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Hitlers Spion, Österreichs Stimme - Die zwei Leben des Wilhelm Hendricks-Hamburger (1917-2011)

Hitlers Spion, Österreichs Stimme - Die zwei Leben des Wilhelm Hendricks-Hamburger (1917-2011)

Erwin A. Schmidl

 

Verlag Studienverlag, 2020

ISBN 9783706560207 , 360 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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27,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Hitlers Spion, Österreichs Stimme - Die zwei Leben des Wilhelm Hendricks-Hamburger (1917-2011)


 

Einleitung


Dr. Wilhelm „Willy“ Hamburger, später Hendricks (1917–2011), stammt aus einer bedeutenden österreichischen Industriellenfamilie und gehört sicher zu den bemerkenswerten, aber dennoch kaum bekannten Gestalten der österreichischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Als Historiker hatte er 1940 über die politische Neuordnung des arabischen Raums dissertiert und erschien dadurch qualifiziert, als Offizier der deutschen Abwehr, d. h. des militärischen Geheimdienstes, in Istanbul eingesetzt zu sein. In der neutralen Türkei – wo ihm Informationen von allen Seiten zugänglich waren – distanzierte er sich zunehmend vom nationalsozialistischen Regime, hatte seit 1942/43 Kontakte zuerst zum deutschen und dann zum sich formierenden österreichischen Widerstand und zu Vertretern britischer und amerikanischer Geheimdienste, die in Istanbul ebenfalls aktiv waren. Ein Autor charakterisierte die Stadt am Bosporus, in Anspielung an den bekannten Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman von 1942, als das „wahre Casablanca“ („True-Life Casablanca“) dieses Krieges.1 Im Februar 1944 lief Hamburger schließlich zu den Alliierten über, um einer Verhaftung durch den deutschen Sicherheitsdienst zu entgehen. Nach Befragungen durch den britischen Geheimdienst wirkte er beim britischen Hauptquartier in Kairo, wo er Rundfunksendungen verfasste und teilweise selbst sprach, die sich an Österreicher – „Ostmärker“ – in der Wehrmacht richteten und in denen er sie aufrief, zu desertieren und an Österreichs Zukunft zu glauben. Anfang 1946 kehrte er nach Österreich zurück, wo man dem „Verräter“ aber ablehnend gegenüberstand. Schließlich begann Dr. Wilhelm Hendricks, wie er sich fortan unter Benützung seines britischen Decknamens aus der Kriegszeit nannte, eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft und entwickelte sich zum international anerkannten Experten für Gegengeschäfte – man nannte ihn „Kaiser Wilhelm of the Switches“.

Ich selbst kam erst 2008 – im Zuge von Forschungen zu einem anderen Thema – mit Dr. Hendricks in Kontakt und konnte in den folgenden Jahren, bis zu seinem Tod 2011, mehrere Gespräche mit ihm führen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters war er bis zuletzt geistig klar und verfügte über ein bemerkenswertes Erinnerungsvermögen. Seine Erinnerungen habe ich durch archivalische Quellen und Angaben in der Literatur zu überprüfen und zu ergänzen gesucht. Dennoch bleiben einige offene Fragen – so ist unklar, wie lange und in welcher Weise er nach 1945 für den US-Geheimdienst gearbeitet hat (es gibt nur die Angabe, dass er 1946 zwei Monate „probeweise“ verwendet wurde). Vor allem aber wissen wir nicht, warum er Ende 1944 von seiner Propagandatätigkeit in Kairo abberufen und fast ein Jahr lang in Khartum interniert wurde. Er selbst hatte dafür keine Erklärung, und auch die Akten konnten diesen Punkt seiner Biografie bisher nicht erhellen.

Als hilfreich für die Arbeit erwies sich, dass er viele Schriftstücke und Unterlagen noch bei sich hatte. Darunter befanden sich die Manuskripte zu den Rundfunksendungen, die er in Kairo für die britische Kriegspropaganda verfasst hatte. Diese erschienen mir als Quelle interessant genug, sie zu edieren – und damit entstand die Idee zu diesem Buch.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile.

Der erste Teil schildert das ereignisreiche Leben dieses Österreichers, der – als studierter Historiker – im Zweiten Weltkrieg zunächst für die deutsche Abwehr und dann für die Alliierten tätig war. Dabei liegt das Schwergewicht naturgemäß auf den Kriegsjahren, doch ist es für die Annäherung an seine Persönlichkeit notwendig, seine Familie und seine Jugend ebenso zu schildern wie – wenigstens kursorisch – sein weiteres Leben nach dem Krieg zu skizzieren.

Die meisten Angehörigen des „österreichischen Exils“ waren Menschen, die 1938 aus rassischen oder politischen Gründen vertrieben wurden oder gerade noch entkommen konnten.2 Dr. Hendricks-Hamburger war hingegen keineswegs von vornherein einer Opposition – weder national-konservativer noch „antifaschistischer“ Observanz – gegen den Nationalsozialismus zuzurechnen. Im Gegenteil: Sein Vater war 1935 wegen Unterstützung der illegalen Nationalsozialisten zu lebenslangem Kerker verurteilt worden. Der Sohn musste daraufhin die Schule verlassen und schloss das Gymnasium schließlich im Exil in Berlin ab. Als Sohn eines „Alten Kämpfers“ wurde er von NS-Institutionen betreut und unterstützt und erwartete wohl nicht grundlos, in der Folge in diesem System Karriere zu machen. Dass er durchaus kritische Distanz zu den herrschenden Verhältnissen bewahrte, war zu dieser Zeit wohl mehr in jugendlicher Aufmüpfigkeit als in einer österreichischen Identität begründet. Gerade das macht seinen Gesinnungswechsel im Laufe der Kriegsjahre so interessant.

In seiner Position als Mitarbeiter des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, der „Abwehr“, in Istanbul war er zweifellos besonders privilegiert – einerseits weil er, anders als die meisten seiner Altersgenossen, der direkten Gefahr im Krieg entzogen war, und andererseits durch den Zugang zu Informationen aus aller Welt in der neutralen und faszinierenden Weltstadt am Bosporus. Dies ermöglichte und förderte seine zunehmende kritische Distanz zum Dritten Reich und führte letztlich zum Entschluss, sich zuerst für den Widerstand gegen das NS-Regime zu engagieren und in weiterer Folge für ein künftiges freies Österreich zu begeistern. Die Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 mit der Ankündigung der Wiederherstellung Österreichs begrüßte er als wichtiges Signal – und schickte aus lauter Freude den Damen der österreichischen Kolonie Blumen.

Dieses Verhalten blieb nicht unbemerkt – insbesondere der deutsche Sicherheitsdienst (SD), der neben und in Konkurrenz mit der militärischen Abwehr in Istanbul tätige politische Geheimdienst des SS-Apparats, forderte seit 1942 seine Rückberufung oder sogar Verhaftung. Angesichts seiner drohenden gewaltsamen Verbringung ins Deutsche Reich entschloss sich Dr. Hamburger schließlich im Februar 1944, zu den Alliierten überzulaufen, wo er den Decknamen „Hendricks“ erhielt (den er ab 1946 auch in Österreich führte). Nach seinen Einvernahmen durch den britischen Geheimdienst in Kairo engagierte er sich für die alliierte Rundfunk-Propaganda. Damit gehörte er zweifellos zu jenen Österreichern, die im letzten Kriegsjahr ihren Anteil zur Befreiung Österreichs geleistet hatten, wie er in der Moskauer Deklaration eingefordert worden war.

Wertfrei betrachtet, war der deutsche Geheimdienst-Offizier Dr. Wilhelm Hendricks-Hamburger natürlich ein Deserteur und Überläufer – sein Handeln ist nur unter Bezug auf das damalige Regime und die damaligen Bedingungen zu verstehen und zu würdigen. Er selbst sah sich als patriotischen Österreicher im Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, der für die Wiedererrichtung eines freien Österreichs eintrat. Der Widerstand in Österreich hat aber – anders als in anderen Staaten – „keinen Mythos gezeugt“, was der Salzburger Historiker Ernst Hanisch mit der heimischen Tradition der „Untertanentugend“ zu erklären suchte, die „Nonkonformismus und Dissidententum selten akzeptiert“ habe. Sein jüngerer Kollege Peter Pirker meinte, die Tätigkeit für die Alliierten „wurde […] von den Wehrmachtsveteranen als ‚Verrat‘ des Vaterlandes denunziert, von linken Widerstandskämpfern als unpatriotische Packelei mit dem Imperialismus angeprangert, während rechtskonservative Politiker und Meinungsmacher von der amerikanischen Kultur und Politik ohnedies wenig hielten“. Und in den von Christoph Hatschek bearbeiteten Aufzeichnungen Alfred Paliseks über Österreicher in französischen Diensten hieß es, dass sie sich nach ihrer Rückkehr „vielfach nicht nur den Anfeindungen durch die Bevölkerung, sondern auch wiederholt dem Unverständnis der amtlichen österreichischen Behörden ausgesetzt“ sahen.3 Auch für Deutschland konstatierte kein Geringerer als Klemens von Klemperer (1916–2012), dass der Widerstand (bis auf das „jährliche offizielle Gedenkritual“ zum 20. Juli) „nur in relativ geringem Maße in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen“ sei.4

Jedenfalls kann es kaum überraschen, dass Hendricks-Hamburger nach 1945 in seiner Heimat als „Verräter“ nur wenig Freunde fand, obwohl sein Handeln durchaus im Sinne des Selbstverständnisses der Zweiten Republik lag. Alfons Freiherr von Stillfried und Rathenitz (1887–1974), der in Wien im Widerstand aktiv war, meinte später, dass „Widerständler oder Freiheitskämpfer unbequem, unbeliebt und unerwünscht [waren], und zwar bei allen“.5 Dementsprechend wurde Hendricks-Hamburger aus dem Staatsdienst, in den er 1946 eintrat, schnell hinausintrigiert und widmete sich in der Folge einer ebenso schillernden wie erfolgreichen Karriere in der Wirtschaft.

Sein Leben...