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Ich war Klaus Beimer - Mein Leben in der Lindenstraße

Ich war Klaus Beimer - Mein Leben in der Lindenstraße

Moritz A. Sachs

 

Verlag Edition Michael Fischer, 2020

ISBN 9783960939405

Format ePUB

Kopierschutz frei

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16,99 EUR

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Ich war Klaus Beimer - Mein Leben in der Lindenstraße


 

Prolog

Moritz, hast du deine Mails in den letzten Minuten gelesen? Die Lindenstraße wird abgesetzt! Die ARD wird gleich eine Pressemitteilung rausgeben.“

Es war Moritz Ziehlke, der mich am 16. November 2018 um 11 Uhr vormittags aufgeregt anrief. Man kennt ihn auch als Momo Sperling, langjähriger Protagonist ebender Serie, die nun eine Ende finden würde und deren Teil auch ich seit meinem siebten Lebensjahr war.

Die Nachricht kam aus heiterem Himmel.

Kurze Stille.

„Hallo“, fragte Moritz mich, „bist du noch da?“

Ich war noch da.

Und wie ich da war. Meine Gedanken rasten, und ich versuchte, das schlagartig aufkommende Chaos in meinem Kopf zurückzudrängen. Ich würde nun bald arbeitslos sein. Wir alle! Und viel schlimmer: Meine zweite Familie würde aus meinem Leben verschwinden. Mein berufliches und in großen Teilen auch emotionales Zuhause würde ab 2020 der Vergangenheit angehören. Kein Weg mehr ins Studio nach Köln-Bocklemünd, kein Kaffee in der Kantine. Keine Wohnung Beimer mehr. Kein „Klaus – oh, Entschuldigung, Moritz natürlich …“ seitens der Kollegen am Set. Nach 34 Jahren, die ich in der Lindenstraße verbracht hatte, war nun also Schluss. Wie es weitergehen würde, war mir nicht klar. Nur, dass alles kopfstehen würde, sobald die Presse­mitteilung rausging. Und das würde noch maximal eine Stunde auf sich warten lassen.

Ich fasste mich schnell, dankte Moritz für den Anruf, schaltete mein Telefon vorsichtshalber ab und machte mich wie immer mit dem Rad auf den Weg ins Studio. Ich wollte so schnell wie möglich sehen, wie es allen ging. Dringend musste ich mit unserer Presseabteilung und den Produzenten Hans und Hana Geißendörfer sprechen. Ohne Informationen aus erster Hand konnte und würde ich mich in der Öffentlichkeit nicht zu einer Absetzung der Lindenstraße äußern. Was sollte ich auch sagen? Dass ich es schade fand?

Vor Ort wurde ich von blassen Gesichtern empfangen. Alle schauten konsterniert und waren fassungslos, einige der Kolleginnen und Kollegen weinten sogar. Ich umarmte jeden, den ich sah, und landete schließlich mit unserem Produktionsleiter, der Pressechefin und mit Jack-Darstellerin Cosima Viola im Büro von Hans Geißendörfer. Seine Tochter Hana war ebenfalls anwesend. Gemeinsam berieten wir über das weitere Vorgehen.

Zeit, die Nachricht zu verdauen, würden wir nicht haben. Cosima und ich sollten einen Interviewmarathon hinlegen, der sich gewaschen hatte. Egal ob Radio Bremen, die Bild, Hier und heute, die Aktuelle Stunde oder die Tagesthemen, die Fragen waren immer die gleichen: Warum wird das Format abgesetzt? Warum jetzt? Wer hat das entschieden? Bis wann läuft die Lindenstraße noch? Wie erklärt man das den Fans? Und immer wieder: Wie wir uns fühlen würden.

All das war nicht leicht zu beantworten. Ich hatte keinen Schimmer, warum die Lindenstraße gerade jetzt abgesetzt werden sollte. Einiges hatten wir zwar im Gespräch mit den Produzenten erfahren können, aber Details kannten Cosima und ich nicht. Um ehrlich zu sein, stand ich auch etwas unter Schock. Immerhin hatten wir unser Format in den letzten Jahren im Rahmen von Qualitätskontrollen und Umstellungen im Sinne des Senders angepasst und stark modernisiert, die Zuschauerzahlen stabilisiert und sogar etwas steigern können. Ein passendes Jubiläum, das ein fulminantes Ende rechtfertigen würde, stand auch nicht an. Unsere Antwort war also immer die gleiche: Die Lindenstraße abzusetzen war eine Entscheidung der ARD. Wir begrüßten sie nicht, hatten aber keinen Einfluss darauf.

So erstaunlich wie traurig fand ich, dass niemand fragte, was denn mit den Mitarbeitern passieren würde. Bei Firmen- oder Standortschließungen ist das in der Presse sonst immer das Hauptthema. Bei uns interessierte dies erst mal niemanden. Dabei arbeiten auch bei einer Fernsehserie Menschen. In unserem Fall viele seit Jahrzehnten.

Erst um etwa 21 Uhr strichen Cosima und ich die Segel und gesellten uns zu unseren Kollegen in den Innenhof des Studiogebäudes, um auf uns alle anzustoßen. Wir feierten bis in den Morgen. Dass mein Leben sich nun umfassend ändern würde, war offenkundig. Aber das sollte mir, uns allen, an diesem Abend noch einmal egal sein.

Und nun sitze ich hier in meinem kleinen Garten am Rande von Köln an einem vermosten Holztisch, dort, wo ich Sommer wie Winter, mal in kurzen Hosen, mal im Schneeanzug, Drehbücher gelesen habe, und schreibe über mein Leben mit Klaus. Wenn ich mit dem letzten Kapitel fertig bin, wird er bereits zu meiner Vergangenheit gehören.

Ich bin mit und als Klaus Beimer erwachsen geworden. Seit ich sieben war, spielte er in meinem Leben eine Hauptrolle. Ich bin aufgewachsen in der Öffentlichkeit; alle beruflichen und viele private Entscheidungen in meinem Leben sind sehr eng mit meiner Rolle Klaus verbunden, wenn nicht sogar direkt und ausschließlich dem Job in der Dauerserie Lindenstraße geschuldet.

Es gibt mich zwar als private Person. Es gibt mich aber auch und untrennbar als Klaus, als Schauspieler, als Person, die sich nicht erinnern kann, einmal nicht in der Öffentlichkeit gestanden zu haben. Ich bin mir sicher, dass es mir sehr schwerfallen wird loszulassen. Umso mehr freue ich mich darauf, beim Schreiben all die Jahre und Erlebnisse nochmals durchleben zu können. Mich an Situationen zu erinnern, die längst verblasst sind. Ich habe vergilbte Fotos herausgekramt, mit Kollegen und Familie gesprochen, alte Folgen geschaut und vergilbte Drehbücher nochmals zur Hand genommen.

Klaus und ich, wir sind eins. Nun steht er an seinem Lebensende. Ihn zu verlieren wird für mich ebenso einschneidend sein, wie ihn 1985 in mein Leben gelassen zu haben.

Kapitel 1 Gesucht

Meine Schwester Susanne muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein, ich war fünf, als eine Fotografin durch den Kölner Volksgarten, einen Park mit See und Spielplatz, lief und auf uns aufmerksam wurde. Sie war auf der Suche nach Kindern, die sie in eine Kartei für Model- und TV-Auftritte aufnehmen konnte.

Anfang der 80er-Jahre gab es noch nicht allzu viele Schauspielagenturen, und für Kinder existierten gar keine, denn der Bedarf an Jungschauspielern war eher gering. Die Fernsehsender konnte man an einer Hand abzählen. Sonderlich viel TV-Werbung wurde auch noch nicht gezeigt. Also wurden Eltern auf der Straße angesprochen, ob ihre Kinder fotografiert und als Polaroid mit Namen und Kontakt in einem Karteikasten gesammelt werden dürften. Dort konnten Produzenten und Caster suchen und fündig werden, wenn doch mal ein Kind gebraucht wurde. Auf so einer Mission war auch besagte Fotografin.

Wer denn das Mädchen da hinten im Sandkasten sei und zu wem es gehöre, fragte sie auf dem Spielplatz herum. „Die kleine Süße dahinten mit den goldenen Locken, die aussieht wie eine Miniaturversion eines blonden Jackson-Five-Mitglieds?“

Das war meine Schwester. Und meine Mutter meldete sich stolz. Das süße Kind dahinten? Da sagt man doch gerne mal, das ist meins. Und weil die Freude meiner Mutter über ein offensichtlich besonders süßes Kind groß genug war, sagte sie auch dazu Ja, das Foto meiner Schwester für eine Gebühr von zwei Mark in die Kartei aufnehmen zu lassen.

„Sagen Sie, der Junge dahinten auf dem Klettergerüst, zu wem gehört der? Wissen Sie das?“, fragte die Fotografin, nachdem sie die Münzen weggesteckt hatte. „Den würde ich auch gerne fotografieren.“

„Auch mein Kind“, antwortete meine nun noch stolzere Mutter.

Mutter Beimer hätte zu Hause wohl umgehend ein Dutzend Spiegeleier in die Pfanne gehauen. Denn egal, ob gut oder schlecht, jede aufregende Lebenssituation führte bei ihr unweigerlich zu den berühmten Spiegeleiern. Aber Helga Beimer, über Jahrzehnte die Mutter der Nation, existierte unvorstellbarerweise zu dieser Zeit noch nicht. Und auch der Junge, der dann im Park fotografiert und archiviert wurde, war nicht Klausi. Er war ich.

Denn die Lindenstraße lebte 1983 noch einzig im Kopf von Hans Geißendörfer, ihrem Erfinder und Produzenten. Weder Finanzierung noch Sender, geschweige denn ein Sendeplatz standen fest. Nicht einmal ihren Namen hatte die Serie.

Hätte es damals schon Kinderschauspielagenturen gegeben, wäre ich sicherlich nie zur Lindenstraße gekommen. Denn dort muss man sich aktiv bewerben, und das wäre meinen Eltern niemals in den Sinn gekommen. So aber sollte mein Leben eine besondere Wendung nehmen. Welche Folgen diese schicksalhafte Begegnung haben würde, war damals aber noch nicht im Entferntesten absehbar.

Für meine Mutter war es ein gelungener Tag. Dabei hielt sich die Aufregung, anders als es bei Helga gewesen wäre, sehr in Grenzen. Ihre Kinder wurden als süß angesehen. Das Mutterherz freute sich. Punkt. Also, Foto, noch mal zwei Mark – danke und tschüss. Das Ereignis geriet schnell in Vergessenheit, und tatsächlich meldete sich lange Zeit niemand.

Logisch. Es müssen Hunderte, wenn nicht Tausende Kinder gewesen sein, die in solche Karteien aufgenommen wurden. Sonst hätte sich der Aufwand für die Fotografen nicht gelohnt.

Keinesfalls also rechneten meine Eltern damit, was diese Fotos auslösen würden. Hätte meine Mutter geahnt, wie sehr dieser Tag mein Leben und das Leben meines Umfelds beeinflussen würde, sie hätte sich sicher zweimal überlegt, ob sie die zwei Mark investieren sollte.

Ich selbst kann mich kaum an eine Zeit vor der Lindenstraße erinnern. Was diesen Lebensabschnitt betrifft, muss ich den Erzählungen und Erinnerungen meiner Eltern vertrauen. Geboren wurde ich als Sohn zweier...