint. Schade, dass sie so schroff war. Im Lauf der Jahre waren ihm viele solcher Menschen begegnet, aber diese Frau gewann den ersten Preis. „Wir haben uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Ty. Wie darf ich Sie nennen?“

„Dr. Ross.“

Brrr … Eine eisige Brise wehte ihm entgegen. Die Farbe ihrer Augen verstärkte diesen Eindruck noch. Normalerweise hatte er eine Schwäche für Frauen mit eisblauen Augen, aber bei ihr nicht. Er hatte auch mit anderen Ärzten zusammengearbeitet, die mit seiner lockeren Art nicht...