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Von Grund auf - Eine Reise zur Neuausrichtung des amerikanischen Versprechens

Von Grund auf - Eine Reise zur Neuausrichtung des amerikanischen Versprechens

Joanne Gordon, Howard Schultz

 

Verlag Wiley-VCH, 2020

ISBN 9783527828005 , 520 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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21,99 EUR

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Von Grund auf - Eine Reise zur Neuausrichtung des amerikanischen Versprechens


 

Vorwort


Das Treppenhaus war mein Zufluchtsort.

Die meisten Leute in dem Wohnblock nahmen den Aufzug, sofern er nicht außer Betrieb war. Aber selbst dann ging niemand die Stufen zum Dach hinauf. Deshalb saß ich dort.

An manchen Tagen leistete mir mein bester Freund Billy Gesellschaft. Doch meistens saß ich allein dort, wenn es zuhause zu chaotisch wurde. Mein Zimmer mit Blick auf einen Parkplatz war keine Alternative – ich teilte es mit meinen jüngeren Geschwistern – und unsere Wohnung war so klein und die Stimmen meiner Eltern waren so laut, dass ich ihnen selbst unter meinen Laken nicht entkommen konnte. Aber wenn ich auf diesen Stufen saß, fühlte ich mich sicher. Dieser Ort war meine Zuflucht. Ein urbanes Nest.

Im Treppenhaus war es nicht still. Ich konnte immer noch Menschen streiten, schwere Türen zuschlagen oder das donnernde Gepolter von anderen Kindern, die die Stufen auf den unteren Etagen hoch und runter stapften, hören. Die Geräusche prallten an den Betonwänden der leeren Flure ab und hallten in meinen Ohren wider. Aber in diesem Treppenhaus fand ich ein wenig Ruhe. Und auch wenn ich manchmal weinte, so dachte ich doch meistens darüber nach, Basketball zu spielen, oder über die Yankees – und die Möglichkeit, ein beidhändiger Hitter wie Mickey Mantle zu werden. Als ich älter wurde, saß ich auf den Stufen und träumte davon, von Zuhause auszuziehen. Ich stellte mir ein Leben jenseits der Grenzen meiner Kindheit vor. Es war schwierig, es mir bildlich vorzustellen, aber ich wusste, was ich fühlen wollte. Ich wollte das Unbehagen abwerfen, das mich befallen konnte, wenn ich die Tür zu der Wohnung 7G öffnete.

Ich war drei Jahre alt, als wir in die beengte Dreizimmerwohnung in der Sozialwohnungssiedlung Bayview in Canarsie zogen, die in dem Landstrich eines ehemaligen Sumpfgebiets im südöstlichen Zipfel von Brooklyn lag. Im Jahr 1956 gehörte meine Familie zu den über eintausend Haushalten mit geringem Einkommen, die die Voraussetzungen erfüllten, um in diesen brandneuen Ziegelsteingebäuden zu wohnen, die von der Behörde für Sozialen Wohnungsbau der Stadt New York erbaut worden waren. Dies war eine neue Alternative zu den verfallenden Elendsvierteln in der Stadt. Siedlungen wie Bayview wurden nicht als Sackgasse konzipiert, sondern als Starthilfe. Mir war nicht ganz klar, was das für mich bedeutete. Über die Jahre hinweg versuchte meine Mutter mir zu vermitteln, dass es jenseits von Canarsie und in meiner Reichweite etwas Besseres gäbe, aber das war nur schwer vorstellbar. Was ich aber jeden Tag sah, war mein Vater, der so viel Zeit auf dem Sofa liegend verbrachte, dass meine Mutter ihm den Spitznamen Herr Horizontal gab. Der Geruch seines Unwohlseins und seiner Verdrossenheit – mit sich selbst, mit uns, mit seinen Chefs, die ich nie kennenlernte, mit einem System, das ich nicht verstand – drang in die Struktur unseres Familienlebens ein.

In dem Treppenhaus schaffte ich ein wenig Abstand zwischen mir und der erstickenden Atmosphäre zuhause. Wenn ich, gehüllt in gedämpftes Licht, auf den kalten, harten Stufen saß, empfand ich etwas Ruhe. Doch ich hatte Mühe, hinter die Betonmauern zu schauen, die mich umgaben.

Canarsie, Brooklyn, war und ist nach wie vor die Endstation der U-Bahn-Linie L von New York City. Während ich auf der Treppe saß, nahm die Vorstellung dessen, was jenseits meiner kleinen Welt auf mich warten könnte, in meiner Fantasie Form an.

Mein ganzes Leben lang wurde ich von Kindheitserinnerungen verfolgt und angetrieben. An meinem Vater sah ich, was aus einem Leben werden kann, wenn eine Person ihrer Würde beraubt wird. Meine Mutter hatte mir den Glauben daran vermittelt, dass die Endstation der U-Bahn-Linie nicht die Endhaltestelle meines Lebens sein würde, sondern dass ich arbeiten und lernen und planen und meinen Weg aus dem Ort, in den ich hineingeboren worden war, hinaus träumen könnte.

Die nebeneinanderstehenden Kräfte eines Vaters, der weniger hatte als er wollte, und einer Mutter, die mehr für ihren Sohn wollte, spornten mich letztendlich an, mir eine andere Zukunft für mich selbst vorzustellen und meine Welt nicht so zu sehen, wie sie war, sondern wie sie sein könnte. Daraus wurde eine lebenslange Gewohnheit. Und in mancher Hinsicht ist das die Geschichte, die ich in diesem Buch zu erzählen versucht habe: Wie können wir alle eine bessere Zukunft konzipieren, indem wir aus der Vergangenheit mit so viel Klarheit und Weisheit wie möglich lernen, und den Willen aufbringen und alles Notwendige tun, um diese Zukunft in die Tat umzusetzen. Das ist bis heute die Reise meines Lebens.

Das Treppenhaus war der erste Ort, an dem meiner Fantasie Flügel wuchsen, aber nicht der letzte. Als ich Mitte der 1980er Jahre mein erstes Geschäft gründete, inspirierten mich alte und sogar uralte Einflüsse: Kaffee, der seit Jahrhunderten konsumiert wird, und auch das menschliche Bedürfnis nach Beziehungen und Gemeinschaft, das in unserer DNA angelegt ist. Ich malte mir eine andere Art und Weise aus, wie man diese Dinge miteinander verbinden könnte: Starbucks Stores. Als ich meine ersten Espresso-Bars eröffnete, wollte ich Orte schaffen, an denen Menschen dem Alltagschaos entfliehen und ein Gefühl der Zugehörigkeit finden könnten. Über vierzig Jahre später ist ein Besuch bei Starbucks für Millionen Menschen in mehr als siebenundsiebzig Ländern zur Routine und Ruhepause geworden. Neben Zuhause und Arbeitsstelle sind Starbucks Stores als »dritter Ort« bekannt geworden.

Für mich ist das Konzept eines »dritten Ortes« nicht einfach etwas, das innerhalb von vier Wänden existiert. Es ist eine Geisteshaltung. Eine Art und Weise, in der Welt zu existieren. Aus ebendiesem Grund habe ich begonnen, ein gewinnbringendes Geschäft aufzubauen, das zugleich ein Kernethos ausdrückt: nämlich, dass Menschen aller Arten zusammenkommen und einander aufrichten können.

In dieser Hinsicht spiegeln Aspekte der Reise von Starbucks Aspekte der Reise Amerikas wider. Nicht weil das Land ein Geschäftsbetrieb ist, sondern weil das Geschäft des Landes immer der fortwährende Kampf war, die scheinbar miteinander konkurrierenden Prioritäten Menschlichkeit und Wohlstand im Gleichgewicht zu halten. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Bemühungen von Starbucks, ein anderes Unternehmen zu sein – eins, für das zu arbeiten mein eigener Vater als der Arbeiterklasse zugehörig nie die Chance hatte –, es wert sind, in diesem fragilen, doch verheißungsvollen Augenblick der Geschichte unseres Landes erzählt zu werden, in dem Wahrhaftigkeit und Achtung ein donnerndes Comeback starten müssen.

In gewisser Weise geht es auf diesen Seiten weniger um Starbucks und meine Kindheit als vielmehr um den Ort, an dem wir beide geboren wurden: die Vereinigten Staaten von Amerika. In den ineinander verschlungenen Erzählungen über meine Jugend und meine jüngsten Jahre bei Starbucks geht es um etwas viel Größeres. Es ist eine Geschichte über Neuerfindung und Erneuerung. Über Möglichkeiten. Über die Macht der Menschen, das Leben anderer wie auch ihr eigenes zu verändern. Es ist eine Geschichte darüber, was wir für uns selbst und füreinander tun können, und über unser aller Verantwortung, unsere gemeinsame Zukunft neu zu konzipieren. Und neu konzipieren müssen wir sie.

Ideale, auf denen unsere Nation gegründet wurde, darunter Gleichheit und Freiheit für alle, müssen immer noch vollständig verwirklicht werden. In einigen Winkeln sind sie in ihrer bloßen Existenz bedroht. Der Fortbestand der amerikanischen Demokratie ist auch noch keine ausgemachte Sache. Tatsächlich steht der amerikanische Traum, den ich gelebt habe und an den ich immer noch glaube – die Vorstellung, dass jeder die gleichen Chancen haben sollte, von Grund auf emporzusteigen –, an einem Scheidepunkt. Es müssen mehr Menschen eine faire Chance auf ihren Traum haben, wie bescheiden oder ehrgeizig diese Träume auch sein mögen, und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, darüber zu sprechen, wie diese Chancen für jedermann aussehen könnten. Gemeinsam haben wir das Potenzial, ein neues Konzept zu entwickeln und das Versprechen unseres Landes einzulösen, was hoffentlich in diesem Buch deutlich wird.

Letztlich habe ich Von Grund auf geschrieben, weil ich optimistisch in die Zukunft schaue und teilen wollte, was ich aus der Vergangenheit gelernt habe. Es handelt sich nicht um meine Memoiren, sondern um eine aufrichtige Betrachtung dessen, wie meine frühesten Erfahrungen – von denen ich einige bisher nicht öffentlich gemacht habe – das Leben durchdrungen und inspiriert haben, das ich geführt habe, nachdem ich das Treppenhaus erst einmal verlassen hatte und gen Westen gezogen war, jenseits von allem, was ich kannte, auf der Suche nach dem, was meiner Vorstellung nach möglich war. Und auch wenn es kein Wirtschaftsbuch ist, so handelt es sich doch um einen forschenden Blick hinter die Kulissen während der Reise einer Firma, um eine Antwort auf eine Schicksalsfrage unserer Zeit zu finden: Was können wir tun, um eine sinngebende Veränderung herbeizuführen und die angemessene, gerechte und sichere Zukunft zu erschaffen, die wir alle uns wünschen?

Ich hoffe, dass...