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Dr. Wallace vor den Altar, bitte!

Dr. Wallace vor den Altar, bitte!

Brenda Harlen

 

Verlag CORA Verlag, 2020

ISBN 9783733729332 , 130 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR

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Dr. Wallace vor den Altar, bitte!


 

1. KAPITEL

Nach sechs Jahren am Mercy Hospital wusste Dr. Justin Garrett, dass es am Freitagabend in der Notaufnahme hektisch und chaotisch zuging.

Silvester war es noch schlimmer.

Und wenn Silvester auf einen Freitag fiel … Nun, es war noch nicht einmal Mitternacht, und schon waren mehr als doppelt so viele Patienten in die Notaufnahme gekommen wie üblich, die meisten davon mit Verletzungen, die mit Alkoholkonsum zu tun hatten.

Ein betrunkener Collegestudent, der so hart mit der Faust gegen eine Wand geschlagen hatte, dass sein vierter und fünfter Mittelhandknochen gebrochen waren. Ein dreiundsechzigjähriger Mann, der seine Viagra-Dosis verdoppelt hatte, um Silvester mit seiner sechsunddreißigjährigen Freundin zu feiern und sich stattdessen einen Herzstillstand eingehandelt hatte. Ein siebzehnjähriges Mädchen, das vom Balkon gefallen war, weil das Ecstasy, das ihr Freund in den Drink geschüttet hatte, sie dazu gebracht hatte, die schönen Blumen auf der Terrasse der Nachbarn pflücken zu wollen. Gott sei Dank wohnte sie im zweiten Stockwerk. Trotzdem hatte sie sich das Schlüsselbein gebrochen, und die klaffende Wunde an ihrem Arm musste mit achtunddreißig Stichen genäht werden.

Und das waren nur die, die er sich in der vergangenen Stunde angesehen hatte. Und dann war da noch Nancy Anderson, eine Frau, die behauptete, sie sei ausgerutscht und in eine Tür gefallen. Er kannte sie. Sie kam regelmäßig mit Prellungen und Quetschungen in die Notaufnahme. Heute Nacht hatte sie ein blaues Auge, einen geschwollenen Kiefer und ein gebrochenes Handgelenk. Nancy war nicht betrunken, aber Justin hätte darauf gewettet, dass ihr Mann es war. Nicht wegen Silvester, sondern weil Ray Anderson – sobald er von der Arbeit nach Hause kam – immer zur Flasche griff.

Mehr als einmal hatte Justin versucht, ihr zu helfen, indem er ihr erklärt hatte, es gebe noch andere Möglichkeiten. Sie weigerte sich, ihm zuzuhören. Weil er begriff, dass eine Frau, deren Mann sie misshandelte, sich nicht gern einem anderen Mann anvertraute, hatte er eine Ärztin geholt. Doch das Resultat war dasselbe gewesen. Nach Thanksgiving – Nancy hatte, nachdem sie „die Treppe hinuntergefallen“ war, eine Fehlgeburt erlitten – hatte Dr. Wallace vorgeschlagen, mit einem Rechtsanwalt zu reden. Nancy Anderson behauptete aber weiter, sie sei ungeschickt, ihr Ehemann liebe sie und würde ihr nie etwas tun.

„Was soll dieses Mal passiert sein?“, fragte Callie Levine, eine seiner Lieblingsschwestern.

„In eine Tür gelaufen.“

Callie schüttelte den Kopf. „Irgendwann wird er sie umbringen.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Justin ihr zu.

„Als sie das Baby verloren hat, habe ich wirklich geglaubt, es sei so weit. Dass ihr Kummer größer sei als ihre Angst und sie endlich die Wahrheit sagen würde.“

„Sie ist die Treppe hinuntergefallen“, sagte Justin, um Callie an die Erklärung zu erinnern, die ihnen Nancy damals gegeben hatte.

Dann öffnete er eine andere Akte. „Hast du die Psychiatrie angerufen, damit sie jemand runterschicken?“

„Victoria Danes hat gesagt, sie komme gleich“, sagte Callie.

„Ich will, dass sie mit Tanner Northrop redet.“

„Ist das der Junge in Untersuchungszimmer zwei bei Dr. Wallace?“

„Ist Dr. Wallace noch drinnen?“ Er war Avery Wallace am frühen Abend im Aufenthaltsraum der Ärzte über den Weg gelaufen. Er hatte dringend Koffein gebraucht, und sie war in einem eng an liegenden schwarzen Kleid und High Heels hereingeschlendert. Ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen.

Sie hatte nicht mal in seine Richtung gesehen, als sie in die Umkleide der Frauen gegangen und einige Minuten später in einem abgetragenen OP-Kittel und Laufschuhen wieder herausgekommen war. Es spielte keine Rolle, dass die vertraute Kleidung ihre weiblichen Kurven verbarg; Justins Körper war sich ihrer Anwesenheit immer bewusst.

Sie war vor dreieinhalb Jahren nach Charisma gezogen, um am Mercy Hospital zu arbeiten. Seitdem hatte er sie recht gut kennengelernt, beruflich jedenfalls. Privat gab es nur dieses Knistern in der Luft, wenn sie sich begegneten.

Auch wenn sie heute Abend keinen Dienst hatte, hatte sie ihm heute Abend bei einer Operation assistiert. Er hatte angenommen, sie sei danach nach Hause gegangen. Offenbar hatte er sich geirrt.

Als Antwort auf seine Frage nickte Callie. „Sie bringt dem Kleinen ‚Go Fish‘ bei.“

Er lächelte, froh darüber, dass Tanner abgelenkt war. Der Achtjährige hatte den Notruf gewählt, nachdem seine Mutter sich einen größeren Schuss Heroin gegönnt hatte und nicht mehr aufgewacht war. Sie war noch immer nicht zu sich gekommen, und Tanner schien nicht zu wissen, ob er andere Verwandte hatte.

„Schick Victoria zu ihm, wenn sie kommt“, sagte er. „Ich sehe mal nach, wie es Mrs. Anderson geht.“

„Viel Glück dabei!“

Natürlich war es Pech, dass er die Tür zu Untersuchungsraum vier in dem Moment betrat, als die Psychologin kam.

„Was macht sie hier?“, wollte Nancy Anderson wissen.

„Sie ist nicht Ihretwegen hier“, versicherte Justin. Dann wandte er sich an Victoria: „Untersuchungsraum zwei.“

„Danke.“ Die Psychologin ging; die Patientin legte das Kühlpad auf ihren Kiefer zurück.

„Wollen Sie heute noch nach Hause zurück?“, fragte Justin sie.

„Natürlich.“

„Soll jemand ein Taxi für Sie rufen?“

Nancy schüttelte den Kopf. „Ray wartet draußen auf mich.“

Er füllte ein Rezept aus und gab es ihr. „Schmerzmittel für das Handgelenk.“

„Danke.“

Er hätte noch mehr sagen können, aber er nickte bloß und verließ das Zimmer.

„Kann ich davon ausgehen, dass es bald ruhiger wird?“, fragte die hübsche Brünette, als er in die Schwesternstation zurückkam. Sie arbeitete erst seit ein paar Monaten am Mercy, und er musste aufs Whiteboard schauen, um sich an ihren Namen zu erinnern: Heather.

„Eher nicht“, riet ihr Justin.

„Was ist mit dem Kerl in Untersuchungsraum drei los?“, fragte Heather. „Können wir das Zimmer bald wieder benutzen?“

Er schüttelte den Kopf. „Sehr wahrscheinlich eine Alkoholvergiftung. Ich warte auf seine Werte.“ In der Zwischenzeit hing der Patient an einem Tropf mit Kochsalzlösung.

„Wo wir schon von Alkohol sprechen“, sagte Heather. „Bei mir zu Hause liegt eine Flasche Champagner im Kühlschrank, um auf das neue Jahr anzustoßen, sobald ich hier fertig bin.“

„Sie wollen eine ganze Flasche Champagner allein austrinken?“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem verführerischen Lächeln. „Außer, wir teilen sie uns.“

Was von ihm als unschuldige Frage gemeint gewesen war, hatte sich für sie wohl so angehört, als sei er auf eine Einladung aus. Doch er war mit den Gedanken bei Nancy Anderson und Tanner Northrop gewesen.

„Ich habe das restliche Wochenende frei, und meine Mitbewohnerin ist in Florida“, fuhr Heather fort.

„Sie Glückliche!“, stellte er fest.

Sie berührte seinen Arm. „Wir könnten gemeinsam glücklich sein.“

Er trat einen Schritt vom Tresen zurück, sodass ihre Hand abrutschte, und beendete seine Aufzeichnungen, bevor er ihr die Patientenakte gab. „Tut mir leid“, sagte er, ohne es wirklich zu meinen. „Ich habe am Wochenende schon etwas vor.“

„Was ist mit heute?“, drängte sie. „Sie werden doch sicher nach Ende der Schicht um zwei Uhr nirgendwo erwartet?“

„Nein“, räumte er ein. „Aber es war ein langer Abend, und ich möchte nur nach Hause und ins Bett. Allein.“

Die Hoffnung verschwand aus ihrem Gesicht. „Callie sagt, Sie stehen auf Blondinen.“

Es überraschte ihn nicht, dass über ihn gesprochen wurde. Er wusste, die Schwestern tratschten oft über die Ärzte. Er wusste auch, dass sich einige der Schwestern weniger für die Patienten als für eine Ehe interessierten. Doch die Tatsache, dass sich Callie auf eine solche Unterhaltung eingelassen hatte, überraschte ihn. Innerlich notierte er sich, mit ihr zu reden. Wenn er schon den Klatsch nicht stoppen konnte, konnte er wenigstens um Diskretion bitten.

„Meine Antwort hat nichts mit Ihrer Haarfarbe zu tun“, versicherte er Heather. „Ich habe heute einfach keine Lust, mit jemandem zu feiern.“

Sie machte einen Schmollmund, wandte ihre Aufmerksamkeit aber wieder ihrer Arbeit zu.

Als er die Schwesternstation verließ, kam ein Anruf herein. Es hatte einen Verkehrsunfall gegeben, und die Sanitäter fragten nach, ob sie mehrere Verletzte in die Notaufnahme des Mercy bringen konnten. Justin vergaß den Klatsch und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge.

Avery Wallace rollte mit den Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Sie war Gynäkologin und kein Notarzt. Und so oder so hatte sie heute Abend keinen Dienst. Aber auf dem Weg zu einer Party bei Freunden hatte sie einen Anruf erhalten, dass eine ihrer Patientinnen in den Wehen lag und zum Mercy unterwegs war. Sie wusste, dass der diensthabende Arzt sich um die Geburt kümmern würde, doch die werdende Mutter – die Frau eines Soldaten, der außer Landes war – war allein und schrecklich aufgeregt wegen der Geburt ihres ersten Kindes.

Avery hatte nicht gezögert, den Abstecher ins Krankenhaus zu machen. Nachdem sie Amy Seabrock – ihre Freundin und Kollegin, die sie eingeladen hatte – eine SMS geschrieben hatte, hatte sie ihr Kleid gegen Kittel und Laufschuhe...