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Die Geschichte von Lili Elbe - Ein Mensch wechselt sein Geschlecht

Die Geschichte von Lili Elbe - Ein Mensch wechselt sein Geschlecht

Harald Neckelmann

 

Verlag BeBra Verlag, 2020

ISBN 9783839301401 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Die Geschichte von Lili Elbe - Ein Mensch wechselt sein Geschlecht


 

Vorwort zur
Neuausgabe


Das Schicksal des dänischen Malers Einar Wegener, der sich Anfang der 1930er Jahre zu einer geschlechtsangleichenden Operation entschloss, um fortan unter dem Namen Lili Elbe als Frau weiterzuleben, erregte schon unter den Zeitgenossen großes Aufsehen. Weltweit war das Publikum fasziniert von einer Geschichte, die aus einem schillernden Künstlerdasein in der Pariser Boheme an das berühmte Berliner Institut für Sexualwissenschaft unter der Leitung Magnus Hirschfelds und zum renommierten Mediziner Kurt Warnekros an die Dresdner Frauenklinik führte. Das 1931 erschienene Buch »Lili Elbe – Ein Mensch wechselt sein Geschlecht« wurde zum internationalen Beststeller. Es liegt nun, beinahe neunzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, wieder auf Deutsch vor.

* * *

1882 wird Lili Elbe im dänischen Vejle als Einar Mogens Andreas Wegener geboren. Mit 19 Jahren beginnt dieser ein Studium an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen, wo er die vier Jahre jüngere Gerda Marie Frederikke Gottlieb kennenlernt. Nach ihrer Heirat führen sie in der europäischen Kunstavantgarde ein bewegtes Leben zwischen Dänemark, Frankreich und Italien. Scheinbar ideale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere als Kunstschaffende und eine harmonische Ehe – wenn diese nicht von einem quälenden Identitätskonflikt Einars zunehmend verschattet würde. Auslöser ist ein harmloser »Spaß«, ein spontaner »Künstlereinfall«, wie es im Buch heißt. In Ermangelung eines weiblichen Modells überredet Gerda ihren Mann, ihr Modell zu stehen, geschminkt und ausstaffiert als Frau. Aus Einar wird Lili – mit anfangs nicht absehbaren Folgen: »So entstand Lili … und bei dem Namen ist es dann geblieben … Und nicht nur bei dem Namen …«

Lili, die anfangs nur als Modell für Gerdas Bilder, später auch als mondäner Feiergast auftritt, etabliert sich bald als beliebte Gesprächs- und Ateliergefährtin von Gerda. Das Paar merkt, dass »Lili« bald keine bloße Verkleidung mehr ist, die Einar je nach Lust und Laune an- und ablegen kann. Lili agiert in seinem Leben nun als ganz eigenständige, von Einar nicht nur durch Äußerlichkeiten, sondern auch im Wesen völlig verschiedene Person: »Allmählich bekam Lili über Einar die Übermacht, derart, dass man sie in ihm noch spüren konnte, selbst wenn sie sich … zurückgezogen hatte, aber niemals umgekehrt. Während er sich müde fühlte und dem Tode verfallen schien, war Lili froh und lebensfrisch.«

Es folgt eine krisenhafte Zeit, die sich bald in einen ernsten, beinahe lebensbedrohlichen Identitätskonflikt zuspitzt. Nach einer ermüdenden Odyssee zu verschiedenen Ärzten, in der er immer wieder auf Unverständnis, teilweise gar Ablehnung trifft, setzt Einar sich schließlich sogar ein Datum für seinen Freitod: »Ich sagte mir: da mein Fall bis jetzt in der Geschichte der ärztlichen Kunst unbekannt ist, so existiert er einfach nicht, durfte er einfach nicht existieren. Mein und damit auch Lilis Todesurteil war gefällt. Jetzt galt es nur noch, auf eine möglichst anständige und geräuschlose Weise Geduld zu haben, bis die kurze Frist, die ich mir selber gesetzt hatte, ausgelaufen war.«

 

Lili Elbe, gemalt von Gerda Wegener, ca. 1928.

 

Doch dazu kommt es nicht. Durch eine glückliche Vermittlung von Freunden konsultiert Einar Wegener den deutschen Arzt Kurt Warnekros, einen renommierten Spezialisten für kosmetische Chirurgie. Warnekros vermutet, dass Wegener »sowohl männliche wie weibliche Organe« besitzt und rät zu einer geschlechtsangleichenden Operation, die zur Lösung des peinigenden Konflikts führen soll. Einar Wegener willigt in Warnekros’ Vorschlag ein: »Seine letzte Hoffnung war, zu sterben, damit Lili zu einem neuen Leben erwachen könnte.«

Mit der Entscheidung Einar Wegeners, den von Warnekros aufgezeigten Weg der geschlechtsangleichenden Operation einzuschlagen, wird aus dem privaten Identitätskonflikt ein aufsehenerregendes Ereignis, eine medizinische Sensation.

* * *

Einar Wegener wird von Warnekros zuerst an das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin vermittelt, eine der ersten Stationen zu seiner operativen Geschlechtsangleichung. Das Institut wird von Magnus Hirschfeld 1919 in einer großen dreistöckigen Villa im nördlichen Teil des Tiergartens gegründet. Es ist die erste derartige Einrichtung weltweit, am Eingang prangt in goldenen Lettern: »Dolori et Amori Sacrum« (Dem Schmerz und der Liebe gewidmet). Hirschfeld eröffnet dort die erste Sexualberatungsstelle Deutschlands, in der neben eugenischer Eheberatung auch Homosexuelle, Transvestiten und sogenannte Hermaphroditen beraten werden. Im Institut gibt es außerdem von Beginn an eine röntgenologische, psychotherapeutische und venerologische, später auch eine sexualchirurgische und -forensische Abteilung. Dort wird geforscht, beraten, therapiert und begutachtet, und, nicht zu vergessen, vor allem für ein modernes Sexualstrafrecht gekämpft. Obwohl uns viele der damals vertretenen Ansichten und angewendeten medizinischen Praktiken heute befremden würden, ist das Institut eine richtungsweisende Einrichtung für die Weimarer Zeit. Viele der renommiertesten Ärzte und Psychologen aus dem In- und Ausland treffen sich dort zu Tagungen oder zu Hospitationen. Das Institut dient aber auch als Raum für Begegnungen und Erfahrungsaustausch, Hirschfeld nennt es deshalb Zufluchtsstätte, was unter anderem zur Gründung der ersten Transvestitenorganisation führt. Am Nachmittagstee im Institut nehmen die meisten Mitarbeiter, die dort lebenden Patienten sowie auswärtige Freunde und Gäste, wie der Schriftsteller Christopher Isherwood, teil. Nach Kaffee und Kuchen »werden die mitgebrachten Handarbeiten hervorgeholt, man häkelt, strickt, stickt und näht« (Hirschfeld).

 

Das Institut für Sexualwissenschaft im Berliner Tiergarten.

 

Neben diesen eher betulich anmutenden Treffen, die vor allem dem persönlichen Austausch dienen, spielt auch das rauschende Nachtleben Berlins eine entscheidende Rolle für die Toleranz und Sichtbarmachung aller sexuellen Identitäten. In den »Goldenen Zwanziger Jahren« wird die Stadt Berlin zum Inbegriff einer neuen Zeit. Die frühe Sexualwissenschaft erlebt einen Höhepunkt auch in einer sichtbareren Vielfalt von persönlicher Identität, Geschlechtlichkeit und Sexualität. In Kabaretts, Zirkussen und Varieté-Theatern treten Imitatoren auf, die als Männer oder Frauen verkleidet viele Besucher anziehen. Transvestitenbälle finden statt. Curt Morecks »Führer durch das Lasterhafte Berlin« (1931) berichtet, dass die »Reiseagentur Cook« ihre Kunden in diese Lokale führt »wie in ein Raritätenkabinett, denn diese Zustände gehören zu den Sehenswürdigkeiten von Berlin.« Das »Eldorado«, das berühmteste Transvestitenlokal Berlins, wird auch von vielen Heterosexuellen besucht, die im Nachtleben unterwegs sind.

 

Umschlag der deutschen Erstausgabe von 1932.

 

Dieses öffentliche Interesse fördert die Veröffentlichung mehrerer angeblicher Memoiren oder Biographien über das Leben von Männern und Frauen, die die geschlechtliche Identität des anderen Geschlechts angenommen haben und zum Verständnis der Nöte und Schwierigkeiten der sexuellen »Zwischenstufen« (Hirschfeld) beitragen. Von der liberalen Presse Berlins werden diese Publikationen positiv aufgenommen. Ein frühes Beispiel ist Émile Zolas »Roman eines Konträrsexuellen« (1899), der einen jungen italienischen Adligen aus den 1880er Jahren als Titelhelden hat.

1907 erscheinen gleich zwei Veröffentlichungen mit transsexuellen Protagonisten: Unter dem Pseudonym »N. O. Body« erscheint das Buch »Aus eines Mannes Mädchenjahren«, in dem die Kindheit und Jugend von Karl M. Baer (1884–1956) erzählt wird, der mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren und als Mädchen bestimmt und aufgezogen wird. Als junge Frau unterzieht sich Baer bei Magnus Hirschfeld einer Geschlechtskorrektur und lebt fortan mit neuer Identität als Mann. Walter Homann veröffentlicht das »Tagebuch einer männlichen Braut«, das die eigenen Erfahrungen des Autors in einer fiktiven Geschichte erzählt. Gleichzeitig verarbeitet das Buch auch das Schicksal der »Comtesse Dina Alma de Paradeda«, die für Hirschfeld als Paradebeispiel eines Transvestiten gilt.

* * *

Auch Lili Elbe weiß um die Bedeutung ihrer lebensverändernden Entscheidung zu einem für die damalige Medizin neuartigen und riskanten Eingriff. In Dresden, der Stadt ihrer »Frauwerdung«, beschließt sie, durchaus mit Sendungsbewusstsein, ebenfalls ein Buch über ihr Leben zu veröffentlichen, »als die Beichte des ersten Menschen, der nicht unbewusst durch einer Mutter Schmerzen geboren wurde, sondern vollbewusst durch eigene Schmerzen.« Sie will damit die Öffentlichkeit in ganz intimer Weise an ihrem Schicksal teilhaben lassen. Mit Hilfe des jüdischen Schriftstellers, Übersetzers und Journalisten Ernst Harthern stellt sie ihre Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Erlebnisse zusammen.

 

Brief Lili Elbes aus Dresden an Ernst Harthern (Niels Hoyer),...