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Männer, Frauen und die Liebe - Eine kleine Psychologie der Geschlechterbeziehung

Männer, Frauen und die Liebe - Eine kleine Psychologie der Geschlechterbeziehung

Wilfried Nelles

 

Verlag Innenwelt Verlag, 2020

ISBN 9783947508341 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Männer, Frauen und die Liebe - Eine kleine Psychologie der Geschlechterbeziehung


 

Freie Liebe


Augen-Blicke


Ich war Anfang zwanzig, Student im dritten Semester und wie üblich am Wochenende zu Hause im Elternhaus. Seit einigen Wochen traf ich mich mit einem Mädchen – mal gingen wir ins Kino, mal auf eine Fete. Sie war wohl in mich verliebt, ich hingegen fand sie zwar ganz nett, wollte aber eigentlich nur etwas weibliche Gesellschaft. An diesem Samstag waren wir auf einer Schülerfete meines ehemaligen Gymnasiums. Ich weiß nicht mehr, wieso ich überhaupt dorthin gegangen bin – ich hatte nämlich beim Abitur geschworen, dieses Gebäude nie mehr zu betreten. Ich habe das auch dreißig Jahre lang nicht mehr getan. Aber an jenem Abend bin ich aus unerfindlichen Gründen – vielleicht weil meine Begleiterin es wollte – auf diesen Schülerball gegangen (er fand allerdings nicht im Schulgebäude statt, so dass ich es so gerade noch mit meinem Vorsatz vereinbaren konnte). Ich glaube, ich habe mich ziemlich gelangweilt. Es gibt allerdings einen Moment, an den ich mich immer noch erinnere: Ich tanzte mit meiner Partnerin und schaute plötzlich einem Mädchen in die Augen, das einige Meter entfernt mit ihrem Freund tanzte. Es waren nur wenige Sekunden, aber ich hatte das Gefühl, dass es entscheidende Sekunden waren.

Ich hatte dieses Mädchen schon einmal von weitem gesehen und von ihr gehört. Sie hatte noch eine ältere Schwester, die beiden gingen auf das benachbarte Mädchengymnasium, sahen fast wie Zwillinge aus und waren ausnehmend hübsch, so dass jeder Schüler sie kannte, aber an diesem Abend hatte ich sie (und sie mich) zum ersten Mal angeschaut. Danach habe ich meine Begleiterin nach Hause gebracht und mich nicht mehr mit ihr getroffen. Ich wusste jetzt, wen ich wirklich treffen wollte.

Zwei Wochen später war es so weit. Es gab eine Tanzveranstaltung in ihrem Wohnort, die ich mit organisiert hatte. Diesmal war ich ohne Begleiterin. Plötzlich sah ich sie und ihre Schwester. Ich wartete noch eine viertel oder eine halbe Stunde, dann machte ich mich auf den Weg, um sie zum Tanzen aufzufordern. Als ich an ihrem Tisch stand, saß da nur eine der beiden, und ich wusste plötzlich nicht mehr, ob es die Richtige war. Obwohl, wie ich bald erfahren sollte, in ihrem Wesen grundverschieden, waren die beiden äußerlich damals für mich kaum zu unterscheiden. Man musste ihnen schon in die Augen schauen. Nun gut, da ich zielstrebig auf sie zugesteuert war, konnte ich jetzt keinen Rückzieher machen. Also habe ich sie angesprochen und gefragt, ob sie mit mir tanzen möchte. Sie stimmte zwar zu, aber nach der Art, wie sie dies tat, konnte sie eigentlich nicht die Richtige sein – oder sollte ich mich vor zwei Wochen bei unserem Augen-Blick so getäuscht haben? Ein wenig verunsichert begann ich, mit ihr zu tanzen. Da sah ich die andere nach ein paar Minuten zu ihrem Platz zurückkommen. Sie schaute herüber, und ich wusste: Ich habe mich nicht getäuscht, sie war die Richtige. Als ich nach dem Tanz die beiden austauschte, schwand auch noch der letzte Rest eines Zweifels. Sie war die Richtige, und etwas in mir hat dies vom ersten Augen-Blick an gewusst.

Die Liebe ist frei – und zwingt uns


Was passiert da eigentlich? Wer oder was führt da Regie? Ich höre oder lese gelegentlich Sätze wie „Das entsprach nicht meinem Lebensplan“, und manche meinen, man müsste solche Pläne machen und empfehlen so etwas jungen Menschen. Mir ist das völlig fremd, ich habe keinen Lebensplan und bin froh darüber. Selbstverständlich haben wir Ideen, Vorstellungen, Wünsche, Träume und machen uns Gedanken, wie wir sie realisieren können.

Das ist nicht nur ganz normal, sondern auch wichtig, denn es bringt und hält uns in Bewegung und gibt uns eine Ausrichtung. Wenn die Wünsche oder Ideen diffus sind, bleibt auch unser Leben diffus, wenn wir nicht wissen, was wir wollen, stecken wir oft fest, kommen nicht in Bewegung oder drehen uns im Kreis. Wenn die Wünsche aber zum Plan werden, meinen wir insgeheim, das Leben müsste diesem Plan folgen. Das ist der Anfang von einem sehr verkrampften und stressigen Leben, denn jetzt wird potenziell alles schlecht oder gefährlich, was nicht nach Plan läuft. Aber Wünsche und Ideen sind das eine, was das Leben für uns bereithält, ist das andere. Und es richtet sich bestimmt nicht nach unserem Plan.

Das Leben ist kein Haus, das wir planen und konstruieren können, und ebenso wenig ist eine Beziehung eine Konstruktion. Eine Beziehung entsteht und wächst, sie folgt einer inneren, uns verborgenen Logik. Leben ist Wachstum. Die wichtigsten Dinge im Leben geschehen nicht nach Plan. Oft genug werfen sie sogar alle Pläne über den Haufen. Sie passieren, sie geschehen! Das erfahren wir nirgendwo deutlicher als in Liebesbeziehungen. Sie verdienen diesen Namen nur, wenn sie offen bleiben und sich nicht der Unberechenbarkeit des Lebens verschließen. Denn Unberechenbarkeit und Offenheit ist die Natur der Liebe. Das merkt man besonders am Anfang – sie kommt immer überraschend und ungeplant, und sie ist immer ein Geschehen und nichts, was wir machen.

Wenn einem die Liebe geschieht, wenn sie einem begegnet, kommt sie aus dem Unbekannten, zu ihrer Zeit, zu ihren Bedingungen. Nicht dass es immer die Liebe auf den ersten Blick sein muss, es kann auch der zweite oder dritte sein, es kann auch mit einer Frau oder einem Mann passieren, die oder den man seit Jahren kennt – plötzlich schaut man sich an, und etwas ist anders, etwas ist passiert oder passiert in diesem Moment, was all die Jahre nicht passiert ist und was man nie erwartet hätte. Welcher Ehemann sieht schon aus wie der Traumpartner, für den die Frau als Teenager geschwärmt hat?

Vielleicht gibt es gewisse Dinge, die man gut findet, gewisse Äußerlichkeiten, die einen schon immer mehr angezogen haben als anderes – aber dass es ausgerechnet der sein würde? Tatsache ist: Die Liebe kommt, wann sie will, mit wem und durch wen sie will und wie sie will. Wir sind ihr ausgeliefert. So war es von Anfang an, und so wird es immer bleiben. Das wollen wir aber nicht. Wir wollen nicht ausgeliefert sein. Was uns fehlt, was wir uns wünschen, wollen wir bekommen, uns vielleicht auch erarbeiten oder erkämpfen; und was wir einmal haben, wollen wir festhalten, unbedingt behalten. Und damit beginnt bereits der Kampf, und es könnte schon der Anfang vom Ende sein. Denn was wir festhalten können, ist nur die Hülle.

Die Liebe selbst ist freier als ein Vogel. Die Faust, die sie halten will, erdrückt sie, wenn sie ihr nicht im letzten Moment entwischt. Aber die Sehnsucht nach genau diesem Partner, das Bedürfnis nach Verbindung und Bindung, die Lust der Verschmelzung, der Wunsch nach Dauer und Ewigkeit ist auch Teil der Liebe, kommt uns mit ihr zugeflogen. Gestern noch wolltest du nichts als frei, ungebunden und unabhängig sein, und heute pfeifst du darauf, wenn du nur mit dem oder der Geliebten zusammen sein kannst. Also beginnen wir eine Beziehung. Manchmal wird daraus eine Ehe, dann ist die Liebe sozusagen amtlich. Ein Versprechen mit bindender Wirkung, sowohl äußerlich als auch innerlich.

Manche meinen, mit einer festen Beziehung oder gar einer Ehe hätten sie den Partner und hätten sie auch die Liebe, vielleicht sogar ein Anrecht darauf. Nichts ist falscher, und nichts ist zerstörerischer für die Liebe. Sie ist und bleibt immer frei, wie amtlich wir auch gebunden sein mögen. Sie ist frei, weil sie uns nie gehört hat.

Das führt wiederum andere zu dem Glauben, die Liebe sei frei und man könne mit ihr nach Belieben umgehen und nach Belieben über sie verfügen. Das ist genauso falsch wie die Idee, sie oder den Partner besitzen zu können – wer so denkt oder handelt, wird die Liebe nie wirklich erfahren. Die Liebe ist frei, ja, aber sie ist nicht frei wie eine Ware, die wir kaufen, eine Zeit lang besitzen und konsumieren und dann wieder verkaufen können, sondern sie ist frei, weil sie nie jemandem gehört hat und nie jemandem gehören wird.

Sie ist eine Kraft, die für sich existiert, eine Kraft, die sehr wohl uns ergreifen kann, die aber niemals wir ergreifen und haben können. Wir können in ihr sein – dann ist sie auch in uns –, aber wir können sie nie haben. Sie hat uns. Und sie bindet uns, verpflichtet uns, zwingt uns. Obwohl sie frei ist, bindet sie diejenigen, die sich auf sie einlassen. Weil wir dies wissen oder zumindest ahnen, tun wir uns so schwer damit, uns ganz in die Liebe fallen zu lassen. Was bedeutet dann Beziehung, Partnerschaft, Ehe? Nicht mehr und nicht weniger, als eine gemeinsame Hingabe an diese Kraft, die über die beiden gekommen ist, sie entflammt und zusammengebracht hat. Ein Ja, sich dieser Kraft anzuvertrauen, sich von ihr bewegen, von ihr führen, von ihr vielleicht auch quälen, verbrennen und läutern zu lassen.

Tödlicher Pfeil


Das Verliebtsein wird gerne mit einer bildlichen Darstellung symbolisiert, die auf einer alten Geschichte beruht: der Geschichte des römischen Liebesgottes Amor mit Pfeil und Bogen. Auf den Bildern schwebt meist ein putziges nacktes Kerlchen in der Luft...